Kesrin Ky’Alur
Diener
Prolog- Endlose Jagd
„Ich bin seit zahllosen ungesehenen Sonnenaufgängen durch die Wildnis des Underdark gewandert, und in der ganzen Welt bin ich noch nie einer räuberischen Spezies begegnet, die so gefährlich ist wie diejenigen, die in den Bastionen der sogenannten Zivilisation leben, die in den Tiefen der Unteren Nacht entstanden sind! - Undurchdringlicher Schleicher Sornsith Deepson, Herold der Gefallenen Ritter, Jahr der Gedenksteine (1153 DR)
Aus der Saga vom Dunkelelf – Gedanken des Drizzt Do’Urden: Der Jäger
„Ich erinnere mich noch lebhaft an den Tag, an dem ich die Stadt meiner Geburt und mein Volk verließ. Das ganze Unterreich, ein Leben voller Abenteuer und Spannung lagen vor mir – mit Möglichkeiten, die mein Herz jubeln ließen. Doch mehr als dies verließ ich Menzoberranzan in dem Glauben, dass ich nun mein Leben gemäß meinen Prinzipien leben könnte. Guenhwyvar war an meiner Seite, und ich hatte meine Krummsäbel um die Hüften gegurtet. Ich selbst konnte meine Zukunft bestimmen.
Doch dieser Dunkelelf, der junge Drizzt Do’Urden, der, kaum in der vierten Dekade seines Lebens, an jenem schicksalhaften Tag Menzoberranzan verließ, vermochte nicht einmal ansatzweise die Wahrheit der Zeit zu erfassen und zu begreifen, wie ihr Verlauf sich zu verlangsamen schien, wenn die Augenblicke nicht mit anderen geteilt wurden. In meinen jugendlichen Überschwang freute ich mich auf ein Jahrhunderte währendes Leben.
Wie aber misst man Jahrhunderte, wenn eine einzige Stunde ein Tag zu sein scheint und ein einziger Tag ein ganzes Jahr?
Jenseits der Städte des Unterreichs gibt es Nahrung für die, die wissen, wie man sie findet, und Sicherheit für die, die sich zu verbergen wissen. Mehr als alles andere jedoch ist jenseits der bevölkerten Städte des Unterreichs die Einsamkeit.
Als ich eine Kreatur der leeren Tunnel wurde, wurde das Überleben leichter und schwerer zugleich. Ich eignete mir die zum Überleben notwendigen körperlichen Fähigkeiten an und machte wertvolle Erfahrungen. Ich war in der Lage, fast alles zu besiegen, was in die von mir auserwählte Domäne eindrang, und vor den wenigen Monstern, die ich nicht bezwingen konnte, konnte ich sicher fliehen oder mich verbergen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich entdeckte, dass es eine Nemesis gab, vor der ich nicht fliehen und die ich auch nicht besiegen konnte. Sie folgte mir, wohin ich auch ging, und in der Tat – je weiter ich lief, desto mehr umschloss sie mich. Mein Feind war die Einsamkeit, das endlose, unaufhörliche Schweigen der abgelegenen Korridore.
Schaue ich jetzt, Jahre später darauf zurück, bin ich erstaunt und bestürzt über die Veränderungen, die ich durch dieses Leben erfuhr. Die Identität jedes vernunftbegabten Wesens wird durch die Sprache festgelegt, durch die Kommunikation zwischen diesem Wesen und den anderen, die mit ihm leben. Ohne dieses Bindeglied war ich verloren. Als ich Menzoberranzan verließ, war ich entschlossen, mein Leben auf Prinzipien und meine Kraft auf unbeugsame Überzeugungen zu gründen. Doch nach nur wenigen Monaten allein im Unterreich war der einzige Zweck meines Daseins das Überleben. Ich war zu einer allein vom Instinkt beherrschten Kreatur geworden, berechnend und verschlagen, aber nicht denkend. Ich benutzte meinen Verstand nur dazu, den nächsten tödlichen Kampf auszutragen.
Ich glaube, das Guenhwyvar mich rettete. Derselbe Gefährte, der mich unzählige Male aus den Klauen von Monstern vor dem sicheren Tod errettet hatte, bewahrte mich vor einem Tod der Leere – weniger dramatisch vielleicht, doch nicht weniger schicksalhaft. Ich stellte fest, dass ich für die Augenblicke lebte, in denen die Katze an meiner Seite ging und ein anderes Geschöpf meine Worte hören konnte, so schwer sie mir auch fielen. Und zudem war Guenhwyvar meine Uhr geworden, da ich wusste, dass die Katze jeden zweiten Tag für einen halben Tag von der Astralebene zu mir kommen konnte.
Erst nachdem meine Tortur beendet war, begriff ich, wie kritisch dieses Viertel meiner Zeit tatsächlich war. Ohne Guenhwyvar hätte ich nicht die Entschlossenheit zum Weitermachen gefunden. Niemals hätte ich die Kraft zum Überleben gehabt.
