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Aus den Chroniken der Stadt Westcliff - Die Gründung der Stadt

Von Darsus, genannt der Chronist, Mönch der Empath Abbey zu Yew und Stadtschreiber von Westcliff

Die Gründung der Stadt

Westcliff!
Nie hatte sich eine Stadt eindrucksvoller aus dem Ruinenfeld eines Kriegsschauplatzes erhoben. Ein öder Landstrich - feucht mit undurchdringlich dichtem Waldbestand und einer dünnen Schicht von Mutterboden, auf dem aber trotzdem die höchsten und dicksten Bäume dieser Welt ihren Halt fanden. Es gab nur wenige gute Stellen, die bewirtschaftet werden konnten, und nur die allerzähesten konnten in dieser sumpfigen Wildnis überleben.
In vorgeschichtlicher Zeit, lange vor dem Beginn des aufgeklärten Zeitalters war dieser Landstrich einst von einem alten Volk bewohnt, das nur zerfallene Tempel und tiefe Spuren in der Erde hinterlassen hatte. Andere Völker waren dann gefolgt und hatten weitere Spuren hinterlassen, aber niemand hatte danach diesen Landstrich so nachhaltig verändert, wie der kleine Haufen Fischer und Handwerker, die überall aus dem Land auf der Flucht vor herrschaftlicher Willkür hier zusammengekommen waren und sich eine neue Bleibe aufgebaut hatten.

Der kleine Ort war ein Schmelztigel der Nationen und Rassen geworden, der bereit war, allen politischen Umwälzungen im Lande zu trotzen. Die gesprochene Sprache war durchwirkt von unterschiedlichen Mundarten und Dialekten, die Kleidung der Bevölkerung schlicht und ein Gemisch aus östlichen und westlichen Elementen, und beherrscht wurden sie durch den alten Familienclan der Dal’Maris aus Skara Brae, der hier an der südlichsten Küste des Landes ein Lehen des Königs - Westcliff on Sea – besaß, auf dem sich das kleine Städtchen befand.

Aufgrund der geografischen Lage in den Tropen der Sosarischen Welt gelegen, hatte die Stadt immer wieder unter Seuchen und Pest, unter glutheißen Sommern und feuchten Wintern zu leiden sowie unter den Piraten und Korsaren, die die Stadt gerne als Zwischenstation für ihre schmutzigen Geschäfte nutzten. Verachtet wegen seiner Armut an Kultur, war Westcliff dennoch heiß begehrt wegen seines hervorragenden Hafens und einer strategischen Lage, die die Seewege zwischen Trinsic, Jhelom und Serpent’s Hold beherrschte. Diese Lage, gepaart mit der wachsen Macht der Städte im Reich, der Vorherrschaft des Königsreichs Nu’jelm in der nordöstlichen See, verlieh der kleinen Stadt eine Bedeutung, die im keinem Verhältnis zu ihrer Größe stand.

In den frühen Jahren seit Bestehen des Sosarischen Reiches war es der uneigennützige Akt eines britannischen Königs, nämlich Blackthorn I., der Westcliff zu einem mitbestimmenden Faktor der britannischen Geschichte Drachenfels machte, indem er das Land unter Verwaltung des Dal’Maris Clans stellte. Aber Lord Tehan war bereits alt, und Tamar, der älteste Sohn wurde schon auf die Nachfolge vorbereitet.

Westcliff.
Ein winziger, rauher und unwirklich scheinender Landstrich, in dieser gewaltigen Landmasse – nicht größer als ein Sandkorn am seinen südlichen Strand, doch, oh! – was für ein Sandkorn! Und was für Schicksale, die davon abhängen würden.
 
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Prolog

Waren, Handel und Verträge

„Ich stelle fest, jetzt wo ich das ganze hier persönlich sehe und die Menschen hier kennenlerne, kann ich verstehen, dass dich nichts mehr nach Hause treibt, mein Kind.“ Lord Tehan Dal’Maris war auf den kleinen Balkon seines Zimmers getreten, das er sich im „Fisherman’s Rest Inn“ genommen hatte.
Westcliff…“ Lord Tehan ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen und blickte dann in die untergehende Abendsonne, die das Meer golden verfärbte. „Westcliff ist wirklich ein sehr passender Name für diesen Ort… hier im äußersten Westen des Landes. Die Menschen können hier wirklich stolz auf das sein, was sie sich hier geschaffen haben.“
Lord Tehan blickte noch eine Weile andächtig auf das Meer und hing seinen Gedanken nach. Kalifa hatte sich auf das Sofa gesetzt, die Hände in den Schoss gelegt und wartete stillschweigend ab, bis ihr Vater wieder etwas zu sagen hatte. Was hätte sie jetzt auch groß sagen sollen. Für den Augenblick war sie ihm nur dankbar, dass er ihr keine großen
Vorwürfe machte.

Der Lord trat nun wieder ins Zimmer, setzte sich zu ihr und blickte dann seine Tochter an. Ganz kurz trat ein sanfter Ausdruck in seine Augen.
„Darf ich dir noch was sagen?“
„Ja, Papa.“ Kalifa fühlte sich immer noch wie das kleine Mädchen in seiner Nähe. Sie betrachtete ihn forschend, aber ihr Vater lächelte.
„Weißt du ich bin sehr stolz auf dich, Kalifa. Wenn ich je strenger zu dir gewesen bin als zu deinen beiden Brüdern Tamar und Telfan, dann nicht, weil ich dich nicht weniger liebe als sie. Auch nicht, weil du ein weit aus kühneres Wesen als die beiden hast, was mir und deiner Mutter immer viele schlaflose Nächte bereitet hat. Glaub mir, ich war mir immer sehr bewusst, dass du meine einzige Tochter bist.“
Kalifa betrachtete ihn weiter fragend und runzelte leicht verwirrt die Stirn. Sie verstand nicht, was ihr Vater mit seinen Worten eigentlich sagen wollte. Sicher, sie war immer etwas wilder und unbändiger als ihre Brüder gewesen, und wie eine Mädchen aus gutem Hause hatte sie sich auch nicht immer benommen, was ihrem Vater Grund genug gewesen war, sie etwas härter als seine Söhne anzufassen. Als junges Mädchen hatte nie verstanden, warum nur ihre Brüder kämpfen lernen sollten und sie ihr Leben hinter einem langweiligen Webrahmen verbringen sollte.
„Ich fürchte, ich verstehe jetzt nicht ganz, Vater“ sagte sie dann. Lord Tehan schmunzelte leicht.
„Weißt du, ich war etwas strenger zu dir, weil meine schöne, trotzige Tochter mehr Charakterstärke brauchte, mehr Kraft und mehr Ehrgeiz, um in dieser Welt bestehen zu können. Und wenn ich mir die Frau heute ansehe, die aus dir geworden ist, dann denke ich, das ich recht mit meiner Erziehungsstrategie gehabt habe.“
Die junge Frau blickte ihn überrascht an und wurde rot vor Freude. Sie war es nicht gewohnt, von ihrem Vater ein solches Lob zu bekommen und es machte sie sehr glücklich.
„Du hast mit diesen Leuten hier aus dem Nichts etwas aufgebaut, was nur sehr wenige von sich behaupten können. Offensichtlich sind auch deine Vorstellungen von Ehre und Pflicht ebenso streng wie die deiner Brüder. Das sieht man daran, wie du hier mit den Kindern umgehst, auch wenn es nicht deine eigenen sind, was ich sehr bedaure. Du bist für die Menschen hier zum Beschützer und Vorbild geworden. Ich bin wirklich sehr zufrieden, mit der Frau die du geworden bist.“
Lord Tehan betrachtete seine Tochter noch einen Moment voller Zärtlichkeit. Er ließ seiner Tochter etwas Zeit, das eben gesagte zu verinnerlichen. Auch er brauchte nun etwas Zeit, um die richtigen Worte zu finden, wurde dann aber ernst, als er weitersprach.
„Es ist wirklich kaum zu glauben, dass die Krone in Britain von diesem Ort hier nicht den leisesten Hauch einer Ahnung hat. Blackthorne wird sich wie ein Narr vorkommen, wenn er davon eines Tages erfährt.“
„Die Befürchtung haben ich auch, Vater“, sagte Kalifa. „Bislang haben wir großes Glück gehabt, weil die Siedlung hier sozusagen am Rande der Welt liegt und uns zudem der Dschungel noch beschützt. Aber es gibt bereits genug Seefahrer, die hier Halt auf dem Weg nach Jhelom oder Trinsic gemacht und ihre Waren hier umgesetzt haben. Es blieb uns irgendwann nichts anders übrig, als die Lagermöglichkeiten hier zu erweitern und den Kaufleuten hier eine anständige Verpflegung und Unterkunft zu sichern.“

Lord Tehan nickte leicht. Er dachte kurz nach. Der neue König hatte in der Tat für neue Veränderungen im Land gesorgt, mit dem Beschluss, Gouverneure in den Städten einzusetzen. Auch wenn er Blackthorne persönlich nicht mochte, kam er nicht umhin, ihn für diese Entscheidung doch den nötigen Respekt zu zollen.
Nachdem sich die erste Aufregung darüber gelegt hatte und ein paar Gouverneure auf Nimmerwiedersehen verschwunden und durch andere ersetzt worden waren, die den verlassenen Posten angenommen hatten, kehrte langsam wieder Ruhe in das von Rebellionen gebeutelte Land ein. Der Frieden war nun wieder gesichert, nachdem nun auch der letzte Rest dieser ketzerischen Sekte niedergeschlagen worden war, die das Land für einige Wochen in Atem gehalten hatten.
Cove, Yew oder auch Trinsic hatten durch diesen anarchischen Zustand sehr gelitten. Es hatte genug Banditen gegeben, die die Handelsreisenden und fahrenden Kaufleute auf den Straßen überfallen und ausgeraubt oder sogar verschleppt hatten. Auch wenn der König Gesetze gegen dieses Treiben erlassen hatte und die Städte von der Steuer befreit hatte, für die Leute auf den Land änderte sich äußerst wenig. Sie waren nach wie vor der Willkür der Landesfürsten ausgesetzt und wurden mit hohen Steuern und Zöllen belastet. Es kam oft genug vor, dass ein Kaufmann die geforderten Abgaben nicht bezahlen konnte und seine Ländereien und Güter wieder eingezogen wurden. Ja es war gut, dass die Städte nun dazu übergegangen waren, sich selbst zu helfen und begannen, sich in Handelsbünden zusammenzuschließen.
Der Kaufmannstand hatte sich nun gut etabliert und es wurde möglich, auf eigene Faust Handel zu treiben und Vertreter in die Städte zu senden. Viele der erfolgreicheren Kaufleute wurden nun ansässig, bauten einen ständigen Markt auf, regelten von dort aus ihre Handelsgeschäfte und konnten ihre Handelstätigkeiten um ein Vielfaches ausweiten. Durch die Einführung von Gold, Schuldscheinen und Wechseln war der reine Tauschhandel zwischen Ware und Ware beinahe weggefallen. Die Großmärkte in den Regionen verloren zunehmend an Bedeutung, da sich der Handel immer mehr auf die Städte zentrierte. Eine weitere Folge davon war auch, dass diese wirtschaftlich gut gesicherten Stadtbewohner schnell in die höchsten Positionen und Ämter der Städte aufstiegen und die Stadt von ihnen beherrscht wurde. Dennoch standen die Kaufleute im Reich noch immer traditionell unter königlichem Schutz.

Lord Tehan wandte sich wieder an seine Tochter. Er setzte sich nun etwas bequemer in seinen Sessel und schlug die Beine übereinander.
„Seefahrer kommen viel rum und tratschen auch gerne. Dieser Umstand wird euch hier noch mal zugute kommen. Die großen Städte hier im Lande – Vesper, Minoc, Trinsic, Britain – sind bereits dabei, ihre Handelsbeziehungen untereinander auszubauen. Die übrigen werden bald folgen. Ein Verbleiben in der Neutralität würde der König bald als persönlichen Angriff gegen sein Statut nehmen, und das könnte der Siedlung möglicherweise mehr schaden als nutzen. Er würde euch des Hochverrats bezichtigen, das Land von der Krone genommen zu haben, und dann befürchte ich schlimme Folgen für alle. Mein Kind, ihr werdet hier nicht drum herum kommen, möglichst bald eine Entscheidung darüber zu treffen, welcher Stadt ihr loyal sein wollt. Der Siedlung würde es auch nicht schaden, wenn der Handel hier etwas mehr ausgebaut würde und dadurch mehr Gold in die leeren Kassen fließt.“
„Das ist wohl wahr“, erwiderte Kalifa nachdenklich, hakte aber dennoch ein.
„Trotzdem bin ich in dieser Hinsicht doch lieber etwas vorsichtiger, Vater. Viel Gold und Besitz ruft die Neider schnell auf den Plan, das weißt du so gut wie ich, und die Leute lieben hier keine Steuereintreiber.
„Da stimme ich dir zu, mein Kind. Es würde die Leute hier nur unruhig werden lassen und zu unnötigen Aufständen führen. Deshalb müssen wir sie hier langsam an das Thema heranführen.“
„Und wie willst du das anstellen? Du hast es hier mit einer Menge Individualisten zu tun, die ihre Freiheit lieber bis an die Zähne bewaffnet verteidigen würden, als auch nur einen Goldtaler an einen Steuereintreiber zu verschwenden. Die Leute lieben ihre Freiheit hier, und die würden sie auch mit Mann und Maus verteidigen.“
„Deshalb ist es wichtig, hier in der Siedlung für klare Regeln und Ordnung zu sorgen. Die Menschen müssen sich ihres handwerklichen Könnens bewusst sein, sie müssen wissen, dass sie gute Arbeit leisten können, die sich auch für gutes Gold verkaufen lässt, und das würde auch ihr Selbstbewusstsein weiter stärken. Und bei Gott… es gibt hier solche Leute. Der junge Nadim ist ein hervorragendes Beispiel dafür.“
Kalifa hörte ihrem Vater zu und verstand langsam, worauf er hinauswollte. Lord Tehan führte dann seine Gedanken weiter aus:

„Zunächst einmal ist es wichtig, das Handwerk hier anzukurbeln. Gutes und solides Handwerk ist der Schlüssel zu allen Erfolg. Wenn dieser soweit gestiegen ist, und die Kassen gut füllt, verschafft diese neue Wirtschaftskraft der Siedlung hier sogar noch den benötigten politischen Einfluss auf den König, mit der Möglichkeit besondere Genehmigungen und Privilegien einzuholen und diese Rechte von der Krone zu kaufen. Damit erreicht man den Status der „Reichsunmittelbarkeit“ und wäre rechtlich nur dem König – und allein dem König unterstellt! Eine zusätzliche Abgabe an die Landesfürsten wäre damit hinfällig und könnte von ihnen auch nicht gefordert werden.“

Lord Tehan betrachtete seine Tochter nun prüfend und gab ihr einem Moment, das Gesagte verarbeiten zu können. Kalifa wirkte immer noch unsicher:
„Du meinst wir sollten damit anfangen, auf einer höher gelegenen Ebene als den Landesfürsten unsere Rechte abzutrotzen? War es dir deshalb heute so wichtig, das baldmöglichst von Charles de Morency der Rat eingeholt werden sollte?“ Lord Tehan nickte leicht.
„Ja, mein Kind. Genau deshalb habe ich darauf bestanden. Die Handwerker sollten schleunigst ihre Interessen hier koordinieren, festhalten und über die Ratsversammlung beschließen lassen und schriftlich darlegen.“
„Und wer soll diese Verträge dem König abtrotzen?“
„Das wirst du tun, Kalifa. Meine Söhne sind derzeit nicht greifbar für mich, was ich bedaure. Und du bist klug, äußerst wortgewandt und zudem sehr schön. Und du kämpfst wie ein Mann von Ehre, wenn es um die Rechte von Schwächeren geht. Allein das wird auf den König schon einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ehrlich gesagt…“er spielte seine Nachdenklichkeit nur etwas“ … wüsste ich keinen Mann, der gegen solche Reize nicht ganz unempfänglich wäre.“

Kalifa wirkte leicht geschockt bei diesem Worten. So hatte sie ihren Vater noch nie erlebt. Aber Lord Tehan wirkte auch nicht auf sie, als wollte er sie nun bewusst in die Höhle des Löwen schicken. Sie betrachtete ihren Vater und sah dann, dass seine Augen einen schelmischen Ausdruck angenommen hatten und ein leichter Zug seine Mundwinkel umspielten. Die junge Frau schluckte den kurz aufkeimenden Anflug von Trotz nun wieder runter und sah ihren Vater nun direkt an und herausfordernd an:
„Du weißt aber schon, was für eine große Last du mir hier aufbürdest, Papa?“ fragte sie.
„Du weißt, ich würde mich viel wohler in meiner Haut fühlen, wenn ich wüsste, dass meine Familie hinter mir steht und dieses Vorhaben mit unterstützt. Die Taverne fordert meinen vollen Einsatz, und ich kann nicht überall sein.“ Lord Tehan schaute noch immer amüsiert auf seine Tochter.
„Mein liebes Kind…“ sagte er dann gedehnt, „du weißt, das ich gerade nichts besseres zu tun habe und mich sogar im Gegenteil fürchterlich in Skara Brae langweile? Wirklich, ich sehne mich wieder nach einer richtigen Aufgabe. “ Wieder schaute ihn Kalifa überrascht an. Lord Tehan schmunzelte, als er weiter sprach:
„Weiß du… mir gefällt es hier bereits so gut, das ich beschlossen habe, noch eine sehr lange Weile hierzubleiben. Ich erwarte jeden Moment die vom König unterschriebene Besitzurkunde dieses herrlichen Fleckchens Erde hier. Damit kannst du dir meiner Unterstützung schon einmal sicher sein.“
Kalifa fiel ihrem Vater jubelnd um den Hals. Dass dieses so angstvoll erwartete Gespräch einen solchen Ausgang genommen hatte, hatte sie niemals im Traum erwartet. Ihr Vater war da und würde sie unterstützen. Und sich war sich sicher, dass es auch die Leute in Westcliff tun würden. Ein unbeschreibliches Gefühl breitete sich in ihren Inneren aus, ein Gefühl der Befreiung. Sie war glücklich.
 
