Ena'Enyat
Diener
Träume kalter Winternächte
Kardinal Varenga hatte noch nicht zurückgeschrieben. Es würde eh einige Zeit dauern, bis eine Nachricht aus Britain zurückkam, und ihm weitere Order erteilte. Das Land hatte tiefe politische Probleme, die es noch nicht lösen konnte, und Abt Severus ahnte, das schon bald ein neuer Sturm Unruhen über das Land ziehen konnte, sollte diese Hexe ihre Ziele durchsetzen. Schon einmal hatte es eine Prophezeiung zu ihrer Wiederkehr gegeben, und es gab genug Stimmen im Lande, die munkelten, Minax habe in den Tiefen ihrer Festung Shadowguard überlebt und plane einen erneuten Angriff aus Sosaria.
Der Abt stand am Fenster seiner Amtsstube und blickte in den trüben Nachmittag hinaus. Dunkle graue Wolken hingen schwer am Himmel, verdeckten die Sonne und wurden von einem stürmischen Wind immer dichter zusammengeballt, bis nur noch eine einzige dunkle Decke am Himmel stand. Dunstiger Nebel stand über den Feldern, und schränkte die Sichtweite ein. Es passte zu seiner Stimmung, zumal er sich auch nicht sicher war, das die Krone wirklich für den Schutz des Klosters hier im äußersten Norden einstand. Yew war immer noch ein Zentrum, wo das Heidentum seine symbolischen Handlungen und Rituale praktizierte. Die alten Götter lenkten hier zwar nicht die Welt im eigentlichen Sinne, hatten aber trotzdem noch sehr große Bedeutung als Freunde und Beschützer eben dieser Menschen, die sie in Opfergaben und Liedern verehrten.
Es existierten keine Bekenntnisse oder Gebote, kein eigentliches Dogma – es gab nicht mal ein heiliges Buch mit einer Offenbarung oder einer anerkannten Wahrheit, sondern lediglich eine Sammlung kunstvoll gedichteter Mythen und Lieder. Es existierte nichts schriftliches, worauf sich das überlieferte Recht beruhte, alles wurde über Generationen mündlich weitergegeben. Aber es existierte und noch war es für ihn persönlich auch keine Bedrohung. Die religiöse Praxis, wenn es denn eine gab, bestand für die Nordmänner hier in Yew hauptsächlich darin, das sie Feste feierten.
Der Wind wurde nun stärker und zerrte an den Laden der Fenster. Das Gejaule, das man hin und wieder hören konnte, hörte sich an, als wenn die Geister der Toten umher eilten und lies ihn schaudern. Sollte an den alten Mythen doch etwas Wahres dran sein? Fröstelnd wandte sich der Abt ab und ging hinüber zu seinem Sessel. In dessen kuschliger Gemütlichkeit fühlte er sich schon besser aufgehoben. Severus legte sich seine Decke wieder über die Knie und lauschte den klappernden Geräuschen der Laden, das nach und nach in ein beruhigendes Klangspiel überging. Seine Finger spielten mit den Perlen seines Rosenkranzes, während er leise ein Gebet sprach. Noch einmal schaute er aus dem Fenster, sah wie der Wind die Wolken und den Nebel wieder auseinander blies und den Blick auf das Meer wieder freigab….
Es war die Zeit der Sonnenfinsternis, die dem Erdbeben vorangegangen war. Durch die Nacht strahlte wie Phosphor der bleiche Leib des sterbenden Gottes, aber er strahlte, ohne zu erleuchten. Auch die Sterne hatten ihr Licht verloren; denn alles Helle hatte Er in sich genommen. Einsamkeit umgab das Kreuz, und die Erde war wie ausgestorben. Da rief zwischen Todesröcheln der Heiland über die Öde hinweg:
„Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen!“
Sein Ruf findet keinen Widerhall. Die Natur erkannte die Stimme nicht mehr, wie sie das Licht nicht mehr kannte. Aber aus der Dunkelheit ballte sich der Gegengott. Auf schwarzen Wolken thronend, schwebt er heran vor das Kreuz. Es war der Zerstörer, es war der Priester mit dem obszönen Symbol, mit der höhnischen Fratze dessen, was man Liebe nannte. Und der Götze sprach:
„Wen rufst du? Nur wir sind noch; nur du bist und ich, dein ewiger Gegensatz, sonst nichts mehr. Du rufst nach dem Gott, den du auf dich gezogen hast. In deinem Streben nach eigener Göttlichkeit hast du die Welt entgottet; wo ist noch ein Gott außer dir?
