Eine Frage des Vertrauens
Die alte Tür öffnete sich mit leisem Knarren, als Branwir sein Haus betrat. Der alte Pembroke schaute überrascht auf, als er seinen Ziehsohn erblickte.
„Branwir...was ist mit dir...du...du siehst fürchterlich aus“.
„Aye...Vater...“, erwiderte Branwir leise und ließ seine Gardeuniform aus seiner linken Hand gleiten. Der blutige Stoff fiel auf den Boden...
„Bei den Göttern, was ist geschehen?“ Der Blick seines Ziehvaters wanderte von den Blutflecken auf der Uniform langsam nach oben, fiel dann auf das zermürbte Gesicht Branwirs.
„Setz dich Junge...“ Der alte Pembroke legte seine Hand sachte an den Oberarm seines Ziehsohnes und führte ihn wie einen alten gebrechlichen Mann zu Tisch.
Branwir ließ sich geistesabwesend auf einen der Stühle sinken und starrte eine Weile vor sich auf den Tisch.
„Vater...ich habe dir doch von diesem armen Kerl erzählt, diesem...Phelps...“
Der alte Mann nickte. „Ja und du hattest mir davon berichtet, dass du einen Informanten in Jhelom getroffen hast, der dir wichtige Dinge über diesen Mann erzählen konnte.
Bist du...den Spuren weiter gefolgt?“
„Nein, denn es ist etwas dazwischen gekommen...wenn du so willst....“
Branwir blickte seinem Ziehvater mit finsterer Miene in die Augen während er weitersprach.
„Während meines Unfalls war der Rest der Garde auf dieser Insel von der uns Isabelle berichtet hatte.“
Der alte Pembroke lauschte gespannt, während Branwir weiter erzählte.
„Sie haben drei Personen wieder mitgebracht...eine Frau und zwei Männer.“
„Mehr nicht? Ich dachte, ihr hattet dort das Schiff dieses sagenumwobenen Piraten Redbeard erwartet.“
Branwir ließ sich gegen die Lehne des Stuhles zurückfallen und nickte.
„Das hatten wir gedacht...richtig...stattdessen waren dort nur diese drei Personen.
Zuerst dachten wir, dass es Piraten seien, aber Nadine äußerte sehr schnell erste Bedenken.
Alle drei benahmen sich sehr seltsam, ähnlich wie dieser Phelps...
Mir selbst war es bis heute nicht gelungen, ein vernünftiges Wort mit den Gefangenen zu wechseln. Die meiste Zeit haben sie geschlafen oder waren wie weggetreten. Einer der drei sang zwischendurch immer wieder seltsame Lieder...Piratenlieder, wie wir erst meinten, herauszuhören.
Aber heute änderten sich die Texte plötzlich und er schien uns eine Geschichte zu erzählen...die Geschichte seiner Entführung.“
„Seiner Entführung...?“ Pembroke blickte ihn überrascht an.
„Aye...Entführung. Der zweite Mann benahm sich anfangs ebenso merkwürdig, aber später immer mehr lichte Momente. Auf meine Frage, wie er heißen würde, antwortete er mit der Zahl vierunddreißig.“
„Vierunddreißig...?“
„Genau...und er fragte mich, wohin das Schiff fahren würde, ob es uns zu einem Markt bringen würde. Ich fragte ihn, welchen Markt er meinte und er nannte den Namen Nujel'm.“
„Hm...Nujel'm ist über die Grenzen dafür bekannt für seine Sklavenmärkte...“, folgerte der alte Pembroke.
„So sagt man, genau. Ich vermute, dass dieser Mann kein Pirat war, sondern ein Gefangener, der als Sklave nach Nujel'm gebracht werden und dort verkauft werden sollte. Er sagte noch einige andere Dinge, die Hinweise darauf gewesen sein könnten.
Branwir senkte seinen Blick, bevor er weitersprach.
„Und die Dritte im Bunde war eine junge Frau. Mit ihr konnte ich nur wenige Worte wechseln, aber es schien so, als wäre auch sie nicht freiwillig auf dieser Insel gewesen.“
„Du sprichst von allen drei Personen aus der Vergangenheit...sind sie...“
„Aye...“ Branwir blickte seinen Ziehvater wieder direkt in die Augen und sprach weiter.
„Das Blut an meiner Uniform...es ist...ihr Blut...“ Branwir ließ seinen Blick zu der Stelle wandern, wo er seine Uniform fallen lassen hatte.
„Wir haben versucht, die Gefangenen die letzten Tage zu schützen....“
„Zu schützen vor wem?“
„Vor...vor unseren eigenen Kameraden. Und vor Fürst Slare.“
Sein Ziehvater blickte ihn stirnrunzelnd an.
„Aye...du hattest mir von deinem Misstrauen hinsichtlich des Fürsten und einiger Gardisten berichtet.
Branwir stütze seine Unterarme auf dem Tisch auf und beugte sich zum alten Pembroke rüber.
„Vater...ich sage dir...die Dinge, von denen mir Nadine und der Hauptmann erzählt haben...sie passen zu dem, was ich erlebt habe.
Wichtige inhaftierte Personen scheinen einfach zu...“ Branwir beendete den Satz mit einer wischenden Geste seiner Hand.
Bis heute weiß ich nicht, ob wir überhaupt dieser Gardistin trauen können, von der ich dir erzählt hatte.“
„Du meinst die Gardistin, die diesen Phelps in den Tot geschickt hat?“
„So ist es.“
Der alte Mann blickte zu Branwirs Uniform und wandte sein Gesicht dann wieder seinem Ziehsohn zu.