Und selbst wenn Guenhwyvar an meiner Seite war, merkte ich, dass ich dem Kampf immer ambivalenter gegenüberstand. Ich hoffte heimlich, ein Bewohner des Unterreichs würde sich als stärker erweisen, als ich es war. Konnte der Schmerz eines Zahnes oder einer Kralle größer sein als die Leere und Stille?
Ich glaube nicht.“ *
Was kann man dem noch hinzufügen? Was sonst soll ich sagen, als das dieser abtrünnige und sonderbare Vertreter meines Volkes im Wesentlichen recht hat; und obwohl ich es mir nach einigem Nachdenken noch immer nicht eingestehen mag, finden seine wohlgewählten Worte doch wieder tiefen Zugang zu meinen Innersten, berühren mein Herz und wühlen mich stark auf ob des ähnlichen Empfindens.
Wen die Gesellschaft in die Rolle eines stillen Beobachters treibt, spürt die beschriebene Einsamkeit mehr als alle zusammen – und doch muss man aufpassen, da auch ein Ausbruch aus diesem vermeintlichen Schattendasein zu einer ungewollten Qual werden kann, wenn die Welt wie so oft lautstark ihr eigenes Tempo bestimmen will. Welche Schönheiten sieht dann das Auge noch, wenn das Leben an einem vorbeirennt. Leben, das nur die Enge der dunklen Tunnel kannte und nicht die Weite einer großen Ebene, die im Morgengrauen vom Licht der Sonne geflutet wird. Und doch braucht es nur einen Schritt aus dem Schatten hinaus, um im Licht zu stehen.
Ich weiß nicht was mich damals bewegt hat, das Baby dieser Jalil** zu verstecken und heimlich großziehen zu lassen – eine Sklavin, die schon bald nach der Geburt verstarb, weil sie nicht stark genug für unsere Welt war. So schön und doch so zerbrechlich. Zu schwach. Aber ihr Kind wurde stark – und neben dem Gefühl des Stolzes gab es ein weiteres Gefühl, für das unser Volk kein wirkliches Wort hat. Aber mit ihr kam das Licht für mich in diese Welt – und nach so langer Zeit auch für mich die Zeit, aus dem Schatten heraus zu kommen.
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* Entnommen aus dem Buch „Der Wächter im Dunkel“ – Die Saga vom Dunkelelf, Band 3, R.A. Salvatore, Goldmann, 1992, ISBN 3-442-24565-6.
** Jalil – Drow für „Weibchen“
„Ich bin seit zahllosen ungesehenen Sonnenaufgängen durch die Wildnis des Underdark gewandert, und in der ganzen Welt bin ich noch nie einer räuberischen Spezies begegnet, die so gefährlich ist wie diejenigen, die in den Bastionen der sogenannten Zivilisation leben, die in den Tiefen der Unteren Nacht entstanden sind! - Undurchdringlicher Schleicher Sornsith Deepson, Herold der Gefallenen Ritter, Jahr der Gedenksteine (1153 DR)
Aus der Saga vom Dunkelelf – Gedanken des Drizzt Do’Urden: Der Jäger
„Ich erinnere mich noch lebhaft an den Tag, an dem ich die Stadt meiner Geburt und mein Volk verließ. Das ganze Unterreich, ein Leben voller Abenteuer und Spannung lagen vor mir – mit Möglichkeiten, die mein Herz jubeln ließen. Doch mehr als dies verließ ich Menzoberranzan in dem Glauben, dass ich nun mein Leben gemäß meinen Prinzipien leben könnte. Guenhwyvar war an meiner Seite, und ich hatte meine Krummsäbel um die Hüften gegurtet. Ich selbst konnte meine Zukunft bestimmen.
Doch dieser Dunkelelf, der junge Drizzt Do’Urden, der, kaum in der vierten Dekade seines Lebens, an jenem schicksalhaften Tag Menzoberranzan verließ, vermochte nicht einmal ansatzweise die Wahrheit der Zeit zu erfassen und zu begreifen, wie ihr Verlauf sich zu verlangsamen schien, wenn die Augenblicke nicht mit anderen geteilt wurden. In meinen jugendlichen Überschwang freute ich mich auf ein Jahrhunderte währendes Leben.
Wie aber misst man Jahrhunderte, wenn eine einzige Stunde ein Tag zu sein scheint und ein einziger Tag ein ganzes Jahr?
Jenseits der Städte des Unterreichs gibt es Nahrung für die, die wissen, wie man sie findet, und Sicherheit für die, die sich zu verbergen wissen. Mehr als alles andere jedoch ist jenseits der bevölkerten Städte des Unterreichs die Einsamkeit.