Der Brief an den König (Teil 1)

Gedanken einer Nacht

Es war weit nach Mitternacht, als auch die letzten Gäste ihre Zeche im Blauen Ritter bezahlt hatten. Zwei Schatten torkelten lallend und lachend eingehakt wie beste Kumpels über den vom Mond hell erleuchteten kleinen Hafen zu ihren Häusern zurück, im gegenseitigen Bemühen sich aneinander festzuhalten und nicht das Gleichgewicht zu verlieren. So bemerkten sie auch nicht, dass oben im zweiten Stock des Fisherman’s Inn noch Licht brannte.
Dort, in der sogenannten Drachen-Suite saß Lord Tehan, die Beine übereinander geschlagen auf einen der Sofas, dachte über den vergangenen Tag nach und versuchte zur Ruhe zu kommen. Es war viel geschehen in den letzten Monaten – für seinen Geschmack eigentlich zu viel. Seit er von Cahen d’Anvers, einem Waldläufer aus Skara’Brae, der schon lange in seinem Diensten stand und zu einem seiner engsten Vertrauten geworden war, erfahren hatte, was seine Tochter Kalifa mit einen kleinen Haufen Handwerker im Süden des Landes aufgebaut hatte, waren seine Nächte mehr als schlaflos geworden. Müde rieb er sich die Augen, fuhr sich anschließend durch die Haare und verschränkte dann die Hände in seinen Nacken. Für einen Moment schloss er die Augen und entspannte sich. Dann stand er wieder auf, ging zu seiner Reisetruhe, öffnete diese und holte eine schon abgegriffene, aber dennoch gut erhaltene Ledermappe heraus, die mit einem Schloss verschlossen war und legte diese dann auf den kleinen Tisch vor dem Sofa. Seine Hand fuhr am Hals unter sein Hemd und holte dann einen kleinen Schlüssel hervor, der an einer feinen Kette aus Silber hing. Bedächtig steckte Tehan den Schlüssel in das kleine Schloss und drehte den Schlüssen um. Sorgfältig entnahm er dann die in ihr enthaltenen Dokumente heraus und legte sie vorsichtig auf den Tisch.
Vor ihm lagen nun die Notizen von Cahen über das kleine Dorf, das die Bewohner mit Hilfe seiner Tochter hier aufgebaut hatten, eine Fassung der Trinsicer Stadtgesetze und die zerfledderte Kopie einer Karte, die man in Skara Brae gefunden hatte. Daneben lagen eine neuere Karte von einem Kartographen aus Minoc sowie die Abschriften zweier in seiner saubersten Handschrift verfassten Briefe älteren Datums.

Tehan’s Blick fiel auf das Gesetzbuch, das die Stadt Trinsic erlassen hatte. Noch immer ärgerte ihn diese Penetranz, mit der dieser sogenannte Vize-Gouverneur dieses Gesetz erlassen hatte. Besonders der erste Paragraph daraus, der das Stadtgebiet der Stadt Trinsic absteckte, war wie ein Dorn im Auge und bereitet ihm zusehends mehr Magenschmerzen, zumal die Menschen des Dorfes hier weiterhin völlig ahnungslos gelassen wurden, von wem sie denn nun beherrscht wurden – bis auf De Morency und van Thaden, die wohl etwas ahnten, aber wohl deshalb nichts sagten, weil sie gegen diese politische Übermacht, die sich in Trinsic nun gebildet hatte, alleine auch nicht hätten ausrichten können. Nach Bekanntwerden des Gesetzes hatte Tehan Cahen beauftragt, die Grenzen dieses Gebietes nach Grenzsteinen oder sonstigen Markierungen abzulaufen und in den großen Archiven der Stadte Britain, Trinsic, Moonglow und Yew nach Dokumenten zu forschen, die ein Verwaltungsrecht Trinsic bestätigen würden, aber der Waldläufer hatte nichts gefunden. Somit war klar, dass Landnahme willkürlich ohne Einwilligung der Krone erfolgt war und im größten Maße als Hochverrat anzusehen war.

So sehr es Tehan zunächst begrüßt hatte, das sich Menschen hier zusammengefunden und eine neue Heimat gefunden hatten, so sehr erschütterte ihn aber auch ihre Unkenntnis über die gesetzlichen Begebenheiten. Am Nachmittag zuvor hatte Tehan sich außerdem mit Reent van Thaden und Charles des Morency, die über eine etwas bessere Bildung besaßen als diese einfachen Fischer und Handwerker, unterhalten. Es sollte sich bei diesem Gespräch herausstellen, dass sich nie jemand um diesen Landstrich gekümmert hatte. Der letzte Lord, der hier in der Nähe einen Landsitz namens Westcliff on Sea besaß, hatte diesen verkommen lassen, in die eigene Tasche gewirtschaftet, das Gold versoffen und war ohne Nachkommen verstorben – verreckt sagten sie hier. Van Thaden bestätigte dann auch seine Vermutung, dass man die Landnahme dieses Küstenstreifens durch die sogenannte „Weberin“ damals nicht ernst gemeint habe. Und von den nahen Städten Trinsic und Jhelom sei auch noch nie jemand mit großen Besitzansprüchen erschienen.

Seine Gedanken gingen wieder zurück zu der gewittrigen Nacht, wo er sich in der Burg seines Schwagers, Burg Lantos bei Minoc hingesetzt hatte, um zwei wichtige Briefe zu verfassen, die hoffentlich bereits in die Hände der Empfänger gelang waren. Nachdenklich strichen seine Finger sanft über das Pergament der Briefkopie an Nandus, Gouveneur von Skara Brae. Auf das was nun geschehen würde hatte er nun keinen Einfluss mehr, aber Tehan wußte auch das er nicht hatte anders handeln können. Es war ihm klar, das nun einige Aufregung und auch viel Ärger auf ihn zukommen würde, aber das war es ihm wert. Im guten Vertrauen hoffte der Lord als Bürger der Stadt Skara Brae darauf, dass ihm sein Gouverneur unterstützen würde.

Er – Tehan konnte und würde nicht zulassen, dass man die Menschen dieses kleinen Dorfes einfach ihrem Schicksal wieder überließ.
 
Aus den Chroniken der Stadt Westcliff

Von Darsus, genannt der Chronist, Mönch der Empath Abbey zu Yew und Stadtschreiber von Westcliff

Kurierdienste

So geschah es also in jener Nacht auf Burg Lantos bei Minoc, das Lord Tehan Dal’Maris zwei Briefe verfasste, die – da höchste Eile geboten war – schnellstens an die jeweiligen Empfänger gebracht werden mussten. Er konnte jetzt nur hoffen, das Trinsic zu beschäftigt mit sich selbst war und sein Treiben nicht bemerken würde. Der Teufel hatte einen Fuchs ins Land geschickt, heimtückisch, verschlagen und flink, und nun oblag es den königlichen Jagdhunden, diese Schöpfung des Übels zu vernichten, auf das sie nicht selbst vernichtet würden.

Tehan ließ umgehend nach seinem Diener rufen, Cahen d’Anvers, einen Waldläufer mittleren Alters, der schon als junger Mann im Diensten des Lords gestanden hatte. Cahen sollte die Niederschriften des Lords bezeugen und auch später überbringen. Cahen war es auch, der mir viele Jahre später erzählte, was in dem gewichtigeren der beiden Schreiben stand. Er erinnerte sich noch an den Text, als wäre es gestern gewesen. Er sollte einen der Briefe in höchster Eile den König überbringen, und die Antwort bei Hofe nicht abwarten, sondern mit dem zweiten Brief weiter nach Skara Brae reiten. Dort sollte er dem Gouverneur den zweiten Brief aushändigen und dann mit der Antwort sofort nach Westcliff aufbrechen, wo Lord Tehan ihn bereits in großer Sorge und Hoffnung auf die Hilfe des Gouverneurs von Skara Brae erwartete.
 
Der Brief an den König (Teil 2)

Eilige Zustellung

Am späten Nachmittag desselben Tages erreichte der Waldläufer völlig durchnässt und erschöpft die sosarische Hauptstadt. In den Straßen herrschte ein geschäftiges Treiben, Händler boten ihre Waren feil, und die Hübschlerinnen, an denen er auf dem Weg zum Schloss vorbeikam, machten ihm eindeutige Angebote, die er lachend abwehrte. Cahen war im Auftrag seines Herrn, Lord Tehan hier und das war ihm vorerst wichtiger als sein Vergnügen.

Schloss Blackthorn war wie immer gut bewacht, und Cahen sah sofort, das man so ohne weiteres nicht in das große Schloss des Königs hereinkam. Er brachte sein Pferd in einem der Ställe unter, die sich in der Nähe des Schlosses befanden und wartete dann auf eine günstige Gelegenheit, hinein zu kommen. Diese sollte sich schon bald bieten. Ein alter Bauer mit einem Heu und anderen Feldfrüchten beladenen Karren steuerte direkt auf das große Tor zu. Cahen ließ den Karren an sich vorbeifahren, sprang dann hinten auf und bohrte sich schnell in das weiche lockere Heu. Zum Glück hatten die Wachen nichts bemerkt. Sie waren mit dem Bauer beschäftigt, der wie immer um seinen Einlass betteln musste, da er wieder keine entsprechenden Papiere vorweisen konnte, die ihm den Zutritt ins Schloss ohne Probleme gestattet hätten. Cahen lauschte in seinem Versteck amüsiert dem Gefeilsche um Einlass. Der Wagen fuhr nach einer Weile weiter und überrascht spähte er dann vorsichtig aus seinem Versteck hinaus. Er grinste leicht, als er nun erkannte, warum das erst so lautstarke Gespräch urplötzlich verstummt war. Die beiden Wachen standen nun, in der Hand ein großes Stück Brot und stopften sich den Mund mit Krumen voll. Cahen lachte leise. Er würde sich das für das nächste Mal gut merken. So kam es also, dass ein völlig ahnungsloser Bauer ihm durch das hohe Tor und in das Schloss hineinschmuggelte.

Als der Wagen in der Nähe der Lagerhäuser angekommen war, sprang er sprang er hurtig vom Wagen und drückte sich in der nächsten Nische in den Schatten. Er sah er sich um. Ein junger Bursche, beladen mit großen Ledertaschen, in denen kostbare Folianten steckten und dicken Büchern, die er mit beiden Armen umfasst hatte und oben mit dem Kinn gesichert festhielt, schlingerte über den Hof und ging dann durch ein Tor in einen kleineren Hof in ein Haus hinein, vor dem ebenfalls eine Wache stand, die dem Burschen eifrig die Tür aufhielt, was er dankend quittierte. Als er dann nicken wollte, verlor der Turm Bücher in seinen Armen den Halt und die Bücher purzelten zu Boden. Während die Wache höhnische Bemerkungen machte und sich über das Missgeschick diebisch freute, brachte es doch etwas Abwechslung in seinen langweiligen Dienst, und der Junge den Stapel Bücher mit hochrotem Kopf wieder aufsammelte, nutzte Cahen einen günstigen Moment, an der Wache vorbei in das Haus zu schlüpfen.

Er hatte Glück. Die Lager des Königs befanden sich gleich neben den königlichen Amtsstuben. Eine Anzahl wichtig aussehender Streberlinge saßen geschäftig an ihren Pulten und ließ die Federkiele über kostbares Pergament kratzen. Ein dicklicher Mann in schwarzer Amtstracht mit einem Kneipfer auf der Nase, der ihm immer wieder beim Lesen runterfiel, saß auf einem erhöhtem Podest und ließ dann und wann seinen Blick über die Schreiber wandern. Cahen hatte seinen Mann nun gefunden, der ihm die Zustellung des Briefs an den König sicherstellen konnte. Er steuerte schnurstracks auf das Podest zu, nahm im Gehen einen der Malstöcke mit, den er unter seinen weiten Mantel verbarg und stellte sich neben den Stuhl, auf den der Mann saß. In der einen Hand die kleine Lederrolle mit dem Brief haltend, bohrte die andere den Malstock dem Amtsmann grob in die Seite.
„Wenn Euch Euer Leben lieb ist, meldet mich bei Lordkanzler Pilgrin an. Sofort!“ Der Amtmann zuckte zusammen und wollte schon protestieren und die Wache rufen, als sich der Stock noch härter und schmerzhafter in die kleinen Fettpolster bohrten, die der Mann auf den Rippen sitzen hatte.
„Was wollt ihr?“ klang es mit vor Angst belegter Stimme. „Der Kanzler sitzt gerade zu Rat und kann nicht gestört werden von…“
Wieder bohrte sich der Stock in die schwabbeligen Pölsterchen.
„Na, umso besser, dann erfahren es gleich noch ein paar Leute mehr, die Einfluss im Land haben! Ich habe hier einen Brief für den König, und den werde ich dem Lordkanzler nur persönlich überreichen! Und Ihr…Ihr werdet mir persönlich dafür haften!“
 
Der Brief an den König (Teil 3)

Die Botschaft des Lords


„An die erhabene und gnädigste Majestät, König Blackthorn I. zu Sosaria!

Seit dem Tage, an dem ich die überaus große Beachtung seiner Majestät erhalten habe, werde ich nicht ablassen, jenen Tag zu preisen und würdig zu erachten, an dem ich zum ersten Male das Glück hatte, Eure einzigartige und menschenfreundliche Majestät von Angesicht zu erblicken. Seit jenem Tage suche ich nun nach einer Gelegenheit, die es mir möglich macht, Eurer Majestät gutherzigen Mutes mein besonderes Anliegen kundzutun, damit es in größerem Maße bekannt werde. Ich sehe keine andere Möglichkeit als diese und muss stillschweigend als euer getreuer Untertan Euer Urteil anerkennen, von dem ich hoffe, es werde sich dennoch zum Guten nicht für mich, sondern für Euer Majestät Volk wenden.
Viel ist im Lande geschehen, nachdem die Stadt Trinsic an die glorreichen Tage ihrer Vergangenheit anzuknüpfen bestrebt ist. Viel Leid wurde über das ganze Land gebracht unter der grausamen Knute der falschen Götting Zalindera – in ferneren wie in den jüngeren Tagen unserer Geschichte. Ich lasse Euer Majestät nun wissen, das am südlichsten Ende dieser Welt an der Küste in der Nähe des Shrine of Honor ein Dorf von braven Untertanen seiner Majestät begründet wurde, die den Schutz seiner gnädigen Majestät bedürfen und erhoffen. Trinsic, die Stadt der Ehre streckt unter seiner neuen Regentschaft seit den Tagen der Zalindera-Bedrohung seine Hände nach Ländereien der Krone aus …“


Cahen stand in abwartend in einer Ecke des reich mit dunklem Holz und Schnitzwerk verzierten Ratszimmer des Kanzlers seiner Majestät und wartete gelassen ab, was nun passieren würde.
Erzkanzler Pilgrin war sonst ein ruhiger und selbstbeherrschter Mann von ungeheurer Würde, aber dieses Mal schlug seine Faust auf den langen wuchtigen mit Schnitzereien versehenden Eichentisch, noch bevor er den Brief zu Ende gelesen hatte, den Cahen ihm im Auftrag seines Herrn überbracht hatte. Sein Schlag war so hart, das die übrigen Mitglieder seines Rates erschrocken zusammenzuckten.
„Das so etwas während meiner Amtszeit passiert!“ donnerte er und sprang im höchsten Maße erregt auf.
„Ist es nicht genug gewesen, das wir der Bedrohung Zalinderas ins Auge sehen mussten, und das fast ohne die Hilfe der Städte, die genug mit den Rebellen seinerzeit zu tun hatten? Müssen wir jetzt auch noch gegen Tyrannei und Willkür aus der Mitte des Reiches kämpfen? Müssen wir uns jetzt dem Willen dieses … dieses … selbsternannten Fürstentums beugen?“
Die Stimme des Lordkanzlers überschlug sich nun förmlich und klang fast schrill in der großen Ratshalle.
„Und bei alledem hat dieser … Tehan aus Skara noch nicht einmal die Höflichkeit, mit seinem Anliegen persönlich hier zu erscheinen, sondern schickt uns lediglich einen Brief durch einen Boten? Ganz Sosaria wird von dieser Schmach erfahren!“

Erzkanzler Pilgrin knautschte nun wütend die Blätter des Briefs zusammen, warf diesen, noch immer völlig außer sich auf den Tisch und ging, sichtlich erregt im Zimmer auf und ab. Meister Odalfried, seines Zeichens Sekretär seiner Lordschaft und promovierter Notar raffte das Schreiben hastig an sich und strich es wieder glatt und las dem übrigen Ratsmitgliedern weiter vor. Seine Augen folgten hastig seinem zittrigen Finger, der an den Zeilen des Briefes entlang glitt und die Stelle suchte, wo der Erzkanzler mit Lesen aufgehört hatte. Dann fuhr er fort:

….Trinsic, die Stadt der Ehre streckt unter seiner neuen Regentschaft seit den Tagen der Zalindera-Bedrohung seine Hände nach Ländereien der Krone aus und stellt zum gegenwärtigen Zeitpunkt das der Stadt umliegende Einzugsgebiet zwischen Spirituality- und Honor-Schrein, das nach Westen durch das Destard-Gebirge und nach Osten durch den Küstenverlauf begrenzt ist, unter eine Verwaltung, die nicht durch königlichen Erlass bestätigt ist. Dieses, so versichere ich besten Wissens und Gewissens ist wahr und wurde durch die Nachforschungen meines Informanten, der Euch diesen Brief überbringt, auch bestätigt. Es finden sich weder Grenzsteine noch Markierungen sonstiger Art in dem bezeichneten Gebiete, die diesen Herrschaftsanspruch durch die Krone bestätigen noch lassen sich in den großen Archiven der Städte zu Trinsic, Yew, Moonglow und Britain solche Aufzeichnungen finden.
Vieles, oh allmächtigste Majestät und König, wird sich in Kürze mit Gewissheit klar erweisen, aber ich konnte nicht alles in diesen Brief an Euch hineinschreiben; ich wollte es auch nicht. Aber zum Verständnis sollen gewisse Dinge nur in wenigen klugen Entscheidungen berührt werden. Und derart groß seid Ihr in Eurer Menschenliebe und in der Ehrfurcht vor den Göttern, dass Euch allein der Name des mächtigsten und christlichsten Königs gebührt. Es ist offenkundig, dass Eure Majestät allein würdig sind, die höchste Autorität in allen weltlichen und religiösen Dingen zu erhalten.