„Aber was ist nun mit den drei Gefangenen geschehen?“
Branwir lehnte sich wieder zurück, verschränkte die Arme und lachte bitter. „Was mit denen geschehen ist? Das will ich dir sagen. Es kam zu einem verdammten Schauprozess...nichts anderes war das.
Der Fürst hat uns befohlen, die Gefangenen auf der Straße zu versammeln und beschuldigte sie der Piraterie.
Er hatte sich das fein ausgedacht. Den Henker hatte er bereits mitgebracht!
Kaum hatte der Fürst das Urteil gesprochen, hatte der Henker bereits sein Beil gezogen und vollstreckte sofort das erste Urteil.
Aber dann kam alles anders...“
Branwir atmete schwer, als er seinem Ziehvater weiter von den Geschehnissen berichtete.
„Der Kopf der jungen Frau fiel mir direkt vor die Füße...sie hatte lilafarbenes Haar weißt du...so wie Nadine...“ Seine Stimme wurde leise und klang leicht abwesend, während er weiter sprach.
„Ich starrte in die leblosen Augen...“ Branwir schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich werde dieses Bild nie vergessen...“
Er erhob sich langsam wandte sich von seinem Vater ab und starrte in das Kaminfeuer, in dem unter leisen Knistern ein Holzscheit verbrannte.
Der alte Pembroke blieb sitzen und blickte auf den breiten Rücken seines Ziehsohnes, während Branwir dort im Raum stand und um Worte rang.
„Dann ging alles so schnell, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Hauptmann Kjartan ergriff sein Schwert und hieb auf den Henker ein, der im selben Moment den zweiten Gefangenen enthauptete. Ich reagierte nur noch wie in einem Alptraum...zog auch mein Schwert und eilte dem Hauptmann zu Hilfe. Aber der Henker schaffte es im letzten Moment, auch noch dem dritten Gefangenen den tödlichen Hieb zu verpassen, bevor er zu Boden sank...“
Branwir schluckte und hielt inne.
„Und was hat der Fürst getan?“
„Nun...der schrie den Hauptmann an, als der die Hinrichtung vereiteln wollte und befahl uns, ihn zu verhaften. Schließlich floh er aber, als sich alle gegen ihn stellten.“
„Ihr habt den Fürsten der Stadt Trinsic verjagt?“ Sein Ziehvater blickte Branwir entgeistert an. „Mein Junge, in was für eine Lage habt ihr euch da nur....“
„Vater! Es war das einzig Richtige...Dieses Schwein von einem Fürsten....der steckt doch mit allen unter einer Decke...“
Branwir brannte vor Wut. Er ging raschen Schrittes zu der Stelle, wo seine Uniform lag, nahm sie und schmiss sie wütend in das Kaminfeuer.
„Ich habe es dir schon vor Wochen gesagt, als die Sache mit dem Phelps war...das alles stinkt zum Himmel!“
Das Feuer begann sich langsam seinen Weg durch den blutigen Stoff seiner Uniform zu bahnen und das Gelb seines Waffenrockes verwandelte sich in schwarze Asche.
Der alte Pembroke stand von seinem Platz auf und ging langsam auf Branwir zu.
„Branwir...du hast dir nichts zu Schulden kommen lassen. Du hast immer versucht, die Dinge zum Guten zu wenden...
Branwir nickte stumm und betrachtete eine Weile den verbrannten Stoff seiner Uniform, bis er seine Gedanken wieder in Worte fassen konnte.
„In der nächsten Zeit wird alles sehr schwierig werden, wir müssen herausfinden, wem wir überhaupt noch vertrauen können und ich denke, dass der Hauptmann alles in Bewegung setzen muss, um unsere Verbündeten zu mobilisieren. Slare muss so schnell wie möglich gefasst werden, bevor er weiteres Unheil über das Land bringt.
Aber zuerst muss ich nach Nadine sehen...sie hat uns verlassen und ist nicht wieder zurück gekommen.“
„Wie...und du bist ihr nicht gefolgt?“ Die Stimme seines Ziehvaters klang leicht vorwurfsvoll.
„Aye...du hast recht.“ Branwir drehte sich zu ihm um und blickte in lächelnd an. Er wusste, was sein Ziehvater ihm sagen wollte.
„Ich sollte mich darauf besinnen, was wirklich wichtig ist...ich werde sie suchen gehen...
Aber ich bitte dich um eines“, fügte Branwir hinzu und legte seine Hand auf die Schulter des alten Mannes.
„Meide in nächster Zeit die Stadt. Sie wird zur Sperrzone erklärt werden und auch als bekannter Händler dürfte es schwer für dich werden, hineinzugelangen. Außerdem wissen wir nicht, welche Verbündeten Fürst Slare hat. Womöglich hat er noch ein Ass im Ärmel und uns steht sehr bald ein Angriff bevor.“
Sein Ziehvater blickte ihm ernst in die Augen.
„Sieh dich vor Branwir...ihr habt in ein wahres Hornissennest gestochen. Vielleicht solltest du Nadine nehmen und dich verziehen, bevor der Sturm losbricht.“
„Nein, Vater...wir stecken da zu tief mit drin“, erwiderte Branwir, während er sich umdrehte und ein letztes Mal in das Feuer blickte.
Die Flammen hatten ihr Werk beendet und die Spuren dieses unseligen Tages beseitigt.
Branwirs Augen wanderten über das Häuflein Asche, das verblieben war, ging dann langsam in die Knie und streckte seine Hand vor.
Seine Finger ertasteten etwas in der Asche und zogen es hervor. Ein kühles Lächeln umspielte seine Lippen, als er den Gegenstand betrachtete, den die Flammen ironischerweise verschont hatten.
Es war sein Gardeabzeichen.
„Verdammte Garde...“, brummte er und pustete den Ruß von dem Abzeichen...