Kalifa Dal'Maris
Schüler
Alkohol an Bord (Teil 1) - Gewissen und Verantwortung
Müde rieb sich der arabische Schiffsarzt über die bleischweren Augenlider und gähnte herzhaft. Die Blätter zweier dicker Folianten raschelten leise im Fahrtwind, der durch das geöffnete Fenster der Kajüte in den Raum huschte. Nachdenklich schaute Mejdi auf die wunderschön verbarbeiteten Einbände der beiden Bücher, die aufgeschlagen vor dem arabischen Arzt lagen – eine Abschrift des Qānūn at-Tibb, der berühmte und unübertreffliche Kanon der Medizin des Abū Alī al-Husain ibn Abdullāh ibn Sīnā und der Qur’an, die Offenbarung Gottes an den Propheten Mohammed. Er hatte den ganzen Nachmittag in ihnen gelesen, weil ihn das Problem der Wasserversorgung hier an Bord sehr stark beschäftigte.
Sauberes Trinkwasser war auf langen Seefahrten immer ein Problem. Wenn sich in den Holzfässern, wo sich das Wasser befand, Algen und Würmer ansiedelten, wurde es schnell schlecht, faulig und stank. Mejdi betrachtete nachdenklich seinen Trinkbecher, in sich noch ein Rest der Wasserration des heutigen Tages befand. Kapitän MacDaragh hatte schon richtig gehandelt, das Wasser in den wenigen Fässern für die lange Fahrt nach Serpents einzuteilen. Aber noch etwas anderes beschäftigte ihn gedanklich. Mejdi bezweifelte, ob das totale Alkoholverbot des Kapitäns auch die richtige Entscheidung für die Männer war.
Die Ausgabe von Alkohol war in der Geschichte der Seefahrt etwas, das zur Tradition und somit auch zu einem Gewohnheitsrecht der Mannschaften geworden war. Insbesondere der Rum war etwas, das die oft durchfrorenen und bis aufs Mark durchnässten Seeleute als Belohnung bei schweren Seegängen erhielten, und war es nicht verwunderlich, das eine Mannschaft bei so beschwerlicher Arbeit immer eine gewisse Erwartungshaltung pflegte - das starke Zeug brannte im Magen und vermittelte so ein Gefühl innerlicher Wärme. Und da auch oft die Kombüse wegen des Schlingerns schon bei leichten Seegängen nicht bedient werden konnte und die Küche dann kalt blieb, war Rum auch das einzige, was das Hungergefühl bei den oft verdorbenen Lebensmitteln an Bord bekämpfte. Die Folgen wiegten gesundheitlich schwer – Unterernährung und Skorbut waren an der Tagesordnung.
Offiziell wurde aber nicht gesoffen. Betrunkene gab es nicht. Es gab äußerst strenge Reglements, die Trunkenheit an Bord mit harten Strafen ahndeten. Diebstahl wurde körperlich schwer bestraft, die Heuer wurde gekürzt. Die Ausgabe von Alkoholika an die Mannschaft war streng rationiert und überwacht und erfolgte in der Regel nur zu besonderen Anlässen wie zu Feiertagen oder ähnlichen Anlässen, die dann schon mal in fröhlichen Trinkgelagen enden konnten. Womit der Beweis erbracht war, dass sich die Trunkenheit auf Schiffen eben doch nicht wirksam eindämmen ließ. Insbesondere an Kunsch hatte Mejdi wieder gesehen, dass das Alkoholverbot für einige der Männer hier ein nicht ganz unerhebliches Problem war.
Mejdi stand auf, streckte kurz seine müden Glieder und ging dann zu dem geöffneten Fenster. Sein Kopf schmerzte vom angestrengten Nachdenken. Er schaute auf das glitzernde Wasser und versuchte, für einen Moment seinen Kopf frei zu machen. Es gelang ihm nur sehr schlecht. Noch immer waren zu viele verwirrende Gedanken in seinen Kopf, die er noch nicht richtig einordnen konnte. Als Arzt hatte er eine medizinische Verantwortung für alle hier an Bord und die Pflicht, eine Lösung zu finden. Tief atmete er die würzige Seeluft ein und verharrte noch eine Weile am Fenster.