Ich, Tehan Dal’Maris, treuer Vasall des Gouverneus von Skara Brae, Nandus ersuche Euch nun im Namen der Bewohner dieses Küstendorfes, Westcliff genannt um die Verwaltung der Ländereien rund um dieses Dorf und um Klärung der Besitzverhältnisse und bitte Euer Majestät um die Verwaltung folgender Ländereien: des südlichen Southern Jungle einschließlich des Southpeak-Gebirgszuges und dem Shrine of Honor sowie der Landzunge des Cape of Heroes und der dem östlichen Küstenstreifen vorgelagerten Insel Bald Island, gestellt unter das Lehen Westcliff on Sea, um das wir Eure Majestät ebenfalls untertänigst bitten. Eine Karte zur besseren Ansicht über den zukünftigen Grenzverlauf haben wir durch einen berufenen Kartographen aus Skara Brae anfertigen lassen und legen diese hinzu.
Aber so ersuche ich Euch nur, oh gnädigster König, durch diese Eure einzigartige und verständige Menschenliebe, den Wunsch meines Herzens zu verstehen, und um die untrügliche Meinung Ihrer durchlauchtigsten Majestät, welcher ich zu gehorchen habe, seit meine Augen so nahe Ihrem Sonnenglanz waren, dass die Erhabenheit von Sosaria weder erreicht noch erbittet werden kann.

Geschrieben im Jahre des Herrn, diesen 28. November 2014 auf Burg Lantos bei Minoc
Zu Diensten Euer erhabenen Majestät und Vasall des Gouverneurs zu Skara Brae, Nandus

Tehan Dal’Maris „


Die Nase des Notars war bleich und spitz geworden, und die Stirn lag in leichten Falten, als Notar Odalfried das Schreiben aus der Hand legte. Sein Blick fiel auf die hervorragend gezeichnete Karte, die dem Schreiben beigefügt war.
„Das ist der Knochen, den man einen Hund hinwirft“, sagte er dann nachdenklich, „nun da die Gouverneurin, diese Taira’Tal entführt wurde. Über diesen Fall haben wir bislang auch keine Neuigkeiten, und es würde mich nicht wundern, wenn der Vize-Gouverneur nicht selbst hinter dieser Sache steckt. Im Moment führt diese Person ein noch stumpfes Schwert, aber nun da seine Macht mit der Entführung der Gouverneurin gewachsen ist, wird er die Kluft zwischen der Krone und diesem neuen alten Fürstentum Trinsic noch weiter ausweiten. Ganz ohne Zweifel wird er sicherlich versuchen, uns und seine Majestät so in den Griff zu bekommen, das wir uns nicht mehr draus befreien können.“
„Das wird er doch niemals wagen“, sagte Graf Hinserk betroffen und sah seinen Bruder Erchengar dabei mit ernstem Gesichtsausdruck an.
„Bleib ruhig, Bruder“ Graf Erchengar schüttelte leicht mit dem Kopf, ebenfalls erschüttert von dem eben gehörtem und meinte dann hoffnungsvoll:
„Vielleich ist es doch nicht ganz so schlimm, MyLord Kanzler. Es ist ja nicht das Löwenjunge das wir fürchten, sondern der Löwe.“
„Nein meine Herren, machen wir uns da nichts vor.“ Kanzler Pilgrin stützte seine Hände auf dem Tisch ab und sah jedem der Ratsherren erst prüfend in die Augen, bevor er den Kopf schüttelte und nachdenklich weitersprach.
„Vor diesem Mann werden wir sicher alle auf der Hut sein müssen. Wenn Lady Tal, Gouverneurin von Trinsic je eine Schlange gewesen sein sollte, dann ist dieser Slare ein ausgewachsener Drache. Die eigentliche Autorität lag und liegt noch immer in den Händen dieses Teufels , und glauben Sie mir, meine Herren, jeder der es nun wagt ihm zu widersprechen, wird als Verräter seiner Politik gebrandmarkt werden. Der König sollte unverzüglich von dieser Angelegenheit erfahren. Und dieser Tehan aus Skara hat sich ebenfalls unverzüglich hier an Hofe einzufinden – sagt das diesen Boten, diesen Waldläufer!“ Erzkanzler Pilgrin hielt inne und sah sich verdutzt im Raum um…
„Wo zum Teufel steckt dieser Kerl denn? Hatte ich ihm nicht gesagt, dass er warten soll?“

Der Botenjunge, der vorhin den ganzen Batzen Bücher in den Raum gebracht hatte, hatte die Frage gehört und trat dann mit hochroten Kopf vor. Er wollte gerade etwas sagen, als ihm die bloße Gegenwart des Lordkanzlers wieder einschüchterte und er keine Worte mehr sich herausbrachte.
„MyLord….dieser Bote… er ist… “ krächzte er.
„Nun was…“, Pilgrin blickte erwartungsvoll auf den jungen Mann, was diesen noch mehr einschüchterte und den Kanzler noch ungeduldiger machte.
„Nun rede Er schon….“ entfuhr es Pilgrin etwas harscher, als er eigentlich wollte, „was ist er?“
Der Botenjunge räusperte sich nun und endlich war auch seine Stimme wieder fest:
„My Lord Kanzler, er könne nicht mehr warten, hat er gesagt. Und er hätte noch einen zweiten Brief, und der müsse schnellstens nach Skara Brae.“
 

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Unterwegs nach Skara Brae

Cahen hatte genug gehört und wusste nun, das die Mission auf die ihm sein Herr geschickt hatte, nun keinen weiteren Aufschub mehr duldete. Lord Tehan war normalerweise kein Mensch, der einen anderen Honig ums Maul schmierte, und das er sich hier in diesem Fall zu solch einer Speichelleckerei herablassen musste, war für Cahen ein untrügliches Zeichen dafür, in welcher Klemme sein Herr steckte. Es stimmte ihn arg nachdenklich. Für den Schutz des kleinen Dorfes war Tehan beim König schon ziemlich tief in die Knie gegangen, und der Waldläufer hatte bereits eine Ahnung, das der Kniefall bei Gouverneur Nandus noch tiefer ausfallen musste, wollte sich sein Herr den Schutz und Beistand seines Landesherrn sichern.

Er hatte eiligst den großen Ratssaal verlassen, und war mit wehendem Mantel aus dem Schloss freundlich grüßend zum Abschied an den beiden Torwachen vorbei gerannt, die ihm mit vor Verblüffung offenem Mund nachstarrten, und schnurstracks auf den Stall zugelaufen, wo ihn sein treues Ross schon wiehernd begrüßte. Dem Jungen, der sich gut um das Tier gekümmert hatte, drückte er eine großzügige Entlohnung in die Hand, saß dann auf und bahnte sich dann einen Weg durch das Gewimmel der Menschen auf den Straßen der Hauptstadt hin bis zu der großen, breiten Brücke über den Fluss. Obwohl die Nacht bereits angebrochen war, waren nun andere Gestalten auf den Straßen, die der Stadt Leben einhauchten.
Der strömende Regen, der ihm am Nachmittag mit in die Stadt begleitet hatte, hatte nun aufgehört, aber noch immer wehte ein böiger Wind, der die letzten Reste der dicken Regenwolken auseinander riss und sie ziemlich schnell über den vom hellen Vollmond beherrschten Himmel schickte. Dunkle Schatten fegten über den Boden, als er das Pferd über die großen Felder hinweg lenkte, hin zu der schmalen Straße über den Pass durch die südliche Gebirgskette der Serpent’s Spine Mountains. Die schmale Straße führte zu einer Weggabelung, die auf die Städte Yew und Skara Brae verwies, aber der Waldläufer beachtete dies nicht. Cahen verließ die Straße an der Gabelung und bahnte sich einen Weg durch den Wald hin zur Küste, bis er eine kleine Bucht und schlussendlich dann das große Schloss des Gouverneurs erreichte, wo er sich vor verschlossenen Türen wiederfand.

Dort war niemand zu sehen, weder liefen Wachen auf den Wehrgängen Kontrolle noch stand eine Wache vor den Toren des Schlosses, was Cahen mit etwas Verblüffung zur Kenntnis nahm. Der Gouverneur schien sich ziemlich sicher zu fühlen, wenn er so ganz ohne persönlichen Schutz regierte, aber vermutlich täuschte das nur – wie so oft im Leben. Er hämmerte mit aller Wucht gegen das massive Eisentor und ließ nicht eher nach, bis einer der Bediensteten ihn öffnete.
 
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Kniefall eines Versallen

Seadream Castle - Sitz von Gouverneur Nandus zu Skara Brae. Cahen hatte schon viel von diesem ungewöhnlichen Gargoyle gehört – und nun würde er diesem selbst gegenüber stehen.
Sein immer und immer wiederkehrendes Rufen und Hämmern am Tor hatte schließlich einen der Diener aufgeweckt, der ihm ärgerlich, da er sich um seine Nachtruhe gestört fühlte, den Waldläufer nach einer kurzen Erklärung in das Schloss gelassen hatte. Leise schimpfend ging der Mann voraus, hielt eine Laterne hoch und schärfte den Waldläufer ein, ja vorsichtig zu sein und nichts kaputtzumachen. Cahen stolperte hinter dem Bediensteten her, stets bemüht, ja keine der kostbaren Trophäen zu zertreten, die überall auf dem Boden des Schlosses verteilt herumlagen. Gerade als er sich noch über die desolate Haushaltsführung des Gouverneus wunderte, stoppte der Diener seinen Gang.
„Da wären wir“ sagte er leise. „Ihr wartet jetzt hier, ich muss seine Exzellenz erst wecken. Heute Abend hat er sich wieder einen guten Tropfen Roten gegönnt, und da schläft er immer wie ein Murmeltier. Also geduldet euch eine Weile, und kommt erst herein wenn ich euch rufe, verstanden?“ Cahen nickte und setzte sich auf einen Stuhl der neben der Tür des Schlafzimmers des Gouverneurs stand. Er tastete noch einmal seinen Mantel ab, und atmete tief erleichtet durch, dass das kleine Lederetui, in dem der Brief seines Herrn steckte, noch immer an Ort und Stelle saß.

Nach einer halben Stunde steckte der Diener den Kopf wieder zur Tür hinaus und bedeutete dem Waldläufer, nun hereinzukommen. Nandus saß, mit seinem Nachtgewand und in einen dicken Mantel gehüllt, in einem Sessel am Feuer seines Kamins und bedeutete ihm dann näherzukommen.
„Was gibt es so wichtiges, Mann, das ich mitten in der Nacht geweckt werde? fragte er dann. Erleichtert registrierte der Waldläufer, das es nicht ungehalten klang, und mit dem Mut der Zuversicht sagte er dann:
„Exzellenz, ich habe hier einen Brief von meinen Herrn. Lord Tehan Dal’Maris schickt Euch seinen Gruß und diese Botschaft!“ Er zog dann das kleine Etui hervor, holte die beiden sorgfältig geschriebenen Pergamentbögen heraus und übergab sie dem Gouverneur, der sich nun bequemer hinsetzte. Cahen zog sich respektvoll etwas zurück, aber so, dass er trotzdem noch einen Blick auf die vom Kaminfeuer beleuchteten Bögen werfen konnte.

Nandus war während des Lesens, so schien ihm, immer ernster geworden, was Cahen nun doch sehr beunruhigte. Als der Gouverneur dann endlich aufsah und mit gerunzelter Stirn in das Kaminfeuer schaute, konnte sich Cahen nicht mehr zurückhalten.
„Eure Exzellenz“ fragte er besorgt, „ ist Euch nicht gut?“ Er wartete einen kurzen Moment, ob er eine Antwort bekam, aber Nandus schien in tiefe Gedanken versunken. Cahen versuchte es noch einmal.
„Eure Exzellenz!“
„Hmmm…ja…was?“ kam es dann wie aus weiter Ferne zurück
„Ist Euch nicht gut? Was steht in dem Brief?“ fragte Cahen wieder vorsichtig. Nandus blickte auf und sah ihn dann an.
„Euer Lord ist ein verdammter…“ Nandus suchte nach Worten, „ein verdammter tollkühner Hund, wisst Ihr das?“ Und als der Waldläufer ihn dann verblüfft, weil er mit einer anderen Antwort gerechnet hatte, ungläubig anstarrte, überreichte ihm der Gouverneur wortlos den Brief. Der Waldläufer stellte sich dann näher ans Feuer und begann zu lesen:


„Geehrte Exzellenz, Gouverneur von Skara Brae, Nandus

Heute wende ich mich als zutiefst besorgter Bürger Eurer Stadt und treuer Untertan des Landes Sosaria an Sie und ersuche um Ihren Beistand.

Vor vielen Jahren – noch vor Zeiten des Wiedererwachens des Monsters Exodus und der falschen Göttin Zalindera im Lande, ließen sich im Süden des Landes an einem Küstenstreifen in der Nähe des Schreines der Ehre ein paar Fischer und Handwerker nieder. Das Land lag brach, und da niemand erschien, der einen Besitzanspruch auf dieses Land anmeldete oder sich in sonst einer Weise um dieses Land kümmerte, blieben die Leute dort und das Dorf wurde größer. Dann aber kamen die großen Aufstände, Exodus und Zalindera erstarkten erneut und viele flohen aus Angst vor ihnen. Ein Teil dieser Flüchtlinge wurde von dem kleinen Dorf im Süden aufgenommen.

Es ist allen hinreichend bekannt, das die falsche Göttin über weite Teile des Landes herrschte und ihre Besitzansprüche anmeldete. So existierte in jenen Tagen auch eine Proklamation der Stadt Trinsic, die ihren Besitz über folgende Ländereien erklärte: das Gebiet zwischen Spirituality- und Honor-Schrein, mit der Begrenzung durch das Destard Gebirge nach Westen und durch den Küstenverlauf nach Osten. Mit Niederschlagung Zalinderas und Belebung des Fürstentums Trinsic wurde dieser Herrschaftsanspruch ohne eine bekannte und dokumentierte Beurkundung durch die königliche Krone Sosarias durch die Stadt Trinsic beschlossen. Ich kann mich nicht erinnern, diesbezüglich etwas in den königlichen Ratssitzungen gehört zu haben, es fanden sich dazu nur lediglich Aushänge in den Städten.

Mag sein, Eure Exzellenz, das die Stadt Trinsic sich dieses Recht zur Landübernahme aus der Zeit ihres Fürstentums vor langer Zeit her ableitet, das sie nun wieder einzuführen gedenkt, aber königliches Recht stand zu allen Zeiten über den Gesetzen der Landesfürsten. Sollte dem nicht mehr so sein, so geschieht hier Hochverrat im höchsten Maße gegenüber seiner Majestät, dem König und dem sosarischen Volke.
Das, so bitte ich Sie, mögen Sie bedenken zu Wohle der Untertanen seiner Majestät, für die Sie, Exzellenz in Vertretung seiner königlichen Majestät auch die Verantwortung tragen. Ich bitte Sie, sich in Ihrem Amt als Gouverneur daran zu erinnern, dass Sie sich zum Schutze des Gesetzes und dem Wohle des Volkes dazu verpflichtet haben. Ich sehe es daher als meine höchste Pflicht an, als Untertan seiner gnädigen Majestät Ihnen daher meine Besorgnis darzulegen.