Deinen Hass wolltest du ausrotten, aber indem du dein Schwert gegen ihn erhobst, verfielst du ihm. Nun hat sich dein Geschöpf gegen dich gewandt, und dich ans Kreuz genagelt. Sieh, ich bin dein Geschöpf, die Ausgeburt deines eigenen Hasses. Vernichten wolltest du mich, aber du hast mich gemästet.
Als ich dir damals die Schätze der Welt versprach, wenn du vor mir niederfielest, da verschmähtest du sie, da hassest du schon die Werke dessen, den du jetzt rufst; denn du wolltest ihm gleichen; da entgegnetest du verächtlich:
Es steht geschrieben: ‚Du sollst den Herren, deinen Gott anbeten und nur ihm allein untertan sein.‘ Wer ist jetzt dein Herr, wenn nicht ich; denn nichts ist mehr außer uns beiden. Auch ich muss vergehen im Augenblick, da du stirbst. Aber war das dein ganzes stolzes Lebenswerk?
Du lehrtest doch: Liebet eure Feinde! – Jetzt liebe mich, deinen ärgsten und letzten Feind.
Nur weil deine Liebe nicht vollkommen war, hast du mich geschaffen, wie du mich in meiner grässlichen Verzerrung vor dir siehst. Damals in der Wüste war ich schön. Noch einmal befehle ich dir nun, mich anzubeten. Liebe mich! Erkenne, dass ich dein Gott, dein Vater bin.“
Da erhob Jesus langsam das Haupt, und seine Augen hefteten sich auf das furchtbare Antlitz des Feindes. Dann von grenzenloser Liebe verklärt, sprach er zu ihm:
„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“
Und das Licht, das den heiligen Leib entströmte, begann wieder die Erde zu erhellen. Die Sonne trat wieder hervor, und die schwarzen Wolken, der Thron des Gegengottes zerfloss in nichts. Ein tiefes Donnern erschütterte die Luft, die Erde erbebte, der Vorhang im Tempel zerriss, und offen lag vor den Augen der Gläubigen das Allerheiligste. Des Heilands brechender Blick umschloss die erlöste Natur. Und laut erklang seine Stimme:
„Es ist vollbracht!“ *
Mit einem röchelnden Aufschrei erwachte Severus. Es dauerte eine ganze Weile, bis er aus der schrecklichen Vision des Traumes wieder in die Realität seiner kleinen Amtsstube zurückkam. Noch immer ging sein Atem keuchend ob der Heftigkeit dieses Traumes, der sich so wirklich angefühlt hatte, und er tastete nach dem Wasserkrug, der auf dem Tisch neben dem Bett stand. Ein Geräusch ließ ihn dann aufhorchen. Etwas war mit einem leisen Pitschen auf die Fliesen des Bodens getropft. Er schaute nach. Blut! Sein Blut! Daneben lag das zerbrochene und von großer Kraft zersplitterte Kruzifix seines Rosenkranzes. Völlig fassungslos richtete er sich dann auf und versuchte seine Gedanken zu ordnen, als ihn dann ein erneutes Geräusch zum Fenster schauen ließ. Ein dunkler Schatten, der sich langsam verdichtete und die menschlichen Züge der Hexe annahmen, die ihn höhnisch verlachten. Ein Schmerz durchzuckte ihn dann, und er griff sich an die Brust.
Als eine Stunde später Bruder Vicinius in das Zimmer trat, um mit dem Abt wie jeden Tag die Bücher zu führen, saß Severus noch immer so da – starr und die Augen weit geöffnet
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* Quelle: Erwin Reisner „Der Gott und der Götze, aus dem Buch „Vom Ursinn der Geschlechter.