Alkohol… Der Begriff war aus einem Wort seiner arabischen Muttersprache hervorgegangen, wurde als das Universalheilmittel „aqua vitae bekannt und stellte für die alchimistische Bewegung bis heute noch ein enormes Faszinosum dar. Seit der Antike spielte dieser eine große Rolle als Genuss- und Lebensmittel, war vor allen in der Form von Wein Gegenstand kultischer Verehrung für die Götter in ausschweifenden Trinkgelagen als gemeinschaftsförderndes Ereignis, und in destillierter Form den Ärzten wertvolles Lebenselixier als Arznei- und Stärkungsmittel. Hier lagen wohl auch die historischen Wurzeln seiner allgemeinen Wertschätzung. Vom medizinischen Gesichtspunkt aus betrachtet, war es aber schon immer Arznei und Gift zugleich gewesen und wurde zu allen Zeiten heftig diskutiert, und berühmte Ärzte ihrer Zeit wie Plinius, Galen oder Avicenna hatten vor unmäßigem Alkoholtrinken gewarnt. Als dann in seiner Heimat auch das Prinzip der Destillation so verbessert wurde, das man aus Wein nun sehr reinen Alkohol herstellen konnte, war das nicht nur ein Meilenstein für die Alchemie und für die Medizin, es war auch der Ursprung für das Entstehen einer neuen Volkskrankheit, die diesen reineren Alkohol nun dafür nutzte, in größeren Mengen Branntweine oder Schnaps herzustellen.
Der Arzt löste sich nun von dem Fenster, reckte sich kurz, wippte dann etwas mit den Füßen und verschränkte die Hände auf den Rücken. Dann ging er eiligen Schrittes an sein kleines Bücherregal und zog eine alte zerknitterte Handschrift hervor. Leise in seiner Muttersprache murmelnd glitten seine Finger schnell über bestimmte Passagen des Textes. Mejdi rollte die Handschrift wieder vorsichtig zusammen und legte sie wieder zurück. Ein leichtes Lächeln huschte dann über seine angespannten Gesichtszüge. Schnell ging er zu seinem Tisch, griff nach dem Trinkbecher und nahm einen kleinen Schluck Wasser zu sich. Natürlich – Destillation! Und hier insbesondere die Destillation von Meerwasser zu trinkbaren süß schmecken Wasser.
Man wusste, dass auf diese Weise schon die antiken Seefahrer auf diese Art trinkbares Wasser gewonnen hatten. Das Wissen um das Prinzip der Destillation war fast so alt wie die Menschheit selbst und konnte mit einfachsten Mitteln bewerkstelligt werden. Das Prinzip war ganz einfach: es bestand in der Regel aus einem mit Flüssigkeit gefüllten Gefäß mit Deckel, an dem sich beim Erhitzen der Flüssigkeit das Destillat niederschlug und das man mit Schwämmen oder Wollbüscheln, die im Deckel steckten, auffing und regelmäßig auspresste.
Pech und Teer zum Abdichten der Schiffe wurden ebenso auf diese Weise gewonnen wie die ätherischen Öle der Riech- und Duftstoffe. Griechen und Perser wie Aristoteles, Al-Rhazi genannte Rhases und auch Ibn Sina, sein großes Vorbild, hatten sich mit der Destillation befasst und darüber in ihren Schriften berichtet.
Die Erfindung des Alambics aber - eines langen seitlichen, nach unten führenden Rohr, durch das das Destillat fließen in ein Auffanggerät fließen konnte und das auf den Siedekolben aufgesteckt wurde - machte die Herstellung von sehr, sehr reinen Alkohol erst richtig möglich. Und eben auch die Herstellung sehr, sehr reinen Wassers…
Das drängende Wasserproblem an Bord konnte damit zunächst einmal gelöst werden. Das viel drängendere Alkoholproblem war es damit noch nicht. Mejdi seufzte leicht. Dann aber hatte er eine Idee. Er lachte kurz befreit auf und ging dann eiligen Schrittes durch den Raum, öffnete seine Tür und machte sich auf den Weg an das Oberdeck, wo der Kapitän noch immer den Kurs hielt.