Erlauben Sie mir dazu bitte einige kurze Erläuterungen: Die Proklamation dieser Landübernahme wurde ohne große Not und mit großer Eile durch Trinsic beschlossen. Es lässt sich nicht sagen, ob die Argumente der Kritiker Beachtung gefunden haben, und auch wenn dieses zwar keine rechtlichen Konsequenzen für sich nachzieht, so ist es doch eine Verletzung des gebotenen Respekts gegenüber dem Volk. Dieses kann nach meinem Verständnis nicht im Interesse des Königs sein, der die Unterstützung seiner Untertanen insbesondere in unsicheren und wechselhaften Zeiten dringend benötigt.

Als Ihr treuer Vasall setze ich Sie davon in Kenntnis, das noch heute eine Petition von mir an den König gehen wird, mir das königliche Lehen Westcliff on Sea im Südwesten des Landes sowie die Verwaltung südlichen Southern Jungle einschließlich des Southpeak-Gebirgszuges und dem Shrine of Honor sowie der Landzunge des Cape of Heroes und der dem östlichen Küstenstreifen vorgelagerten Insel Bald Island zu übertragen, da dort schon eine Besiedelung dieser braven Untertanen stattgefunden hat.

Da die meisten Bewohner des besagten Dorfes nur einfache Arbeiter – Fischer und Handwerker sind, ohne jegliche Bildung, aber dennoch brave Untertanen seiner Majestät, dem König sind, sehe ich es als meine Pflicht an, diesen Menschen mit Rat und Tat beizustehen, zumal ein Konflikt mit dem neuen Fürstentum Trinsic mir unausweichlich zu sein scheint, da diese Menschen sich als frei und unabhängig betrachten. Da zudem auch eine Überschneidung der von mir und Trinsic beanspruchten Gebiete überwiegend im südwestlichen Teil des südlichen Dschungels vorliegt, in dem sich – hier mögen uns die Götter beistehen – auch das kleine Dorf dieser Leute befindet, bedürfen sie unseren besonderen Schutz bis zur vollständigen Klärung der Besitzverhältnisse durch seine Majestät.
Die Berichte, die mir aus Trinsic zugetragen worden sind, lassen nichts Gutes vermuten, zumal der zuständige Vize-Gouverneur seit der Entführung der Gouverneurin Taira’Tal nun das Ruder dort in der Hand hält. Schlimmeres steht zu erwarten und Eile scheint geboten.
Daher bitte ich Sie, soweit möglich und angemessen, die von mir vorgetragenen und von vielen Mitbürgern geteilten Sorgen zu hören und zu berücksichtigen.

In dem zuversichtlichen Vertrauen auf Ihre Integrität und Ernsthaftigkeit verbleibe ich
Mit ausgezeichneter Hochachtung und freundlichem Gruße

Tehan Dal’Maris“



Cahen sah noch eine Weile auf die sorgfältig beschriebenen Zeilen. Ein leises Lächeln umspielte seinen Mund und in seinen Inneren breitete sich sowas wie Stolz auf. Ja er war richtig stolz auf seinen Herrn. Lord Tehan musste zwar für den Schutz des Dorfes katzbuckeln wie wohl nie zuvor in seinem Leben, aber wie er es tat, kam der Gerissenheit eines Kojoten gleich. Er sah auf und blickte den Gouverneur an.

„Was nun, Eure Exzellenz?“ fragte er dann.
 

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Coco Zamis

Schwertmeister
Eine wichtige nächtliche Störung

(OOC ich weiß nicht ob es eher in das Theater Forum sollte)

Knietief in Blut stehend schaut Nandus sich um. Alle Getreuen schienen gefallen zu sein.
Die Banner Sosarias lagen gebrochen und zerstört herum, Leichen stapelten sich und Hände im Todeskrampf geformt wie Krallen
zeigten anklagend in den düsteren Himmel. "NEEEEEIIIIIIIN" schrie Nandus. Über seine Schulter nahm er einen Schatten
wahr, der immer größer werden auf ihn zu glitt. Er bereitete sich auf seinen letzten Atemzug vor, alles in ihm schrie nach dem Überleben.

"Herr, Herr wacht auf", Nandus schrak hoch und bemerkte das die dunkle Gestalt die ihn an der Schulter rüttelte sein
Diener Alfred war.

"Oh mein Gott", dachte Nandus, "ein Albtraum, eine Vision?". Nun er tippte auf einen Albtraum der ausgelöst von den unverarbeiteten
Ereignissen rund um die Aufgabe die ihnen von "Eurer Majestät's" Schatten Borbarad zuletzt gestellt worden war.
"Hoffentlich war es tatsächlich ein Albtraum" dachte er noch bevor er hin und hergerissen zwischen Dank und Ärger an seinen Diener
die Frage stellte "Alfred, was gibt es denn so dringendes, das Ihr mich wecken müsst. Im übrigen habt Dank dafür, nie wurde mein Schlaf
zum richtigeren Zeitpunkt unterbrochen".

Alfred zog die Stirn kraus und schaute etwas verwundert drein ob der beinahe friedlichen Reaktion darauf, dass er seinen Herren geweckt hatte.
Sicherheitshalber hatte er sich etwas zurück gezogen als klar war, dass Nandus aufwachte.

"Nun Herr, ein Bote hat an unsere Pforten geklopft mit einer anscheinend wichtigen Nachricht"

"Gemach, gemach Alfred. Ich mache mich erst noch etwas frisch. Leg mir mal bitte ein paar Sachen bereit die ich gleich überziehen kann".
Nandus, begibt sich in das Badezimmer des Schlosses und macht sich etwas frisch, dann geht er zurück in sein Zimmer und wirft die bereitgelegten Sachen über.
"MMh ich sollte mir mal einen anderen Morgenmantel besorgen", denkt er noch und schlägt die leicht ausgefransten Ärmel um, damit er nicht als
allzu verarmte Gestalt vor dem Besucher erscheinen muss. "Immer gibt es etwas Wichtigeres, dass das alltäglich notwendige verdrängt" denkt er bei sich.
"Alfred, ich gehe ins Kaminzimmer, du kannst dann in fünf Minuten unseren Gast herein bitten" sprach er zu seinem Diener der auf seinen Herrn gewartet
hatte.

Er saß gespannt in seinem Sessel vor dem Kamin, als Alfred den Besucher herein führte.
Auch wenn er ja eigentlich froh war, aus diesem Albtraum geweckt worden zu sein, musste er ein wenig Stil waren und sagte zu dem Besucher
„Was gibt es so wichtiges, Mann, das ich mitten in der Nacht geweckt werde?". Dies kam ihm aber weniger böse über die Zunge als er normalerweise auf
ungewollte Störungen reagierte.

„Exzellenz, ich habe hier einen Brief von meinen Herrn. Lord Tehan Dal’Maris schickt Euch seinen Gruß und diese Botschaft!“
Lord Tehan, erinnerte sich Nandus, war nicht nur der Störenfried bei der letzten Audienz des Königs der, wenn auch wichtige Gründe scheinbar vorlagen, ihn
in seiner Vorbereitung der Anklage über ein angebliches Fürstentum Trinsic unterbrochen hatte, nein er war tatsächlich auch ein treuer Vasall in der Region
die Skara Brae als die ihre bezeichnen konnte.

Der Bote zog dann das kleine Etui hervor, holte die beiden sorgfältig geschriebenen Pergamentbögen heraus und übergab sie dem Nandus,
der sich nun bequemer hinsetzte.

Während des Lesens wurde ihm immer heißer, denn jetzt war er sich nicht mehr sicher, dass es ein Albtraum gewesen sein könnte. Er hatte schon davon gehört,
was sich in Trinsic tat und wollte auch den König warnen, dass das Reich zu zerfallen drohte und damit könnte es auch eine Vision sein.
Noch mehr ärgerte ihn, dass dieser Dexter Slare immer wieder versuchte seinen Einflussbereich zu vergrößern und das auf Kosten aller.
Jetzt kommen auch noch aus den Randzonen seines Gebietes Hilferufe auf die Nandus sich zu bewusst wurde, dass hier zu reagieren war.

"Eure Exzellenz!"
"Hmmm…ja…was?" antwortete Nandus, tief in Gedanken versunken.
„Ist Euch nicht gut? Was steht in dem Brief?“ fragte der Bote.

„Euer Lord ist ein verdammter…“ Nandus suchte nach Worten, „ein verdammter tollkühner Hund, wisst Ihr das?“ Und als der Bote ihn dann verblüfft,
weil er offensichtlich mit einer anderen Antwort gerechnet hatte, ungläubig anstarrte, überreichte ihm Nandus wortlos den Brief.

Der Bote stellte sich dann näher ans Feuer und begann diesen lesen. Ein Grinsen schien sich auf dem Gesicht des Mannes auszubreiten je länger
er die Botschaft studierte.

„Was nun, Eure Exzellenz?“ fragte der Bote als er den Kopf wieder hob.

"Nun", Nandus war sich bewusst das er im Moment wenig tun konnte ohne sich mit seinen Getreuen beratschlagt und die Meinung anderer Gouverneure zu haben.

"Ich kann im Moment nicht viel versprechen, aber lasst uns Eurem Herren eine Antwort schicken das wir ihn nicht im Stich lassen werden".
"Alfred besorg bitte einen Bogen Pergament und etwas zu schreiben. Ich werde euch einen Brief diktieren".
Alfred, der wie immer dienstbeflissen im Schatten auf seinen Herrn aufgepasst und auf Wünsche gewartet hatte, zog grinsend einen Bogen Pergament, ein Fass Tinte und
einen Federkiel unter seiner Kutte heraus also ob er in die Zukunft hätte sehen können.
"Wie ich sehe, seid Ihr immer vorbereitet Alfred, gut gut. Dann lassest uns anfangen". Sprach Nandus und begann zu diktieren

"Ehrenwerter Lord Tehan,
nicht erst seit Eure Nachricht, beobachte ich Trinsic mit Argusaugen. Die Vorgänge der letzten Monate zeigen bemerkenswerte Entwicklungen in dieser Stadt die
einst ein Juwel Sosarias war. Ich und meine Getreuen waren immer der Ansicht, das freie Wesen frei leben dürfen sofern sie nicht das Leben anderer
gefährden oder einschränken. Das dies ein Grundrecht aller denkenden Lebewesen ist.
Ich denke auch, dass dies die Basis der Acht Tugenden ist, die unser Land so geprägt haben. Auch wenn viele der Meinung sind, dass der derzeitige König
für Chaos steht, hat er nie die acht Tugenden eingeschränkt.
Wie Ihr sicher wisst, ist Skara Brae viel kleiner als Trinsic und hat auch kein ständiges Heer wie Usurpatoren es benötigen. Wir verfügen nur über eine begrenzte
Anzahl von Kämpfern die bei Bedarf unsere Rechte verteidigen. Einige musste ich auch zum Schutze Coves abstellen. Deshalb kann ich auch nicht einen ständigen
Außenposten zu Eurem Schutz abstellen. Das waren die Dinge die ich nicht machen kann.
Jetzt zu den Dingen die mir momentan möglich sind.
Zunächst werde ich meinen Einfluss am Hofe geltend machen um über die örtlichen Grenzziehungen Klarheit zu bekommen und zu schaffen. Wie ich bereits mitbekommen
habe, wurden Westcliff vom König einige Schriftstücke übergeben. Diese möchte ich zunächst mal ansehen und werde Euch in den nächsten Tagen einen Besuch abstatten
und anschließend nach Westcliff zu reisen.
Von meinem Waffenmeister lasse ich ein paar Kanonen entwerfen und Euch zugehen. Möget Ihr sie verwenden wie Ihr es für nötig haltet.
Ich werde mich mit einigen anderen Gouverneuren zusammen tun und beratschlagen.
Solltet Ihr in kriegerische Bedrängnis kommen, so scheut Euch nicht mir diesen dreisten Boten, der noch nicht mal einen Namen zu scheinen hat, wieder zu senden.
Wir werden dann unsere Kräfte sammeln und Euch und Westcliff zur Hilfe eilen.

Ihr möget vielleicht mehr erhofft haben, doch leider sind mir momentan die Ressourcen ein wenig knapp geworden.

Ich bin jedoch davon überzeugt, dass auch zögernde Städte dem Ruf zu Verteidigung der Freiheit eines sosarischen Bürgers folgen werden und wenn es denn sein muss
diesem Herrn Dexter einen fürstlichen Empfang bereiten werden."
"So, Alfred und dann noch das Übliche, Euer Gouverneur Nandus blabla, ihr wisst schon".

Nachdem die Botschaft fertig gestellt wurde, setzt Nandus noch seinen Siegelring in das heiße Wachs, dass Alfred aus einem kleinen Tiegel auf
das Pergament gegeben hat.
"Herr Bote, nehmt dieses Dokument und überbringt es mit den besten Grüßen von mir Eurem Herrn. Mein Diener Alfred hier, wird Euch noch ein wenig Reiseproviant
mit auf den Weg geben. Gehabt Euch wohl."
Nandus schaut mit diesen Worten kurz rüber zu Alfred. Ein leichtes Nicken deutet an, dass Alfred verstanden hat.
Der Bote nimmt das Dokument und wird von Alfred nach draußen geführt. Als der Diener wieder zurück kommt, sagt Nandus zu ihm.
"Warum soll ich hier alleine sitzen und nicht mehr schlafen können, weck Coco und schicke jemanden aus um Twoflower zu holen. Es gibt Dinge
zu besprechen und Pläne auszuarbeiten. Außerdem soll sich der Schmied und der Waffenmeister an die Konstruktion einige Kanonen machen. Diese werden zunächst
an die Burg von Lord Tehan geschickt. Die liegt ja noch auf unserem Gebiet und da kann man uns nicht in die Suppe spucken. Ich werde mir solange bis Coco
da ist, schon mal etwas geglühten Wein zubereiten."
"Aye Lord Nandus, ich sehe zu, das Coco hier erscheint und schicke David los, Twoflower zu holen. Hättet Ihr vielleicht eine Scroll of Magical Reflection über
für die erste Aufgabe?"
Nandus lacht, "Aber sicher Alfred, wir wissen ja was als erstes passiert wenn sie zu Unzeiten geweckt wird". Er steht auf und geht an Box mit den magischen Rollen
um Alfred eine von diesen zu geben.
 
Aus den Chroniken der Stadt Westcliff

Von Darsus, genannt der Chronist, Mönch der Empath Abbey zu Yew und Stadtschreiber von Westcliff

Der königliche Rat

Noch in derselben Nacht machte sich auch Erzkanzler Pilgrin auf, den König sowie den königlichen Rat über die Vorkommnisse im Land zu informieren und rief alle zu einer geheimen Sitzung zusammen. Wie zu erwarten war, war die königliche Hoheit nicht gerade darüber begeistert, was ihm berichtet wurde.

König Blackthorn war in letzter Zeit sehr hart zu sich gewesen, vor allen als er vor wenigen Wochen erkennen musste, dass die Macht der Hexe Minax wieder neu aufgelebt war. Aber Minax war nicht die einzige alte Feindin, die wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht war – mit Exodus hatte der König ein noch schwereres Los gezogen. Er konnte dieses Monster nicht mehr von dieser Welt verbannen wie er es einst gekonnt hatte, und das obgleich Dupre’s Ritter und alle Abenteurer des Reiches ihn im Schach hielten. Felucca war erneut in Chaos versunken, sinnlose Kämpfe und Schlachten waren wieder Tagesordnung. Viele Untertanen im Lande zögerten immer noch, den König zu vertrauen, aufgrund der Machenschaften Minax‘ und Exodus‘ in vergangenen Tagen und sehnten sich nach der Zeit zurück, als sein Freund Lord British das Land regierte. Aber es war zu lange her, das der Lord im Lande gewesen war – alte Namen zählten nichts mehr – und selbst ein König würde keine Gnade von denen erfahren, die die alten Länder durchstreiften.

Der königliche Rat war ein Instrument, das von Lord British im sogenannten „Zeitalter der Aufklärung“ eingeführt worden und lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Wenige Wochen nach dem Sieg des „Fremden von einer anderen Welt“ und nachdem sich das Land und Bevölkerung von dem Chaos, das Mondain’s Untergang gefolgt war, erholt hatte, waren die Lords der acht größten Städte Sosarias übereingekommen, sich unter einem gemeinsamen Anführer zu vereinigen. Man einigte sich auf Lord British, da dieser als der von allen fähigste und weiseste erschien. Die Wahl erfolgte einstimmig, und bald darauf wurde Lord British im ersten Jahr des „Age of Enlightenment“ des Königsreich Britannia als Repräsentant und Vorsitzender des Großen Rates ausgerufen. Die Stadtstaaten Britain, Skara Brae, Trinsic, Yew, Jhelom, Minoc, Moonglow und Magincia vereinigten sich geschlossen unter das königliche Banner.
Im Lande wurde das System der Acht Tugenden eingeführt, welches zwar schon im Groben besonders durch die schon vorher existierenden Lehren der Drei Prinzipien bekannt war, aber erst durch Lord British zu fundamentaler Bedeutung kam.

Mit der Ausrufung eines Königsreiches war es natürlich nicht alleine getan. Die Verwaltung des Reiches wurde in diesem Zeitraum organisiert, und Lord British bereiste die Städte, um unter der Bevölkerung die ersten acht Bürgermeister auszuwählen, die gleichzeitig Vorsitzende des jeweiligen Rates ihrer Heimatstadt sowie Vertreter für ihre Stadt im hohen königlichen Rat von Britannia wurden. Jahre des Friedens und des Fortschritts folgten. Die acht Gründungstädte wuchsen, und es entstanden neue Siedlungen wie Vesper und Cove. Das Reich begann nun mit seinen unabhängigen Nachbarn, dem Herzogtum Occlo und dem Königreich Nujel’m Handel zu treiben, auch wenn dieser Handel immer wieder durch Piraten gestört wurde, die im Laufe der Zeit einen ihrer wichtigsten Unterschlupfe namens Buccaneer’s Den zu einer kleinen Stadt ausgebaut hatten.