Anmerkung und Hinweis: Der Satz: „Es war der Zerstörer, es war der Priester mit dem obszönen Symbol, mit der höhnischen Fratze dessen, was man Liebe nannte“ wurde von mir für dieses Kapitel leicht verändert und der Geschichte angepasst. Im Original heißt der Satz: „Es ist Shiva, der Zerstörer, es ist Priapos mit dem obszönen Symbol mit der höhnenden Fratze dessen, was man Liebe nennt.“
Kardinal Varenga hatte noch nicht zurückgeschrieben. Es würde eh einige Zeit dauern, bis eine Nachricht aus Britain zurückkam, und ihm weitere Order erteilte. Das Land hatte tiefe politische Probleme, die es noch nicht lösen konnte, und Abt Severus ahnte, das schon bald ein neuer Sturm Unruhen über das Land ziehen konnte, sollte diese Hexe ihre Ziele durchsetzen. Schon einmal hatte es eine Prophezeiung zu ihrer Wiederkehr gegeben, und es gab genug Stimmen im Lande, die munkelten, Minax habe in den Tiefen ihrer Festung Shadowguard überlebt und plane einen erneuten Angriff aus Sosaria.
Der Abt stand am Fenster seiner Amtsstube und blickte in den trüben Nachmittag hinaus. Dunkle graue Wolken hingen schwer am Himmel, verdeckten die Sonne und wurden von einem stürmischen Wind immer dichter zusammengeballt, bis nur noch eine einzige dunkle Decke am Himmel stand. Dunstiger Nebel stand über den Feldern, und schränkte die Sichtweite ein. Es passte zu seiner Stimmung, zumal er sich auch nicht sicher war, das die Krone wirklich für den Schutz des Klosters hier im äußersten Norden einstand. Yew war immer noch ein Zentrum, wo das Heidentum seine symbolischen Handlungen und Rituale praktizierte. Die alten Götter lenkten hier zwar nicht die Welt im eigentlichen Sinne, hatten aber trotzdem noch sehr große Bedeutung als Freunde und Beschützer eben dieser Menschen, die sie in Opfergaben und Liedern verehrten.
Es existierten keine Bekenntnisse oder Gebote, kein eigentliches Dogma – es gab nicht mal ein heiliges Buch mit einer Offenbarung oder einer anerkannten Wahrheit, sondern lediglich eine Sammlung kunstvoll gedichteter Mythen und Lieder. Es existierte nichts schriftliches, worauf sich das überlieferte Recht beruhte, alles wurde über Generationen mündlich weitergegeben. Aber es existierte und noch war es für ihn persönlich auch keine Bedrohung. Die religiöse Praxis, wenn es denn eine gab, bestand für die Nordmänner hier in Yew hauptsächlich darin, das sie Feste feierten.
Der Wind wurde nun stärker und zerrte an den Laden der Fenster. Das Gejaule, das man hin und wieder hören konnte, hörte sich an, als wenn die Geister der Toten umher eilten und lies ihn schaudern. Sollte an den alten Mythen doch etwas Wahres dran sein? Fröstelnd wandte sich der Abt ab und ging hinüber zu seinem Sessel. In dessen kuschliger Gemütlichkeit fühlte er sich schon besser aufgehoben. Severus legte sich seine Decke wieder über die Knie und lauschte den klappernden Geräuschen der Laden, das nach und nach in ein beruhigendes Klangspiel überging. Seine Finger spielten mit den Perlen seines Rosenkranzes, während er leise ein Gebet sprach. Noch einmal schaute er aus dem Fenster, sah wie der Wind die Wolken und den Nebel wieder auseinander blies und den Blick auf das Meer wieder freigab….
Es war die Zeit der Sonnenfinsternis, die dem Erdbeben vorangegangen war. Durch die Nacht strahlte wie Phosphor der bleiche Leib des sterbenden Gottes, aber er strahlte, ohne zu erleuchten. Auch die Sterne hatten ihr Licht verloren; denn alles Helle hatte Er in sich genommen. Einsamkeit umgab das Kreuz, und die Erde war wie ausgestorben. Da rief zwischen Todesröcheln der Heiland über die Öde hinweg:
„Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen!“
Sein Ruf findet keinen Widerhall. Die Natur erkannte die Stimme nicht mehr, wie sie das Licht nicht mehr kannte. Aber aus der Dunkelheit ballte sich der Gegengott. Auf schwarzen Wolken thronend, schwebt er heran vor das Kreuz. Es war der Zerstörer, es war der Priester mit dem obszönen Symbol, mit der höhnischen Fratze dessen, was man Liebe nannte. Und der Götze sprach:
„Wen rufst du? Nur wir sind noch; nur du bist und ich, dein ewiger Gegensatz, sonst nichts mehr. Du rufst nach dem Gott, den du auf dich gezogen hast. In deinem Streben nach eigener Göttlichkeit hast du die Welt entgottet; wo ist noch ein Gott außer dir?