Müde rieb sich der arabische Schiffsarzt über die bleischweren Augenlider und gähnte herzhaft. Die Blätter zweier dicker Folianten raschelten leise im Fahrtwind, der durch das geöffnete Fenster der Kajüte in den Raum huschte. Nachdenklich schaute Mejdi auf die wunderschön verbarbeiteten Einbände der beiden Bücher, die aufgeschlagen vor dem arabischen Arzt lagen – eine Abschrift des Qānūn at-Tibb, der berühmte und unübertreffliche Kanon der Medizin des Abū Alī al-Husain ibn Abdullāh ibn Sīnā und der Qur’an, die Offenbarung Gottes an den Propheten Mohammed. Er hatte den ganzen Nachmittag in ihnen gelesen, weil ihn das Problem der Wasserversorgung hier an Bord sehr stark beschäftigte.
Sauberes Trinkwasser war auf langen Seefahrten immer ein Problem. Wenn sich in den Holzfässern, wo sich das Wasser befand, Algen und Würmer ansiedelten, wurde es schnell schlecht, faulig und stank. Mejdi betrachtete nachdenklich seinen Trinkbecher, in sich noch ein Rest der Wasserration des heutigen Tages befand. Kapitän MacDaragh hatte schon richtig gehandelt, das Wasser in den wenigen Fässern für die lange Fahrt nach Serpents einzuteilen. Aber noch etwas anderes beschäftigte ihn gedanklich. Mejdi bezweifelte, ob das totale Alkoholverbot des Kapitäns auch die richtige Entscheidung für die Männer war.
Die Ausgabe von Alkohol war in der Geschichte der Seefahrt etwas, das zur Tradition und somit auch zu einem Gewohnheitsrecht der Mannschaften geworden war. Insbesondere der Rum war etwas, das die oft durchfrorenen und bis aufs Mark durchnässten Seeleute als Belohnung bei schweren Seegängen erhielten, und war es nicht verwunderlich, das eine Mannschaft bei so beschwerlicher Arbeit immer eine gewisse Erwartungshaltung pflegte - das starke Zeug brannte im Magen und vermittelte so ein Gefühl innerlicher Wärme. Und da auch oft die Kombüse wegen des Schlingerns schon bei leichten Seegängen nicht bedient werden konnte und die Küche dann kalt blieb, war Rum auch das einzige, was das Hungergefühl bei den oft verdorbenen Lebensmitteln an Bord bekämpfte. Die Folgen wiegten gesundheitlich schwer – Unterernährung und Skorbut waren an der Tagesordnung.
Offiziell wurde aber nicht gesoffen. Betrunkene gab es nicht. Es gab äußerst strenge Reglements, die Trunkenheit an Bord mit harten Strafen ahndeten. Diebstahl wurde körperlich schwer bestraft, die Heuer wurde gekürzt. Die Ausgabe von Alkoholika an die Mannschaft war streng rationiert und überwacht und erfolgte in der Regel nur zu besonderen Anlässen wie zu Feiertagen oder ähnlichen Anlässen, die dann schon mal in fröhlichen Trinkgelagen enden konnten. Womit der Beweis erbracht war, dass sich die Trunkenheit auf Schiffen eben doch nicht wirksam eindämmen ließ. Insbesondere an Kunsch hatte Mejdi wieder gesehen, dass das Alkoholverbot für einige der Männer hier ein nicht ganz unerhebliches Problem war.
Mejdi stand auf, streckte kurz seine müden Glieder und ging dann zu dem geöffneten Fenster. Sein Kopf schmerzte vom angestrengten Nachdenken. Er schaute auf das glitzernde Wasser und versuchte, für einen Moment seinen Kopf frei zu machen. Es gelang ihm nur sehr schlecht. Noch immer waren zu viele verwirrende Gedanken in seinen Kopf, die er noch nicht richtig einordnen konnte. Als Arzt hatte er eine medizinische Verantwortung für alle hier an Bord und die Pflicht, eine Lösung zu finden. Tief atmete er die würzige Seeluft ein und verharrte noch eine Weile am Fenster.