Der Frieden brachte nicht nur Ruhe. Kaum, das das ethische System der Acht Tugenden im Lande gefestigt war, hatten Freidenker wie der jetzige König Blackthorn den Tugenden eine zu hohe Restriktivität* unterstellt und über andere Wege des Zusammenlebens philosophiert. Die These von der Tugend des Chaos, die nicht gleichzusetzen war mit den zerstörerischen Kräften, die man sonst mit dem Begriff Chaos verbindet, brachten Blackthorn allerdings den zweifelhaften Ruf ein, mit dem er bis heute zu kämpfen hatte.

* Restriktivität = Einschränkung  
 
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Sigandor

Weiter im Süden der Region Skara Brae lag die kleine Burg Lord Tehan’s am Füße der mächtigen Dragonhame Mountains. Eine tiefe Stille lag über den alten Gemäuer, und nur hin und wieder drang der Schall einer Nachteule durch den angrenzenden Wald hinauf zu einer kleinen Kammer, die von Mondlicht hell erleuchtet wurde und in der noch Licht brannte.
In einem Bett lag ein Mann, der tief und fest zu schlafen schien, dann aber langsam die Augen aufschlug. Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb an einen schlanken Schatten am Fenster hängen, der dort schon eine ganze Weile auf dem Fenstersims in ein Leinentuch geschlungen gesessen hatte. Das helle Licht des Mondes stahl sich durch das feine Gewebe des Tuches und gab mehr vom Körper der Frau preis, als beabsichtigt, aber das schien der schwarzhaarigen Schönheit, die dort mit angezogenen Knien, die sie mit den Armen umschlungen hielt, nicht im Geringsten etwas auszumachen. Wilde zerzauste Haare fielen in langen Locken wellig über eine nackte Schulter, und im silberfarbenen Licht des Mondes schimmerte die sonst bronzefarbene Haut der Frau wie Perlmutt.

Cahen lächelte verträumt, drehte sich dann leise, die Arme im Nacken verschränkend auf den Rücken und ergötzte sich an dem überraschenden Anblick der sich ihm bot. Dann erinnerte er sich. Vor einigen Stunden hatte er sie auf dem Rückweg von Seadream Castle im Norden der Region im Wald getroffen und mit in die Burg genommen.
„Ich weiß, dass du wach bist, Sigandor!“ Die tiefe und angenehme Stimme riss den Waldläufer dann aus seiner kleinen Träumerei und brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.
„Woher weißt du das so genau?“ fragte er leise lächelnd.
„Ich weiß, dass dir gefällt was du hier siehst“ sagte sie schlicht. „Allen gefällt es.“
Sie löste den Blick, der die ganze Zeit aus dem Fenster nach draußen gerichtet war und streckte die langen Beine aus, die sie vorher umschlungen hatte und legte sie übereinandergeschlagen lang auf das Sims. Mit einem längeren Augenaufschlag blickte sie dann über ihre Schulter hinweg auf das zerwühlte Bett, wo der Waldläufer lag und sah diesen nachdenklich an.
„Wie lange bleibst du dieses Mal?“
„Mhm…“ kam es gedehnt zurück.
„Wie lange wirst du bleiben?“ fragte sie dann wieder.
„Ich weiß es nicht. Das hängt von Lord Tehan ab und von den Diensten, die ich für ihn zu besorgen habe.“ Er zuckte kurz mit den Schultern. „ Ein paar Stunden, einen Tag? Eine Woche? Bei dem Lord kann man das nie vorher wissen, das weißt du doch.“
„Ich frage nicht für mich“ entgegnete sie ihm, „ich frage das für deine Mutter, die dich vermisst und schon lange nicht gesehen hat. Die auf ein Lebenszeichen von dir wartet, die alt ist und sehr krank, und jeden Tag sterben kann.“

Ausgerechnet jetzt erinnerte sie ihn an Elise. Elise d’Anvers, seine Mutter, und er spürte sofort wie Schuldgefühle in ihm hochkrochen. Das Fatale an Träumen war, das sie zerplatzten wie Seifenblasen. Cahen runzelte etwas ärgerlich die Stirn. Sie hatte Recht, er war seit Monaten nicht mehr bei ihr gewesen, dort oben in Yew, wo sie die letzten Jahre ihres armseligen Lebens als Magd auf einen der Bauernhöfe verbracht hatte.

Einst waren seine Eltern von Britain als Wanderarbeiter über die Lande gezogen, hatten als Grasmäher, Torfstecher oder als Feldarbeiter ihr kärgliches, aber dringend benötigtes Einkommen erarbeitet und waren schließlich in Yew hängengeblieben, wo sie bei einem Vollbauern gegen geringes Entgelt eine bescheidene Hütte anmieten konnten. Als Tagelöhner mussten sie dem Bauern Handdienste leisten, durften für ihren Eigenbedarf aber kleinere Felder für sich bestellen, die ihnen der Bauer zur Pacht überließ. Ein Zubrot ließ sich auch aus den einfachen handwerklichen Fähigkeiten gewinnen, die die beiden hatten. Aber der Hunger war ein täglicher Begleiter. Cahen erinnerte sich noch, wie er schon als kleiner Junge halb verhungert auf den harten und trockenen Kartoffelacker herumgekrochen war, um seiner Mutter eine kümmerliche Ausbeute zusammenzusuchen, die der Bauer in der Stadt nicht verkaufen konnte. Aber ein Tagelöhner zählte nicht viel in der Gesellschaft. Tagelöhner waren die niedrigsten Einwohner auf den Dörfern. Häuslinge nannte man sie – es klang noch immer wie ein Schimpfwort in seinen Ohren. Damals hatte er sich geschworen, seinen Eltern einmal ein besseres Leben bieten zu können.
Die Familienverhältnisse waren äußerst ärmlich und brachten viele an den Rand ihrer physischen Existenz. Sein Vater war mit dem ständigen Hunger nie fertig geworden, und die viele Arbeit auf dem Hof zerrte an seinen Kräften. In einer sehr kalten Winternacht verstarb er und hinterließ seiner schmächtigen Frau nur einen Bogen aus Eichenholz und ein paar kupferne Münzen, die nichts wert waren – neben einem Haufen Kinder, die er ihr in den Leib gepflanzt hatte. Aber der Bauer hatte Mitleid mit Elise d’Anvers. Sie durfte auf den Hof bleiben, und entging so dem Los aller Witwen und Waisen, in eines der Armenhäuser des Landes gesteckt zu werden.

An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Cahen setzte sich auf und ließ seine Beine über die Bettkante baumeln. Seine Hand suchte auf dem Boden nach seiner Hose, die er sich rasch überzog. Dann stand er auf, streckte sich kurz durch und trat zu ihr an das Fenster.
„Wie schlimm ist es?“ fragte er knapp.
„Sehr schlimm. Sie hustet Blut, und sie isst kaum noch. Die Heiler sagen, sie hätte nur noch wenige Wochen.“ Sie sah ihn an und er nickte kurz. Cahen schlang seine Arme um ihren Bauch und zog sie an sich. Dann sagte er leise:
„Ich habe etwas Gold gespart. Lord Tehan entlohnt mich gut für die Dienste, die ihm leiste.“ Er seufzte dann, und es klang als müsste er einen dicken Kloß im Hals runterschlucken, der dort festzusitzen schien.
„Die Sache, für die er mich braucht ist sehr wichtig, das musst du verstehen. Aber sage meiner Mutter, das ich mich gleich auf dem Weg zu ihr mache, sobald dieser Auftrag hier vorbei ist.“
„Versprichst du mir das?“
Cahen nickte. Er sah sie an, in ihre braunen, sanften Augen und wurde sich wieder bewusst, wie sehr sie ihn an Elise, an seine Mutter erinnerte.
„Das tue ich“ sagte er dann. Dann fiel sein Blick auf den Hof. Ein elegant gekleideter Reiter war eben von einem stattlichen Hengst abgestiegen, der mit dampfenden Nüstern auf den Hof geritten war. Einer der Knechte war schon herbeigeeilt und hatte das verschwitzte Tier in den Stall gebracht. Er zeigte nach unten, und Mene folgte seinem Blick.
„Der Lord…“ sagte er dann knapp, … er ist da!“
 
Zu früher Stunde

Die Nacht war die Freundin derer, die heimlich vorgehen mussten. Es war die Zeit der leisen Schleicher und dunklen Gestalten. Es war die Zeit, wo man tiefsinnigen Gedanken nachhing oder Ränke schmiedete. Zeit der Stille und des Nichts. Es war auch die Zeit derjenigen, die die Leere der Straßen ausnutzen, um schneller voranzukommen.

Lord Tehan hatte den Tag und den Abend verschlafen, nachdem Cahen mit den beiden Briefen losgeritten war, und war erst am späten Abend wieder aufgewacht. Er hätte gerne noch ein paar ruhige Tage auf der Burg seinen Schwagers in Minoc verbracht, aber er wusste nun, das sein Erscheinen in Skara Brae bald erforderlich sein würde. Er war sich sicher, dass Gouverneur Nandus eine Menge Fragen haben würde. Er ließ den Diener wecken, der alsbald erschien und mehr recht als schlecht, da er müde war, eine Reisetasche für den Lord packte. Als dieser sich dann leise schimpfend mit der Tasche in den Stall begab, um das Pferd des Lords aufsatteln zu lassen, verstaute Tehan die Kopien der Briefe sorgfältig in einer verschließbaren Lederetui, das er in eine Tasche in der Innenseite seine Weste steckte. Eilig schrieb er noch ein paar Zeilen an Benike, seine Frau, die ebenfalls auf der Burg verweilte, bevor er dann seine Kammer verließ, um sein Pferd zu holen.

Der Morgen dämmerte bereits. Die Nacht war kühl gewesen, und leichter Raureif hatte sich an den feinen Ästen der Büsche abgesetzt, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich der Winter ankündigte. Der Lord schob seinen Hut tiefer in die Stirn, schlug den Kragen seines Mantels hoch und zog diesen enger um seinen Leib. In einer Stunde würde es hell sein, und bis dahin wollte er seine eigene Burg am Fuße des Dragonhame Mountain erreicht haben. Er beschloss, das magische Tor bei Minoc zu nehmen, das im Wald zwischen den Städten Minoc und Vesper lag. Tehan lenkte das Pferd die Straße rauf nach Norden, über eine kleine Brücke auf einen schmalen Pfad, der um den Mount Kendall bis zu dem Zigeunerlager führte, das vor der Stadt Minoc lag. Im Lager rührte sich nichts, nur die Pferde scharrten mit den Hufen und schnauften leise, als mitten durch ritt, und dann hinter dem Lager in den Wald abbog, wo er dann bald auf das magische Tor stieß. Eine ovale Wand aus bläulich schimmernder Energie, die er beherzt betrat. In wenigen Augenblicken hatte er das ganze Land von Nordosten in den Südwesten durchquert, was für einen normalen Reiter nur in Stunden zu bewältigen war.

Er fand die kleine Inselstadt in dichtem Nebel gehüllt, als er aus dem Mondtor trat. Tehan lenkte sein Pferd nun durch ein kleines Waldstück in die kleine Stadt hinein bis an den kleinen Hafen, wo eine Fährverbindung ihn wieder aufs Festland brachte. Als er die ersten Hütten der im Umland der Stadt wohnhaften Waldläufer hinter sich gelassen hatte, lenkte er das treue Tier querfeldein über die Felder der Bauer und ritt dann noch ein weiteres Stück durch einen dichten Laubwald, bevor dann in der Ferne in dem sich nun lichtenden Nebel, der von den ersten Sonnenstrahlen dieses kalten Novembertages vertrieben wurde, seine Burg auftauchte. Ohne das Lord Tehan etwas dazu tun musste, fiel das Tier in einen schnelleren Galopp, als ob es spürte, dass der Lord einfach nur nach Hause wollte, und Tehan ließ es laufen. Sie erreichten schon bald das Burgtor und ritten dann in den Hof hinein, wo ihn einer der Knechte das verschwitzte Tier abnahm und in den Stall brachte.
„Massa Lord!“ Tehan sah sich um. Aus der Küche neben den Stallungen war ein schlanker, schwarzhäutiger Mann getreten und strahlte über das ganze Gesicht.
„Ihr wieder da, oh Massa. Sein so gut! So viel geschehen!“
Der Schwarze plapperte munter weiter, während er Tehan die Reisetasche abnahm und mit ihm in die kleine Burgküche ging.
„Langsam Ruguru …“ Tehan lächelte und machte eine beschwichtigende Handbewegung.
„Lass mich erst ankommen und frisch machen, dann kannst du mir erzählen, was es so wichtiges gegeben hat.“
 
Der Rat des Erzkanzlers

Erzkanzler Pilgrin hatte eine wahrlich lange Nacht vor den Türen der königlichen Gemächer verbracht. Er hatte schon aufgehört zu zählen, wie oft seine Augen zugefallen waren und das Kinn auf der Brust gelegen hatte. Und jetzt verspürte er auch noch den unbändigen Drang, auf den Abtritt zu gehen, um seine Gedärme zu erleichtern. Er schreckte auf, als ein dunkler Schatten über ihn fiel, der ihn an der Schulter rüttelte. Pilgrin schaute auf und sah in das Gesicht des königlichen Leibdieners.
„MyLord Kanzler? Ihr dürft jetzt eintreten, seine königliche Majestät erwartet euch bereits.“ Pilgrin unterdrückt erneut ein Gähnen, erhob sich und folgte dem Diener dann durch ein paar versteckte Wege, vorbei an den königlichen Wachen, die vor der Kammer des Königs standen, durch einen niedrigen Torbogen hindurch, an dem er sich beinah den Kopf gestoßen hätte, in ein schummeriges Halbdunkel. Nachdem seine Augen sich daran gewöhnt hatten, sah sich der Erzkanzler in dem Raum um, der bemerkenswert schlicht eingerichtet war. Wenig bis nichts deutete darauf hin, dass er sich hier in den Gemächern des mächtigsten Mannes von ganz Sosaria befand.
„Erzkanzler Pilgrin, mein König!“ kündigte der Diener ihn an und zog sich dann mit dem gebotenen Respekt zurück. Pilgrin blieb stehen, wo er stand, senkte das Kinn soweit er konnte, auf die Brust hinab, wie es dem weltlichen Herrscher zukam und wartete darauf, dass die schemenhafte Gestalt des Monarchen, der am Fenster gestanden und heraus gesehen hatte, ihn ansprach.

Nur noch wenig erinnerte an den alten Lord Blackthorn, der das Land mit seiner Chaostheorie so gespalten hatte. Obwohl er noch keine fünfzig Winter zählte, war er in den letzten Monaten merklich gealtert, gebeugt unter der Last der Ereignisse, die sein Leben und seine Herrschaft so rapide verdunkelt hatten.
„Kommt ran, mein Freund.“ Der König winkte den Erzkanzler dann heran und bedeutete ihm, sich zu setzen. Er sprach leise in einer sehr bedächtigen Art, die ihm auf Grund seiner langsamen Sprechweise im Land schon den Ruf eines Zauderers eingebracht hatten, die aber unbestritten Teil seiner Wesensart war. „Nun, da ihr da seid, muss ich gestehen, ich werde etwas unruhig.“
„Eurer Majestät mögen mir verzeihen.“
Der König war, was selten genug vorkam, allein in seiner Kammer. Er hatte die Neigung, sein Ohr Beratern aller Art zu schenken, die oft genug nur den eigenen Vorteil im Sinn hatten. Pilgrin selbst hatte sich damit all die Jahre zurückgehalten, und war nun umso überraschter, das ihn der König plötzlich mit dieser sehr speziellen Angelegenheit betraut hatte.
Blackthorn hatte sich unterdessen in einen schweren, mit Leder beschlagenen Stuhl aus Eichenholz gesetzt. Der König steckte in einer Robe aus rotem Brokat mit goldfarbenen Borten, die nach orientalischer Art geschnitten war. Die einstmals edlen Gesichtszüge waren eingefallen und von Sorgen gezeichnet, und das lange Haar hing in wirren Strähnen. Der dichte Bart, der die untere Hälfte des Gesichts bedeckte, wirkte etwas ungepflegt und war für seinen Geschmack ein wenig zu lang geworden.
„Wisst ihr dass es fast dreißig Jahre her ist, seit wir uns das erste Mal hier begegnet sind? Ich war noch ein junger Mann damals und ihr versuchtet mir die Lehre der acht Tugenden zu vermitteln.“ Blackthorn lächelt etwas wehmütig.
„Ihr habt mir beigebracht, dass wir die uns gegebene Zeit auf Erden nutzen müssen. Ich muss oft daran denken, an Eure endlosen Lektionen, Eure Beharrlichkeit, wenn es darum ging, die Grundaussage dieser Thesen zu erfassen.“ Pilgrin hörte höflich zu und nickte nur leicht zur Bestätigung. Der König fuhr fort:
„Noch mehr als Euer Wissen jedoch schätze ich Eure Ehrlichkeit, und das umso mehr, da ich als Herrscher dieses Landes von Lügnern umgeben bin – von solchen die mir übelwollen, aber auch von Speichelleckern, die mir aus reiner Gefallsucht das Wort reden. Ihr jedoch, Pilgrin habt all die Jahre immer das ausgesprochen, was ihr dachtet, auch wenn es mir oft nicht gefallen hat. Deshalb habe ich Euch und niemanden anderen mit dieser so prekären Angelegenheit betraut.“
„Ich danke Euch mein König“ kam es überrascht von Pilgrin und verneigte sich geehrt noch einmal.
„Ich danke Eurer Majestät für Euer Vertrauen und weiß es zu schätzen!“
„So habt Ihr die Schriftstücke genauestens geprüft, die zu untersuchen ich Euch in Auftrag gegeben habe?“ Blackthorns Miene blieb regungslos, aber seiner bebenden Stimme konnte man die innere Anspannung des Königs sehr wohl anmerken.