Deinen Hass wolltest du ausrotten, aber indem du dein Schwert gegen ihn erhobst, verfielst du ihm. Nun hat sich dein Geschöpf gegen dich gewandt, und dich ans Kreuz genagelt. Sieh, ich bin dein Geschöpf, die Ausgeburt deines eigenen Hasses. Vernichten wolltest du mich, aber du hast mich gemästet.
Als ich dir damals die Schätze der Welt versprach, wenn du vor mir niederfielest, da verschmähtest du sie, da hassest du schon die Werke dessen, den du jetzt rufst; denn du wolltest ihm gleichen; da entgegnetest du verächtlich:
Es steht geschrieben: ‚Du sollst den Herren, deinen Gott anbeten und nur ihm allein untertan sein.‘ Wer ist jetzt dein Herr, wenn nicht ich; denn nichts ist mehr außer uns beiden. Auch ich muss vergehen im Augenblick, da du stirbst. Aber war das dein ganzes stolzes Lebenswerk?
Du lehrtest doch: Liebet eure Feinde! – Jetzt liebe mich, deinen ärgsten und letzten Feind.
Nur weil deine Liebe nicht vollkommen war, hast du mich geschaffen, wie du mich in meiner grässlichen Verzerrung vor dir siehst. Damals in der Wüste war ich schön. Noch einmal befehle ich dir nun, mich anzubeten. Liebe mich! Erkenne, dass ich dein Gott, dein Vater bin.“
Da erhob Jesus langsam das Haupt, und seine Augen hefteten sich auf das furchtbare Antlitz des Feindes. Dann von grenzenloser Liebe verklärt, sprach er zu ihm:
„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“
Und das Licht, das den heiligen Leib entströmte, begann wieder die Erde zu erhellen. Die Sonne trat wieder hervor, und die schwarzen Wolken, der Thron des Gegengottes zerfloss in nichts. Ein tiefes Donnern erschütterte die Luft, die Erde erbebte, der Vorhang im Tempel zerriss, und offen lag vor den Augen der Gläubigen das Allerheiligste. Des Heilands brechender Blick umschloss die erlöste Natur. Und laut erklang seine Stimme:
„Es ist vollbracht!“ *
Mit einem röchelnden Aufschrei erwachte Severus. Es dauerte eine ganze Weile, bis er aus der schrecklichen Vision des Traumes wieder in die Realität seiner kleinen Amtsstube zurückkam. Noch immer ging sein Atem keuchend ob der Heftigkeit dieses Traumes, der sich so wirklich angefühlt hatte, und er tastete nach dem Wasserkrug, der auf dem Tisch neben dem Bett stand. Ein Geräusch ließ ihn dann aufhorchen. Etwas war mit einem leisen Pitschen auf die Fliesen des Bodens getropft. Er schaute nach. Blut! Sein Blut! Daneben lag das zerbrochene und von großer Kraft zersplitterte Kruzifix seines Rosenkranzes. Völlig fassungslos richtete er sich dann auf und versuchte seine Gedanken zu ordnen, als ihn dann ein erneutes Geräusch zum Fenster schauen ließ. Ein dunkler Schatten, der sich langsam verdichtete und die menschlichen Züge der Hexe annahmen, die ihn höhnisch verlachten. Ein Schmerz durchzuckte ihn dann, und er griff sich an die Brust.
Als eine Stunde später Bruder Vicinius in das Zimmer trat, um mit dem Abt wie jeden Tag die Bücher zu führen, saß Severus noch immer so da – starr und die Augen weit geöffnet
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* Quelle: Erwin Reisner „Der Gott und der Götze, aus dem Buch „Vom Ursinn der Geschlechter.
Anmerkung und Hinweis: Der Satz: „Es war der Zerstörer, es war der Priester mit dem obszönen Symbol, mit der höhnischen Fratze dessen, was man Liebe nannte“ wurde von mir für dieses Kapitel leicht verändert und der Geschichte angepasst. Im Original heißt der Satz: „Es ist Shiva, der Zerstörer, es ist Priapos mit dem obszönen Symbol mit der höhnenden Fratze dessen, was man Liebe nennt.“