Alkohol… Der Begriff war aus einem Wort seiner arabischen Muttersprache hervorgegangen, wurde als das Universalheilmittel „aqua vitae bekannt und stellte für die alchimistische Bewegung bis heute noch ein enormes Faszinosum dar. Seit der Antike spielte dieser eine große Rolle als Genuss- und Lebensmittel, war vor allen in der Form von Wein Gegenstand kultischer Verehrung für die Götter in ausschweifenden Trinkgelagen als gemeinschaftsförderndes Ereignis, und in destillierter Form den Ärzten wertvolles Lebenselixier als Arznei- und Stärkungsmittel. Hier lagen wohl auch die historischen Wurzeln seiner allgemeinen Wertschätzung. Vom medizinischen Gesichtspunkt aus betrachtet, war es aber schon immer Arznei und Gift zugleich gewesen und wurde zu allen Zeiten heftig diskutiert, und berühmte Ärzte ihrer Zeit wie Plinius, Galen oder Avicenna hatten vor unmäßigem Alkoholtrinken gewarnt. Als dann in seiner Heimat auch das Prinzip der Destillation so verbessert wurde, das man aus Wein nun sehr reinen Alkohol herstellen konnte, war das nicht nur ein Meilenstein für die Alchemie und für die Medizin, es war auch der Ursprung für das Entstehen einer neuen Volkskrankheit, die diesen reineren Alkohol nun dafür nutzte, in größeren Mengen Branntweine oder Schnaps herzustellen.
Der Arzt löste sich nun von dem Fenster, reckte sich kurz, wippte dann etwas mit den Füßen und verschränkte die Hände auf den Rücken. Dann ging er eiligen Schrittes an sein kleines Bücherregal und zog eine alte zerknitterte Handschrift hervor. Leise in seiner Muttersprache murmelnd glitten seine Finger schnell über bestimmte Passagen des Textes. Mejdi rollte die Handschrift wieder vorsichtig zusammen und legte sie wieder zurück. Ein leichtes Lächeln huschte dann über seine angespannten Gesichtszüge. Schnell ging er zu seinem Tisch, griff nach dem Trinkbecher und nahm einen kleinen Schluck Wasser zu sich. Natürlich – Destillation! Und hier insbesondere die Destillation von Meerwasser zu trinkbaren süß schmecken Wasser.
Man wusste, dass auf diese Weise schon die antiken Seefahrer auf diese Art trinkbares Wasser gewonnen hatten. Das Wissen um das Prinzip der Destillation war fast so alt wie die Menschheit selbst und konnte mit einfachsten Mitteln bewerkstelligt werden. Das Prinzip war ganz einfach: es bestand in der Regel aus einem mit Flüssigkeit gefüllten Gefäß mit Deckel, an dem sich beim Erhitzen der Flüssigkeit das Destillat niederschlug und das man mit Schwämmen oder Wollbüscheln, die im Deckel steckten, auffing und regelmäßig auspresste.
Pech und Teer zum Abdichten der Schiffe wurden ebenso auf diese Weise gewonnen wie die ätherischen Öle der Riech- und Duftstoffe. Griechen und Perser wie Aristoteles, Al-Rhazi genannte Rhases und auch Ibn Sina, sein großes Vorbild, hatten sich mit der Destillation befasst und darüber in ihren Schriften berichtet.
Die Erfindung des Alambics aber - eines langen seitlichen, nach unten führenden Rohr, durch das das Destillat fließen in ein Auffanggerät fließen konnte und das auf den Siedekolben aufgesteckt wurde - machte die Herstellung von sehr, sehr reinen Alkohol erst richtig möglich. Und eben auch die Herstellung sehr, sehr reinen Wassers…
Das drängende Wasserproblem an Bord konnte damit zunächst einmal gelöst werden. Das viel drängendere Alkoholproblem war es damit noch nicht. Mejdi seufzte leicht. Dann aber hatte er eine Idee. Er lachte kurz befreit auf und ging dann eiligen Schrittes durch den Raum, öffnete seine Tür und machte sich auf den Weg an das Oberdeck, wo der Kapitän noch immer den Kurs hielt.