Pilgrin kaute auf seiner Unterlippe herum und ertappte sich dabei, das er jetzt viel lieber woanders wäre. Er holte tief Luft. Es war eh sinnlos. Der Moment der Wahrheit ließ sich wohl hinauszögern, aber nicht verhindern.
„Eure Majestät, der königliche Rat hat die uns überlassenen Schriftstücke genauestens untersucht. Trinsic versucht erneut unter seinem neuen Fürstentum das Statut seiner Majestät auf schärfste anzugreifen. Den endgültigen Beweis erhielten wir heute von einem Boten eines gewissen….“Pilgrin war für einen Moment der Name entglitten, „ … eines gewissen Tehan aus Skara Brae, einen der Untertanen von Gouverneur Nandus. Wenn auch die Beweise für den endgültigen Tod von Lady Taira’Tal uns noch nicht vorliegen, so ist dieses Schriftstück des Tehan doch ein eindeutiger Beweis für die Willkür dieses aufstrebenden Fürstentums, sich Ländereien der Krone ohne Zustimmung seiner Majestät anzueignen. Ich habe bereits einen guten Mann nach Trinsic geschickt, der sich inkognito die Sache genauer ansehen wird und mir hoffentlich bestätigt, was Lord Tehan hier schreibt.“
„Dieser Lord Tehan…war das nicht dieser dreiste Kerl, der den Gouverneur von Skara bei der letzten Audienz ins Wort gefallen ist? Der sich so leidenschaftlich für dieses kleine Kaff im Süden… wie hieß es doch gleich…ach ja…Westcliff - also für dieses kleine Kaff eingesetzt hat?“
„Ja, Euer Majestät.“
Der König dachte einen Moment nach. Er sah den Erzkanzler lange nachdenklich an. Nach einer Weile fuhr er sich immer und immer wieder durch seinen zerzausten Bart und trieb den Kanzler damit ordentlich die Schweißperlen auf die Stirn. Da fragte er ihn überraschend:
„Nun Lordkanzler… was … würdet Ihr tun?“
„Nun…“ Pilgrin schluckte sein Unbehagen runter, sammelte sich für einen Moment und dachte kurz nach, bevor er weitersprach.
„Der Kronrat hat sich bereits ausgiebig über diese Thematik unterhalten. Was Westcliff dabei betrifft, sind die Herren Räte dabei zu folgendem Ergebnis gelangt, das wir unter den gegebenen Umständen als vernünftige Lösung des Konfliktes betrachten können.“ Erzkanzler Pilgrin machte eine kurze Sprechpause, fuhr sich nervös mit der Zunge über seine trockenen Lippen und blickte gespannt auf den König.
Dieser hatte sich bequemer in seinen Lehnstuhl gesetzt, das Kinn auf den aufstellten Arm abgestützt, und hörte dem Kanzler aufmerksam zu.
„Nun.. Pilgrin…“, er machte eine auffordernde Geste zum Weitersprechen, „dann sagt an, was der Rat in der Sache beschlossen hat und ob ich dem zustimmen kann.“ Der Erzkanzler nickte und fuhr dann fort:
„Da wir nicht wissen, was Trinsic in naher Zukunft noch mit uns vorhat, und die Leute den Schutz seiner Majestät benötigen, schlägt der Rat folgendes vor: Wir verleihen dem kleinen Kaff das Recht eines ständigen Marktes, den sie frei gestalten können und stellen damit diesen Ort und die angrenzende Region unter den Marktfrieden. Wie Majestät sicher wissen, ist dies ein besonderes Recht, das Ihr, mein König als oberster Marktherr erlassen könnt und das Euch auch zusteht. Damit würde das kleine Kaff unter Euren besonderen Schutz gestellt, und die dort wohnhafte Bevölkerung zunächst zufrieden. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass dieses sogenannte kleine Kaff bereits zu einer stattlichen Größe herangewachsen ist.“

Der König schaute etwas überrascht auf und wollte gerade nach dem Grund fragen, aber Pilgrin hatte nun seinen Mut wiedergefunden und sprach einfach weiter.
„Durch die Küstenlage liegt es sehr günstig für Handelsbeziehungen zwischen den Städten Trinsic, Jhelom und Serpent’s Hold, und das zieht auch die Leute aus dem Reich an. Eure Majestät werden sich bestimmt schon bald um die Gewährung von Stadtrechten zu kümmern haben, die sich zwangsläufig aus der Gewährung des Marktrechtes ergeben.“
„Und wem soll ich Euer Meinung nach dieses Recht anhand geben? Diesen dreisten – wie hieß er doch gleich?
„Tehan… Tehan Dal’Maris aus Skara Brae, mein König“
„Also diesem Tehan sagt Ihr….Wie steht es um die Lauterkeit dieses Herrn?“
„Euer Majestät, wir haben bereits alles überprüfen lassen. Lord Tehan ist einer der treuesten Vasallen von Nandus, Gouverneur von Skara Brae und durch und durch ein ehrbarer Mann und treuer Diener des Landes.“
„Ihr seid also der Meinung, dass man diesem Mann trauen kann?“
„Absolut, Euer Majestät.“
Der König erhob sich aus seinen Stuhl und ging dann einige Male in seiner Kammer hin und her. Erzkanzler Pilgrin wartete gespannt. Als der Blackthorn dann abrupt stehenblieb, wusste Pilgrin, dass der König seine Antwort gefunden hatte.
„Pilgrin, ruft einen Euer Schreiber herein… oder nein, wartet… Ihr schreibt selbst…“ Der Erzkanzler stöhnte innerlich, aber er tat dann wie ihm befohlen wurde. Und Blackthorn fing an zu diktieren…
 
Aus den Chroniken der Stadt

Von Darsus, genannt der Chronist, Mönch der Empath Abbey zu Yew und Stadtschreiber von Westcliff

Märkte und Städte


Die Städte in Britain hatten angefangen, eigene Handelsbeziehungen untereinander zu unterhalten. So gelangten orientalische Waren wie Seide und Gewürze sowie Gold und Silber, kostbarer Schmuck aus Nujel’m auf das Festland. Die Händler aus dem Orient liefen die großen Hafenstädte des Landes an, verkauften dort ihre Waren und kauften im Gegenzug dafür Pelze, Leder, Erze und Salz ein. Bald beteiligten sich auch wagemutige Kaufleute an diesem Handel. Diese standen unter dem Schutz des Königs und waren freie Händler. Sie nahmen zwar nicht an den Heerfahrten des Königs teil, durften aber auf ihren langen Reisen zu ihrem eigenen Schutz Waffen bei sich führen. Sie genossen Handels- und Zollfreiheit, mussten aber im Gegenzug für dieses Privileg dem König eine regelmäßige Abgabe zahlen.

Es wurden vor allem die großen wirtschaftlichen Zentren im Lande aufgesucht. Zum einen waren das die königlichen Pfalzen wie Britain, Trinsic und Luna, aber auch andere Sitze von großen Grundherren überwiegend klerikaler Art wie große Abteien der Kirchen in Yew. Vor allen an den kirchlichen Plätzen konnten die Kaufleute mit guten Absätzen ihrer Waren rechnen, denn die Kirche war sehr reich und besonders an kirchlichen Feiertagen strömten die Menschen herbei zu den Gotteshäusern. Handwerker und Bauern der umliegenden Fronhöfe kamen zusammen und boten ihre Erzeugnisse an langen aufgestellten Tischreihen an – es wurde Markt gehalten.
Schnell bildeten sich verschiedene Marktformen heraus. Neben den üblichen Jahrmärkten fanden nun auch Wochenmärkte statt, auf denen vor allen Lebensmittel und Handwerkserzeugnisse zum Verkauf angeboten wurden. Hier konnte man sicher sein, die tüchtigsten Handwerker zu finden, und hier fanden die Handwerker auch zahlreiche Abnehmer ihrer Waren. So mancher Feudalherr schickte seine eigenen Handwerker dorthin, in der Hoffnung, dadurch das eigene Einkommen zu erhöhen. Reichere Kaufleute legten sich Warenlager an, und zum Schutz vor Überfällen wurde die Siedlung oft mit Erdwällen und Pfahlwerk umgeben. So entstand um den Marktplatz eine befestigte Siedlung, oft mit einer Burg in ihrem Zentrum.

Das Recht, einen Markt zu eröffnen, wurde vom König verliehen. Es war mit dem Privileg für den Marktherrn - Bischof, Abt oder Lord – verbunden, eigene und fremde Kaufleute und Käufer auf den Markt zuzulassen und von ihnen den Marktzoll zu erheben. Oft erhielt der Marktherr zugleich das Münzrecht, wodurch der Handel der Waren erheblich erleichtert wurde. Auf der anderen Seite war der Marktherr seinen Dienstmannen verpflichtet, den Marktfrieden zu sichern und unrechtlichen Handel oder Gewalttaten zu verhindern. Jeder der den diesen Frieden brach, wurde durch ein Marktgericht bestraft. Streitigkeiten aus dem Marktverkehr wurden ohne den Formalismus des herrschenden Landesrechts entschieden. Die Freiheit des Handelsverkehrs sowie die Sicherheit der Wege mussten garantiert sein.
 
Die Einladung des Gouverneurs

Der Brief des Gouverneurs erreichte am frühen Vormittag die Burg von Lord Tehan. Der Lord saß in seinem Studierzimmer und dachte nach. Die Antwort des Königs stand noch immer aus, aber Gouverneur Nandus hatte schnell reagiert. Die Hilfe aus Skara Brae mochte zwar begrenzt sein, aber Nandus zeigte Verantwortung, ein Umstand den Tehan sehr an ihm schätzte. Der Gouverneur hatte bereits seinen Besuch angekündigt, und Tehan machte sich nun daran, ihm eine kurze Antwort zu schreiben.

„Geehrte Exzellenz,

ergebenen Dank für Eure schnelle Rückmeldung und Eurem Beistand. Für Euren Besuch auf meiner Burg lasse ich bereits alles vorbereiten. Scheut Euch bitte nicht, diesem dreisten Boten, den ich Euch erneut schicke, eine Rückantwort zu Eurem Kommen mitzugeben.
Es ist beruhigend zu wissen, dass wir in dieser Thematik einer Meinung sind, auch wenn ich mir erhoffe, diese Angelegenheit auf friedlichem Wege regeln zu können. Krieg ist nicht immer die beste Lösung, und dieses gebeutelte Land hat genug Leid erfahren in den letzten Jahren. Es führt auch nicht immer zu einer guten Vertrauensbasis mit der Bevölkerung. Diese mag zwar erst „Hurra“ schreien und die Mützen hochwerfen, aber ungleich schwerer und lauter dann das Los sinnlos vergeudeten Lebens beklagen. Bei der begrenzten Anzahl an Kämpfern, die Ihr stellen könnt, wäre dieses auch zu bedenken. Hier vertraue ich voll und ganz auf die Richtigkeit der Entscheidung seiner Majestät, König Blackthorn, was den Konflikt anbelangt.

Unklar ist mir allerdings, welche Schriftstücke Eurer Exzellenz meinen, die Ihr in Eurem Brief erwähnt, aber es ist durchaus möglich, das es bereits einen Schriftverkehr zwischen seiner Majestät und Euch gab, von dem ich keinerlei Kenntnis habe. Vielleicht haben es Eure Exzellenz auch nur missverstanden, denn sollten bereits andere wichtige Dokumente des Königs vorliegen, hätte ich bereits eine Nachricht aus Westcliff erhalten.

Ich hoffe, bald durch Eure Anwesenheit beehrt zu sein verbleibe
Mit ausgezeichneter Hochachtung und freundlichem Gruße

Tehan Dal’Maris


Nachdem die Tinte getrocknet war, faltete Tehan den Brief sorgfältig zusammen und verschloss diesen mit heißem Siegelwachs, auf das er mit Hilfe seines Siegelringes das Zeichen seiner Familie eindrückte.
Cahen, den er schon vor einer Weile gerufen hatte, war nun auch in das Zimmer getreten und wartete geduldig. Lord Tehan winkte den Waldläufer dann heran.
„Hier Sigandor, der ist für den Gouverneur und beeile dich.“ Er drückte ihm dann den Brief in die Hand, den Cahen sorgfältig in seiner Geheimtasche verstaute, die sich in seinem Mantel befand.
Die beiden Männer sahen sich noch einen Augenblick schweigend an, dann nickte Tehan leicht, als wäre er nun bereit.
„Bring die Antwort von Nandus am besten gleich wieder mit…“ hier grinste der Lord, „ und eh‘ ich’s vergesse….vergiss nicht wieder dich vorzustellen!“
 

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Des Königs Befehl

Während Cahen unterwegs nach Skara Brae war, erreichte ein Bote des Königs um die Mittagszeit herum die Burg von Lord Tehan. Überrascht davon, so schnell eine Antwort des Königs zu erhalten, nahm Tehan den Brief an sich, nachdem er angewiesen hatte, Pferd und Reiter zu versorgen. Er nahm den zusammengerollten Brief aus einer ledernen Schatulle, zog den Bogen sachte auseinander und begann dann zu lesen. Ruguru, sein schwarzhäutiger Knecht beobachtete ihn dabei aufmerksam. Ihm entging nicht, dass der Lord immer mehr mit den Zähnen zu knirschen schien. Allem Anschein nach schickte der König ihm eine Nachricht, mit der sein Herr so nicht gerechnet hatte. Ruguru wusste, dass jetzt besser war, den Herrn jetzt nicht zu stören. Er schaute Lord Tehan nach, als dieser eilig den Burghof verließ und seine Schreibstube aufsuchte. Oboro, seine Frau, die sich schon wunderte, dass der Lord nicht in die kleine Küche kam, um zu essen, trat nun aus der Tür und schaute nach den beiden.
„Was Lord haben, Mann?“ fragte sie dann erstaunt. Dann sah sie den Lord die Treppe zu seiner Schreibstube raufgehen. Ihr Blick kehrte zu Ruguru zurück.
„Er nichts essen, dann du ihn geärgert“ schalt sie ihn.
„Frau nicht sehen, was Mann gesehen. Lord bekommen Brief, Brief ärgert“ verteidigte Ruguru sich schaute ein wenig betrübt sein, aber das schien Oboro keineswegs zu besänftigen.
„Du nun gehen Küche, sonst essen Hühnchen kalt. Nichts mehr machen warm – weder für Lord noch für Mann. Frau noch genug Arbeit!“ Sie winkte den Boten des Königs heran und bedeutete ihm, hereinzukommen. Der Bote kam der Aufforderung gerne nach. Er lachte leise auf, als er hörte wie der Schwarze noch ewas wie „Zank Weib“ vor sich hin brabbelte und dabei übertrieben die Augen rollte.

In seiner Schreibstube angelangt, sank Tehan in seinen Lehnstuhl und dachte über das eben gelesene nach. Was hatte er sich eigentlich erhofft? Das der König gleich seiner Bitte nachkommen würde? Er hätte sich im Klaren sein müssen, das seine Majestät nichts ohne Gegenleistung tun würde, aber gleich so etwas von ihm zu verlangen. Noch einmal las er den Brief. In fein geschwungener Handschrift hatte ihm Blackthorn nun folgenden Befehl erteilt:


Blackthorn, durch Gottes Gnade König der Sosarianer sendet dem Herrn Tehan seinen Gruß sowie seine Gunst und wünscht alles Gute.

Wir machen deiner Person bekannt, dass wir das, was du uns so eindringlich beschreibest, schon in den Händen gehalten haben; aber wir werden dennoch nicht nachlassen mit aller Kraft für die Ehre des Königreiches zu arbeiten. Deshalb ermahnen wir seine Lordschaft aus tiefster Seele, dass du mit deinen dir anvertrauten Seelen vor dem allmächtigen Gott Bitten für uns ausbreitest, damit er, wenn wir uns in irdischen Dingen abmühen, uns so zu sich wende, dass wir die Kraft haben, seine Gnade zu erlangen. Sicher aber sollst du sein, dass wir bei jedem Anliegen von dir, das an uns geleitet wird, weder Bevorzugung noch Hass auf irgendjemanden anwenden werden, sondern dass wir uns vornehmen, allein unter dem Aspekt der Gerechtigkeit eine gerechte Entscheidung zu fällen.

Besiegelt mit unserem königlichen Siegel, das gegeben zu Britain nach Christus Geburt zweitausendfünfzehn Jahr und unserem Reich den britannischen in den siebzehnten Jahr.