Als ich eine Kreatur der leeren Tunnel wurde, wurde das Überleben leichter und schwerer zugleich. Ich eignete mir die zum Überleben notwendigen körperlichen Fähigkeiten an und machte wertvolle Erfahrungen. Ich war in der Lage, fast alles zu besiegen, was in die von mir auserwählte Domäne eindrang, und vor den wenigen Monstern, die ich nicht bezwingen konnte, konnte ich sicher fliehen oder mich verbergen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich entdeckte, dass es eine Nemesis gab, vor der ich nicht fliehen und die ich auch nicht besiegen konnte. Sie folgte mir, wohin ich auch ging, und in der Tat – je weiter ich lief, desto mehr umschloss sie mich. Mein Feind war die Einsamkeit, das endlose, unaufhörliche Schweigen der abgelegenen Korridore.
Schaue ich jetzt, Jahre später darauf zurück, bin ich erstaunt und bestürzt über die Veränderungen, die ich durch dieses Leben erfuhr. Die Identität jedes vernunftbegabten Wesens wird durch die Sprache festgelegt, durch die Kommunikation zwischen diesem Wesen und den anderen, die mit ihm leben. Ohne dieses Bindeglied war ich verloren. Als ich Menzoberranzan verließ, war ich entschlossen, mein Leben auf Prinzipien und meine Kraft auf unbeugsame Überzeugungen zu gründen. Doch nach nur wenigen Monaten allein im Unterreich war der einzige Zweck meines Daseins das Überleben. Ich war zu einer allein vom Instinkt beherrschten Kreatur geworden, berechnend und verschlagen, aber nicht denkend. Ich benutzte meinen Verstand nur dazu, den nächsten tödlichen Kampf auszutragen.
Ich glaube, das Guenhwyvar mich rettete. Derselbe Gefährte, der mich unzählige Male aus den Klauen von Monstern vor dem sicheren Tod errettet hatte, bewahrte mich vor einem Tod der Leere – weniger dramatisch vielleicht, doch nicht weniger schicksalhaft. Ich stellte fest, dass ich für die Augenblicke lebte, in denen die Katze an meiner Seite ging und ein anderes Geschöpf meine Worte hören konnte, so schwer sie mir auch fielen. Und zudem war Guenhwyvar meine Uhr geworden, da ich wusste, dass die Katze jeden zweiten Tag für einen halben Tag von der Astralebene zu mir kommen konnte.
Erst nachdem meine Tortur beendet war, begriff ich, wie kritisch dieses Viertel meiner Zeit tatsächlich war. Ohne Guenhwyvar hätte ich nicht die Entschlossenheit zum Weitermachen gefunden. Niemals hätte ich die Kraft zum Überleben gehabt.
Und selbst wenn Guenhwyvar an meiner Seite war, merkte ich, dass ich dem Kampf immer ambivalenter gegenüberstand. Ich hoffte heimlich, ein Bewohner des Unterreichs würde sich als stärker erweisen, als ich es war. Konnte der Schmerz eines Zahnes oder einer Kralle größer sein als die Leere und Stille?
Ich glaube nicht.“ *
Was kann man dem noch hinzufügen? Was sonst soll ich sagen, als das dieser abtrünnige und sonderbare Vertreter meines Volkes im Wesentlichen recht hat; und obwohl ich es mir nach einigem Nachdenken noch immer nicht eingestehen mag, finden seine wohlgewählten Worte doch wieder tiefen Zugang zu meinen Innersten, berühren mein Herz und wühlen mich stark auf ob des ähnlichen Empfindens.
Wen die Gesellschaft in die Rolle eines stillen Beobachters treibt, spürt die beschriebene Einsamkeit mehr als alle zusammen – und doch muss man aufpassen, da auch ein Ausbruch aus diesem vermeintlichen Schattendasein zu einer ungewollten Qual werden kann, wenn die Welt wie so oft lautstark ihr eigenes Tempo bestimmen will. Welche Schönheiten sieht dann das Auge noch, wenn das Leben an einem vorbeirennt. Leben, das nur die Enge der dunklen Tunnel kannte und nicht die Weite einer großen Ebene, die im Morgengrauen vom Licht der Sonne geflutet wird. Und doch braucht es nur einen Schritt aus dem Schatten hinaus, um im Licht zu stehen.
Ich weiß nicht was mich damals bewegt hat, das Baby dieser Jalil** zu verstecken und heimlich großziehen zu lassen – eine Sklavin, die schon bald nach der Geburt verstarb, weil sie nicht stark genug für unsere Welt war. So schön und doch so zerbrechlich. Zu schwach. Aber ihr Kind wurde stark – und neben dem Gefühl des Stolzes gab es ein weiteres Gefühl, für das unser Volk kein wirkliches Wort hat. Aber mit ihr kam das Licht für mich in diese Welt – und nach so langer Zeit auch für mich die Zeit, aus dem Schatten heraus zu kommen.
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* Entnommen aus dem Buch „Der Wächter im Dunkel“ – Die Saga vom Dunkelelf, Band 3, R.A. Salvatore, Goldmann, 1992, ISBN 3-442-24565-6.
** Jalil – Drow für „Weibchen“
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