Jetzt sollte er noch zu irgendeinem Gott beten lassen…wusste der König eigentlich was er da verlangte? Sosaria hatte entweder viele Götter oder keine. Jeder der neu ins Land kam, brachte einen gewissen Glauben mit. Vor kurzem war in Minoc der längst tot geglaubte Tempel der Ri wieder erstarkt und hatte dort eine Mission oder was auch immer in der Nähe des Flusses unweit der Burg seines Schwagers aufgebaut. Seine ältester Bruder Riel und seine Schwester Inghean waren Führer eines Clans oben in den Wäldern von Yew, der sich „Clan des weißen Wolfes“ nannte. Elfen hatten wieder andere Götter als Menschen, und ob Gargoyles überhaupt zu einem Gott beteten, vermochte Tehan nicht zu sagen. Er selbst und seine Familie war aus dem Land Faerûn nach Sosaria gekommen – einem Land mit unzählig vielen Göttern. Und hier sprach der König, der einst die Lehre des Chaos vertreten hatte, nun von einem „allmächtigen Gott“ – und den wiederum verehrten die Mönche oben in Yew. Überhaupt… Yew!

Tamar, sein Sohn war immer noch dort und sollte längst in Westcliff seinen Aufgaben nachgehen. Von Belenus, einem guten Freund und Ritter des Councils hatte er vor kurzem gehört, das die Priesterin Cai’Lean nach dem erneutem Niedergang des Councils wieder in die Abbey zurückgegangen war. Cai’Lean…Tehan lächelte leicht bei der Erinnerung an diese sanftmütige Frau, die nach der Zerstörung des alten Maginicia erneut ihre Heimat verloren hatte. Sie war nach Skara Brae gekommen, wo Tehan sie für eine Zeitlang als Erzieherin seiner damals noch kleinen Kinder aufgenommen hatte. Riel, sein Bruder hatte sich dann in sie verliebt und ihr den Hof gemacht, und sie hatte ihm einen Sohn geschenkt – Ronan. Riel war dann wieder nach Yew zurückgegangen, wo sein Clan auf ihn wartete, und Cai’Lean folgte ihn dann, als die Kinder groß genug waren und sie nicht mehr brauchten. Aber Yew war groß und seine Wälder weitreichend, und nach einer Zeit vergeblichen Suchens hatte die Priesterin die Hoffnung aufgegeben, seinen Bruder je wiederzufinden. So war sie in der kleinen gleichnamigen Ansiedlung Yew in der Nähe des Klosters geblieben, wo Abt Severus sie aufgenommen hatte. Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn er beide um „göttlichen Beistand“ bitten würde.

Tehan atmete tief durch. Da Cahen gerade unterwegs war, hatte er noch einige Tage Zeit, eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Unten in Westcliff mussten sie ja auch noch von dem Befehl des Königs unterrichtet werden. In jedem Fall sollte der Bote des Königs eine Antwort an seine Majestät bekommen. Er griff sich also Pergament und eine Feder und schrieb ein paar Zeilen des Einverständnisses an Blackthorn zurück. Als der Brief gefaltet und gesiegelt war, verließ der Lord seine Schreibstube und ging in die Küche zurück, wo der Bote sich schon zum Aufbruch fertig machte. Tehan überreichte ihm den Brief.
„Übergebt das bitte seiner Majestät mit meinen Gruß. Und richtet dem Kanzler aus, das wir das Nötige in die Wege leiten werden.“

Der Bote nickte nur knapp und nahm den Brief an sich, den er sorgfältig verstaute. Dann ging er eilig hinaus zu seinem Pferd, das Ruguru bereits wieder aus dem Stall geholt hatte, schwang sich auf den Rücken des Tieres und lenkte das Tier auf den angrenzenden Wald zu. Tehan war mit ihm aus der Küche getreten und sah ihm noch einen Moment nach. Ein eisiger Wind fuhr in den Burghof, spielte mit dem abgefallenen Blättern der Obstbäume und erinnerte ihn wieder an den nahenden Winter. Die Tage würden nun merklich kürzer werden, die Nächte ungleich viel länger. Das Leben in der Natur machte eine Pause und die Welt kam nun zur Ruhe. Eine andere Zeit würde nun für alle hereinbrechen – eine lange Zeit des Wartens.
 

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Aus den Chroniken der Stadt Westcliff

Von Darsus, genannt der Chronist, Mönch der Empath Abbey zu Yew und Stadtschreiber von Westcliff

Götter, Götzen und Prinzipien

Die Vielfalt der Götter in ihrer Vielzahl konnte für manchen Bewohner Sosarias sehr verwirrend sein, kamen doch durch Personifizierung eine ganze Reihe unterschiedlichster Aspekte mit in die Legenden und Mythen, die sich von den hier lebenden Völkern erzählt wurden. Aber genauso wie der kirchliche Klerus Sosarias viele Heilige - oft irgendwelche Märtyrer, die durch ihre eigene Lebensgeschichte zu Besonderheiten wurden, verehrte, hielt das einfache Volk noch immer fest an den alten Gottheiten. Gemeinsam lag beiden Traditionen zugrunde das Konzept eines Schöpfers oder aus der Sicht der Magiebegabten, eines Initiators, durch dessen Macht jene geringeren, greifbareren und zugänglicheren Heiligen, Götter oder himmlische Wesen ins Leben gerufen worden waren. Aber immer wieder symbolisierten sie ein und dasselbe – eine vielgestaltige Natur und mit ihr das in den Dingen Enthaltene, das sich aus ihrem Wesen ergab – kostbar und heilig zugleich.

Die Religion bestimmte in allen Lebensbereichen das Leben der Menschen auf Sosaria. Christliche Werte , an denen sich das Leben hier überwiegend orientierte und zu denen vor allen Demut, Gottesfürchtigkeit und Nächstenliebe zählten, wurden propagiert. Die kirchliche Lehrmeinung, die eine Teilung der Gesellschaft in drei Stände als gottgegeben ansah, wurde von nahezu allen Angehörigen des ersten und zweiten Standes – Klerus und Adel – unterstützt. Bauern und Leibeigene als Teil des dritten Standes jammerten und beklagten wohl hin und wieder die harten Lebensbedingungen, die ihnen auferlegt wurden, dagegen aufbegehrt wurde aber höchst selten. Sie fügten sich in ein Schicksal ein, das ihnen seitens der Kirche als unentrinnbar gepredigt wurde. Die Sprache der Geistlichen war Latein und somit ein Herrschaftsinstrument, da die Bildungs- und Alphabetisierungsrate der Bauern extrem gering war. So war die Auslegung der Heiligen Schriften alleinige Sache der Geistlichen, die auch festlegten, was als gottgefälliges Verhalten galt. Der Glaube und die Ausübung genau bestimmter religiöser Rituale nahm einen festen Platz im Alltagsleben der Bevölkerung ein und wurde zum festen Bestandteil des Tagesablaufes.

Dort, wo die Macht der Kirche keinen Einfluss auf die Menschen hatte, hing man noch immer an den alten magischen Vorstellungen und Kulten, dort beteten die Menschen weiter zu ihren alten Göttern und lebten ungestört ihren Glauben. Aber die Macht des Klerus nahm – unterstützt durch den Adel – beständig zu, und so kam es, dass man den zeit Urzeiten bestehenden Glauben des einfachen Volkes nun vielfach als Hexerei und heidnische Verirrung als Teufelswerk brandmarkte. Man verbot die uralten rituellen kultischen Handlungen, dämmte sie nach und nach ein und verunsicherte die Menschen mit dem Szenario des Jüngsten Gerichts, das in den erschreckendsten Farben ausgemalt wurde. Ein weiteres Mittel, um sich besonders Abtrünnige wieder gefügig zu machen, war die Androhung der Exkommunikation, was für den Betreffenden gleichbedeutend war mit dem Ausschluss aus der religiösen Gemeinschaft und somit auch aus dem himmlischen Paradies.

Lord British wusste um diese Macht. Um der Alleinherrschaft der Kirche und des Adels entgegen zu wirken, wurde zu Zeiten seiner Herrschaft von der Krone die Lehre der „Drei Prinzipien und der acht Tugenden“ eingeführt – eine Entscheidung, die der König aufgrund ihrer Dringlichkeit ohne vorherige Beratung mit dem königlichen Rat selbst treffen konnte.
So kam es, das seinerzeit neben den acht Räten der Tugenden, die den großen königlichen Rat – das Great Council bildeten, auch drei spirituelle Orden als Hüter der Prinzipien entstanden – manifestiert in den Befestigungen der Empath Abbey in Yew, dem Lycaeum in Moonglow und der Festungsinsel Serpent’s Hold als – als Interessenvertretung des ihnen jeweils zugeordneten Prinzipiums von Liebe, Wahrheit und Mut.
 

Ena'Enyat

Diener
Dona nobis pacem

Mit dem November begann nun wieder die dunkle und kalte Jahreszeit. Die Bäume streckten ihre kahlen Gerippe trotzig in den eisigen, scharfen Wind, der sich über das Land gelegt hatte und den schon nahenden Winter ankündigte. Die Menschen trauerten um den Verlust der Sonne und fingen bald an, sich wieder nach Wärme zu sehen. Das Licht schien verloren und doch wussten die Menschen auch, dass eine Zeit des Umbruchs kommen würde – eine Zeit des Wechsels. Denn im tiefsten Dunkel verborgen, würde das Licht wieder über die Dunkelheit siegen – zur der Zeit, die man Wintersonnenwende nannte.

In der Stille der winterlichen Wälder strebte dieser Tage Weihnachten, das Fest mit dem die Christen die Geburt Jesu Christi feierten, dem Höhepunkt entgegen. Während sich die Bauern im den kleinen Dorf Yew nahe der Empath Abbey sich auf das Wintersonnenwendenfest freuten und das Dorf festlich geschmückt hatten, bereiteten sich die Mönche und Nonnen des großen Klosters spirituell auf die Ankunft des Gottes Sohnes vor, wie sie Jesus nannten. Die ganze Nacht schon hatte man bereits die strengen Riten vollzogen, die dem Höhepunkt des Festes vorausgingen – eine Nacht in der die Gesänge und Gebete scheinbar endlos schienen. Nun stand ein kleinerer Chor Mönche und Nonnen im Hochchor am Ende der langen Halle der Klosterkirche und probten ein einfaches kirchliches Lied.


Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis...


Etwas abseits saß eine ältere Frau allein auf einer Holzbank und lauschte dem machtvollen Singsang auf Latein in einer der kleinen Kapellen, die in eine Nische neben die lange Halle gebaut waren und direkt an dem mächtigen und prachtvoll mit Steinschnitzereien ausgeschmückten Lettner angrenzten, der den Hochchor von der langen Halle abtrennte. Sie steckte in einer schlichten Robe aus blauer Wolle, die sie farblich von den braunen und schwarzen Kutten der Mönche und Nonnen abhob. Das lange weiße Haar fiel locker zusammengebunden auf ihre Schultern und umrahmte ein feingeschnittenes, edles Gesicht, in dem sich im Laufe der Jahre einige feinere Falten gelegt hatten. Eine kleine, verblasste Tätowierung in Form eines Mondes zierte ihre Stirn in der Mitte am Haaransatz, und die Hände lagen auf in ruhiger Haltung auf einem abgegriffenen Buch, das sie auf den Schoss gelegt hatte.

Cai’Lean lächelte leicht. Sie war dankbar für diesen Augenblick der Ruhe. Vor einigen Stunden war sie noch im Dorf gewesen und hatte auf den verarmten Höfen der Bauern nach den Rechten gesehen und die Kranken dort gepflegt. Sie war auch dankbar dafür, dass hier in der Abbey eine neue Bleibe gefunden hatte – und sie war Abt Severus sehr verbunden, das er sie nicht drängte, doch auch den neuen Glauben anzunehmen, der hier im Kloster gelehrt wurde. Der Abt war eine bemerkenswerte Ausnahme, was Glaubensfragen anging, und so kam es das hier oben in Yew der alte Glaube weiterhin ungestört neben dem noch jungen Christentum ausgeübt werden konnte.
Er wusste auch, dass man die Bauern und einfachen Leute im Dorf nicht zwingen konnte, denn viele konnten mit den kirchlichen Bräuchen auch nichts anfangen. Die Kirche war dabei ganz geschickt vorgegangen. Da die Menschen von den ihrer Meinung nach heidnischen Bräuchen nicht lassen wollten und man sie somit auch nicht „missionieren“ konnte, wurden die neuen christlichen Feste einfach auf die besonderen „Feiertage“ des keltischen Sonnenkultes gelegt.

Als geweihte Priesterin der Mutter-Göttin wusste Cai’Lean natürlich um die Ursprünge dieses Brauches, der viel älter war als die Kirche selbst. Jetzt in der Zeit der Wintersonnenwende gebar die große Göttin tief in der Erde während der stillsten und längsten aller Nächte das immer wieder kehrende Sonnenkind. Das Licht kehrte in die Welt zurück – und diese Tatsache war für das einfache Volk schon immer Anlass gewesen, diesen erneuten Sieg des Lichtes über die Dunkelheit der Nacht gebührend zu feiern.


Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis...


Still übersetzte Cai’Lean für sich die wieder und wieder gesprochenen Worte: Christe, Du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser.
Erbarmen - und auch Erlösung – wie sehr wünschten sich die Menschen das – wie sehr wünschte sie sich das. Die Zeiten, in denen ihr die große Göttin Zeichen und Antworten gegeben hatte, kamen immer weniger häufig. Fast schien es als hätte sie aufgegeben, aber Cai’Lean wusste dass es nicht so war. Dennoch … wie konnte dieses kleine Kind, dessen Ankunft sie hier so hochlobten, mehr Erbarmen haben als die Große Mutter, der sie als Priesterin immer noch verbunden war?


Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem…


Ihr Blick fiel auf eine Statue der Mutter Gottes auf einem kleinen Altar in einer der kleinen Nebenkapellen der auf einer Empore in der Halle. Es war schon verblüffend. Irgendwann im Laufe der Zeit hatte man Maria von Nazareth, der Mutter dieses Kindes einen gottähnlichen Rang verliehen – ihr Aufstieg zur Himmelskönigin und als „Gottesgebärerin“ machte sie damit zur wichtigsten weiblichen Heiligen gleich nach der Trinität und wurde auch kirchenrechtlich besiegelt. Im Laufe der Jahre verschmolzen die Eigenschaften der Mutter-Göttin in Gestalt großer Göttinnen wie der ägyptischen Isis, der persischen Inanna und Ischtar, der römischen Diana oder der griechischen Artemis und noch viele mehr mit dem Bild der Jungfrau Maria, die besonders von den Frauen in liebevoller Zuneigung weiter verehrt wurde.


Dona nobis pacem, pacem…Dona nobis pacem… Gib uns deinen Frieden.


Ein neuer liturgischer Gesang erfüllte nun wieder die große Halle, der erst leise begann und dann in vollstem Ton auch bald die kleine Nische der Marienkapelle ausfüllte. Die Worte trafen sie tief ins Herz und Cai’Lean musste plötzlich tief schlucken, so nah ging ihr das jetzt. Sie konnte auch nicht verhindern, dass sich das Wasser in den Augen sammelte und bald eine Träne sich ihren Weg über ihre Wange bahnte…
Erinnerungen an längst vergessenes und verdrängtes liefen vor ihren inneren Auge ab wie ein in einer schnellen Bildfolge vor ihrem Auge ab. Sie bemerkte, wie ihr Atem tief und stoßweise wurde. Ihr Herz raste und das Blut pochte in ihren Adern vor der aufkommenden Panik, die Cai’Lean immer wieder in unregelmäßigen Abständen befiel. Die Worte des kirchlichen Liedes klingen nun auch nicht mehr lieblich, sondern dröhnten nun wie Hammerschläge in ihrem Kopf. Reflexartig drückte eine Faust an die rechte Schläfe, wo das Pochen des Kopfschmerzes besonders heftig war und schloss gequält die Augen.
Frieden! Würde sie diesen jemals wieder finden? Sie hatte plötzlich das Gefühl ersticken zu müssen. Sie drückte sich von der Bank hoch, und verließ mit eiligen Schritten die kleine Kapelle, vorbei an den überraschten Abt Severus, der nach ihr sehen wollte, und rannte fast getrieben hinaus ins Freie…

Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem…

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Agnus Dei
Dona Nobis Pacem
 

Ena'Enyat

Diener
Die Bruderschaft der Rose

Es blieb noch einige Zeit bis ihn die Glocke zur Vesper rief. Abt Severus war nach dem der Chorprobe beim Mittagsgottesdienst in die Wärme seiner Amtsstube gegangen und hatte sich dort an die Vorbereitung des Abendgottesdienstes gemacht. Es würde noch ein Weilchen dauern, bis Bruder Vicinius heraufkam, um ihn beim täglichen Führen der Klosterbücher zu helfen. Die Augen des Abtes waren im Laufe der Jahre immer schwächer geworden, und er war dankbar, dass der jüngere Mönch die oft ausufernde Korrespondenz mit Kardinal Varenga in Britain schon fast selbstständig übernommen hatte. Das Schreiben im trüben Licht der flackernden Kerze hatte ihn wieder sehr angestrengt, und er merkte nun wie seine Lider immer schwerer wurden und er häufiger wegnickte als ihm lieb war. Nun, es war ohnehin Zeit für eine kurze Erholungspause.
Abt Severus legte die Hände auf den Tisch, an dem er gesessen hatte und drückte sich nun hoch. Langsam, mit ein wenig schlurfenden Schritten ging er dann zu einem Armsessel hinüber zu dem kleinen Kamin, in dem bereits ein lustiges Feuerchen flackerte. Er setzte sich hinein und legte sich eine Wolldecke über die Knie. Seine Gedanken gingen zurück an den Vorfall in der Klosterkirche. Es war ihm immer noch ein Rätsel, warum Cai’Lean die Halle so fluchtartig verlassen hatte, und es bedrückte ihn, das er dieser so klugen und sensiblen Frau nicht helfen konnte. Vor ein paar Monaten war sie nach dem erneuten Zusammenbruch des Council of Yew in einem völlig desolaten Zustand wieder zurück ins Kloster gekommen, wie alle die sich nach großen Lebensturbulenzen nach einem stillen Rückzugort zum Nachdenken sehnten, um wieder zu sich selbst zu finden.

Hier im Nordwesten des sosarischen Kontinents gelegen und nordwestlich der großen Waldgebiete des „Deep Forest“ und dem kleinen Dorf Yew stand die Empath Abbey hier für viele als Symbol für das Prinzip der Liebe. Flankiert von Eichenbäumen auf der Waldseite und der rauen See auf der anderen, war die Abbey wie ein Fixpunkt des Friedens für viele geworden. Einst eine Festung, wurde das große Gebäude die Heimstatt eines Ordens, der Bruderschaft der Rose, deren Name sich von den wilden Rosenbüschen ableitet, die Druiden vor hunderten von Jahren auf dem Gelände der Abbey gepflanzt hatten. Männer und Frauen dienten und dienen hier gemeinsam in schlichten Roben dem Prinzipium der Liebe, die sich besonders in zwei Relikten mit symbolträchtiger Bedeutung wieder fand: hier in den Mauern der Abbey stand bis zum heutigen Tage die „Candle of Love“, und hier hütete man auch die Ewige Flamme der Liebe. Und eines war so gewiss, wie der beste Wein, der hier hoch oben in Yew im Kloster hergestellt wurde – solange wie die Mauern der Empath Abbey hier bestanden, würden Liebe und Mitleid diese Welt erhellen.

Froh über diesen Gedanken lehnte sich Abt Severus ein wenig bequemer zurück in verschlissenen Polster des alten Armsessel. Er lauschte noch eine Weile dem Knacken der Birkenscheite im Kamin, als ein Luftzug das Feuer hell auflodern ließ.
„Seid ihr das Bruder Vicinius?“
„Ja Pater. Verzeiht meine Verspätung. Lady Cai’Lean kam noch ins Spital und bat um ein paar Kräuter zur Beruhigung. Ich habe ihr dann noch einen Tee bereitet. Sie wirkte sehr aufgelöst. Ist etwas vorgefallen?“
Abt Severus sah den jungen Mönch nachdenklich an. Bruder Vicinius hatte sich, zusammen mit Bruder Darsus nach Ankunft der ehemaligen Heilerin des Councils aufopferungsvoll um sie gekümmert. Wie die beiden war auch er der Meinung, dass sie über den tragischen wie unschönen Niedergang des Councils noch etwas anderes mit sich herum trug, das sie tief in ihrer Seele belastete – etwas aus einer sehr langen Vergangenheit. Aber Cai’Lean war auch stolz, und sie erduldete ihr Schicksal einfach. Selbst Mutter Teresia, mit der er zusammen das Kloster hier leitete oder einer der Nonnen hatte sie sich nicht anvertraut. Abt Severus seufzte leicht, als er antwortete:
„Sie hat in der Kapelle gesessen und dem Chor bei der Probe gelauscht. Ihr wisst schon… die Proben für das Weihnachtsfest. Als die kleine Schwester Timida dann das Dona nobis pacem anstimmte, ist sie rausgelaufen. Mich hat sie gar nicht zur Kenntnis genommen.“
Abt Severus lächelte leicht.
„Nun ja… wer nimmt auch schon einen alten Mann wie mich zur Kenntnis. Ich hoffe nur, das unser Gast hier trotzdem das findet, was sie sucht.“
Bruder Vicinius nickte leicht. Er schien kurz zu überlegen, sprach dann aber nicht aus was er dachte. Abt Severus betrachtete ihn einen kleinen Moment, bevor er wieder das Wort ergriff.
„Nun Vicinius – wenn denn weiter nichts ist… was schreiben wir dem Kardinal heute?“
 
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Julzeit

Wie zu keiner anderen Jahreszeit veränderte die Winterzeit die Stimmung und das Verhalten der Menschen hoch oben im Norden. In ihrer Vorstellungswelt standen Sommer und Winter als Mächtige Kräfte des Lichtes und der Dunkelheit im stetigen Kampf zueinander, in dem mit dem Fortschreiten des Jahres der dunkle kalte Winter die Oberhand über einen kurzen, fruchtlos gewordenen Sommer und Herbst gewann.

Bedingt durch raues, hartes Klima und strenge Fröste mit Schneefall lagen Ackerbau und Viehzucht als Lebensgrundlage der Bauern nun brach. Traurig und bedrückt beobachteten die Leute den immer kleiner werdenden Pfad der Sonne und das Ende des Sommers, der die Sonne immer schwächer, ihr Licht blasser werden ließ. Während der Julzeit schien sie nur noch wenige Stunden, um dann von der kalten See verschluckt zu werden wie von einem bösen Monster an einem kalten Mittwintertag. Sie lag dort wie in einem kühlen Grab, und die Menschen, die nun in den warmen Stuben saßen, Kerzen gegen die immer länger werdende Dunkelheit anzündeten und sich als Zeitvertreib lange Geschichten erzählten, fragten sich im stillen, ob die Sonne denn wohl wiederkehren würde, um ihnen das Überleben zu sichern.
Dann - am Mittwintertag würde das Wunder aufs Neue geschehen. Die Sonne würde sich aus ihrem kühlen, nassen Grab erheben, wie ein neugeborenes Kind wachsen und stärker werden und sich endlich wieder den erleichterten Menschen zeigen, die sich darüber freuten und fühlten, dass das Leben zu ihnen zurückgekommen war. In jener geweihten, heiligen Nacht entzündete man die Julfeuer und ließ Feuerräder laufen, um das die Wiedergeburt des Sonnenlichts und den Lauf der Sonne zu feiern – und natürlich die Götter.
Allen voran den Gott Wotan oder Odin, wie sie ihn hier im Norden nannten, den Gott der Ahnen und der Toten ehrte man, auch den Gott Freyr, den Herrn über Alfenheim, bat man um Fruchtbarkeit im neuen Jahr sowie auch Frigg als Mutter und Beschützerin des Hauses. Die Julzeit war die Zeit, in der die Sippe, die Familie wieder eng zusammenrückte und der Ahnen gedachte.

Auf der Straße, die von Skara Brae durch die Berge führte, lenkte ein einsamer Reiter sein Pferd weiter durch die hier und da verstreut am Rande liegenden, tief verschneiten Gehöfte zur Mitte des Dorfes hin. Es war ein frostiger, aber klarer Wintertag, und leichter Schnee, der in der letzten Nacht gefallen war, lag wie eine luftige, wärmende Decke auf dem Boden, die dort, wo die tiefen Sonnenstrahlen hinfielen, funkelte wie tausend Diamanten.
Die Höfe waren mit den immergrünen Zweigen von Tannen, Eiben, Kiefern und Fichten, Stechpalmen und Efeu geschmückt worden, von denen es hieß das sie heilende und schützende Kräfte hatten und an denen man Äpfel und Nüsse gehängt hatte. Vor der Tür stand eine kleine Schale Winterbrei, um den Julwichten etwas Gutes zu tun. Diese kleinen Wesen waren sehr scheu, weswegen man sie nicht so oft sah, und wenn überhaupt dann meist nur eine kleine rote Kappe. Die kleinen Geister, die die Haus und Hof, Mensch und Getier bewachten, wollten meist nur ihre Ruhe haben, und ein Mensch der klug war, respektierte das auch. Die Luft war erfüllt vom Duft guten Essens, und Cahen merkte das er Hunger bekam.
Vor ein paar Tagen war der Waldläufer von der Burg Lord Tehan’s aufgebrochen und hatte sich auf den Weg nach Yew in das gleichnamige Dorf in den Norden gemacht. Nachdem Mene ihm berichtet hatte, wie schlecht es seiner Mutter ging, wollte er sie unbedingt noch einmal sehen bevor sie der große Gott Thor, der auch der Gott des einfachen Bauern war, sie in seine Halle Bilskirnir rief.

Als er die verlassenen Ruinen des Council of Yew erreichte, wusste er, dass er bald da war. Unterwegs traf er nun immer wieder auf Bauern, die mit einer Axt in den Wald gegangen waren, und die nun einen großen Holzklotz vor sich her rollten, den sie aus einem großen gefällten Baum herausgeschlagen hatten. Es war ein alter Brauch, diesen Klotz während der Rauhnächte zwölf Tage und Nächte lang brennen zu lassen. Andere Bauern waren dabei, Sonnenräder aus Holz anzufertigen, die sie mit Stroh bespannten und die dann auf eine Anhöhe gebracht wurden. Frauen liefen mit Räucherwerk umher und reinigten Haus und Hof. Dem Vieh wurde von den letzten Korngaben gegeben, und das Stroh hatte man so zusammengebunden und geflochten, das es wie ein kleiner Ziegenbock aussah.
In fast allen Fenstern auf den Höfen hatte man Julbogen hingestellt, aus Hasel-, Birken oder Wacholderzweigen im Halbkreis gebogene Kerzenleuchter, die mit Efeu, Tannengrün und Misteln geschmückt wurde. Cahen lächelte leicht. Er dachte an die Zeit seiner Kindheit hier oben in Yew, wo er selbst zur Julzeit zusammen mit seiner Mutter und Svea, der Frau von Bauer Raik Ulfarsen diese Bogen gebaut hatten. Ein lachendes Kindergesicht mit fröhlichen tiefblauen Strahleaugen schob sich in seine Erinnerungen. Merrit – die kleine Tochter von Svea und Raik – damals war sie noch ein Kind gewesen. Weit gingen die Gedanken des Waldläufers nun zurück in die Vergangenheit. Er sah sich wieder auf Raiks Hof mit der kleinen Merrit auf dem Schoß in der kleinen Wohnküche sitzen, die ihm dabei mit vor Eifer glühenden Wangen dabei half, auf einem kleinen Brett, das als Unterlage dienen sollte, einen feinen, aber stabilen Bogen aus Birkenzweigen zu befestigen. In die Mitte des Bogens wurde ein kleiner Pfosten angebracht, der den Lebensbaum darstellte. Zwei Querstreben zogen sich dann parallel zum Bogen und gingen dabei soweit über den Rand hinaus, dass sie Platz für vier kleine Kerzen boten. Während Svea und seine Mutter in der Küche standen, und erneut Teig mit viel Honig für das Julgebäck anrührten, von dem später auch ein Teil an den Bogen gehängt wurde, half Cahen dem kleinem Mädchen den Bogen zu schmücken.

Der Lärm einer Menschenmenge rief ihn wieder in die Gegenwart zurück. Jetzt vor dem Julfest strömten die Händler und Bauern noch einmal in die Stadt, um an einem der letzten Markttage des alten Jahres noch Einkäufe zu erledigen, oder selbst ein paar Waren zum Verkauf zu bieten. Cahen hatte jetzt das Dorf Yew erreicht und war von seinem Pferd abgestiegen, das er nun an der Leine führte. Er ließ sich vom Strom der fahrenden Händler mittreiben und befand sich bald am Rande des kleinen Marktplatzes in der Mitte des Dorfes, auf dem ein paar fahrende Händler ihre Stände errichtet hatten. Eine ältere Frau kam auf ihn zu und reichte ihm lächelnd einen Becher mit warmen Kräuterwein, den er dankbar entgegennahm. Er ließ das Pferd nun frei laufen, setzte sich an einen der aufgestellten Tische, die man um die Stände herum platziert hatte, und ließ den Blick über die Menge schweifen, die geschäftig an ihm vorbeizog. Dann erregte etwas seine Aufmerksamkeit.

Eine junge, blonde Frau löste sich aus einer dichteren Menge und kam eilig auf den Kräuterweinstand der älteren Frau zu, die ihm den Wein gegeben hatte und redete eindringlich auf sie ein.
„Esa.. hilf mir, schnell. Du musst mich verstecken. Tjark… er ist…“ Gehetzt blickte sich die junge Frau wieder um. Die ältere Frau nickte verstehend und winkte sie heran.
„… ist betrunken, ja, ja … Komm, Mädchen, schnell unter den Tisch und kein Wort“. Sie hob eine Plane, die man über den Tisch gelegt hatte, und die junge Frau schlüpfte schnell darunter. Rechtzeitig genug, wie Cahen fand, denn schon im nächsten Augenblick stob die Menge vor einen ziemlich wütenden und torkelnden Nordmann auseinander, der schon sichtlich Mühe hatte noch auf seinen zwei Beinen zu stehen.
„Wo ist sie…“ brüllte dieser, „ wo ist sie hin, die kleine Schlampe?“ Er drehte sich, leicht mit den Armen rudernd um sich selbst und suchte den Platz ab. Er bekam keine Antworten. Die Leute waren ängstlich vor dem großen schwarzhaarigen Hünen zurückgewichen, der nun eindeutig den Platz beherrschte. Auch Cahen saß da und wartete gespannt ab, was nun passieren würde.
„Wer ist das?“ fragte er Esa dann leise, die in der Zwischenzeit eine Schüssel mit dampfenden Fleisch befüllt hatte, das sie nun vor dem Waldläufer hinstellte. Die ältere Frau folgte seinem Blick.
„Das ist Tjark Alwarsen“, meinte sie dann verächtlich, „ der Sohn vom hiesigen Jarl. Man sagt, er sei auf großer Fahrt gewesen und gestern heimgekommen, was er nun feiert, wie man sieht.“
Sie nickte leicht in die Richtung, wo der Hüne nun stand und mit glasigen Augen die Menge musterte. „Er trinkt seinen Göttern zu, und wenn er dann stockbesoffen ist, macht er es mit jedem Rock, den er kriegen kann. Und weil er der Sohn des Jarl ist, hält er sich für unwiderstehlich, vergisst dabei aber, dass das nicht alle hier so sehen. Jetzt versucht er es bei Raik Ulfarsens Tochter.“

Beinahe wäre dem Waldläufer der Krug aus der Hand gerutscht, aus dem er gerade trinken wollte. Sein Blick ging unauffällig zum Schanktisch, wo die junge Frau sich noch immer versteckt hielt. Merrit! Er hatte zwar erwartet, dass aus dem kleinen Mädchen mittlerweile eine junge Frau geworden war, aber nicht mit solch einem Liebreiz gerechnet. Er fühlte nun wie sich sein Körper anspannte, bereit dazu, im richtigen Moment aus der Deckung zu kommen, um sich schützend vor die junge Frau zustellen. Tjark musterte die Menge wieder mit glasigen Augen.
„Ihr… ihr wollt mir also nichts sagen, hä?“ kam es leicht lallend heraus. „Verdammtes Pack, was glaubt ihr was ihr seid?“ Wieder suchten seine Augen die Menge ab, dann setzte er sich langsam wieder in Bewegung und strauchelte auf den Kräuterstand der älteren Frau zu, stellte sich an den Tisch und stützte sich mit einer Hand drauf ab. Er ergriff einen Krug und schob diesen der älteren Frau hin.
„Weib… schenk mir Wein ein!“ Esa sah ihn fast mitleidig an, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf.
„Hast du nicht gehört – du sollst mir Wein einschenken!“
„Du hast genug getrunken, Tjark Alwarsen“ kam es zurück. Tjark glotzte Esa erstaunt an und schnappte dann hörbar nach Luft.
„Frau bist du toll… was fällt dir ein? Gib mir jetzt Wein!“ Er spuckte diese Worte fast aus vor aufkommender Wut, aber die Händlerin schien keine Angst vor ihm zu haben.
„Genug jetzt, Tjark, es reicht für heute. Wen auch immer du hier suchst, hier ist niemand vorbeigekommen, auf den deine Gelüste passen. Also geh jetzt nach Hause und schlaf deinen Rausch aus. Deinen Göttern hast du heute schon genug Trinkopfer dargereicht.“ Sie nahm ihm den Krug aus der Hand und winkte nun ein paar Männer heran.
„Oder glaubst du etwa, es wird dem Allvater gefallen, dass dein Speer nicht steht, wenn es drauf ankommt?“ Einige Lacher waren nun aus der Menge zu hören, und Tjark glotzte nur noch sprachlos auf Esa, die nun mit einem Kopfnicken den herbeigerufenen Männern andeutete, den großen Hünen vom Platz zu bringen.

Die Menge verteilte sich nun wieder langsam, und das beschauliche Markttreiben ging wieder an. Als sich Esa wirklich sicher sein konnte, das dem jungen Ding, das die ganze Zeit unter dem Tisch abgewartet hatte, nun nichts mehr passieren konnte, hob sie die Plane und winkte die junge Frau heran.
„Du gehst jetzt auch besser, Merrit. Ich weiß nicht, wieso und warum er nun auf dich ein Auge hat, aber eines kannst du mir glauben, er wird dich nicht eher in Ruhe lassen, bis er zu seiner nächsten Fahrt aufbricht.“
 
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