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The "Blue Chevalier"-Tavern - Geschichten aus dem "Blauen Ritter"

Alkohol an Bord (Teil 1) - Gewissen und Verantwortung

Müde rieb sich der arabische Schiffsarzt über die bleischweren Augenlider und gähnte herzhaft. Die Blätter zweier dicker Folianten raschelten leise im Fahrtwind, der durch das geöffnete Fenster der Kajüte in den Raum huschte. Nachdenklich schaute Mejdi auf die wunderschön verbarbeiteten Einbände der beiden Bücher, die aufgeschlagen vor dem arabischen Arzt lagen – eine Abschrift des Qānūn at-Tibb, der berühmte und unübertreffliche Kanon der Medizin des Abū Alī al-Husain ibn Abdullāh ibn Sīnā und der Qur’an, die Offenbarung Gottes an den Propheten Mohammed. Er hatte den ganzen Nachmittag in ihnen gelesen, weil ihn das Problem der Wasserversorgung hier an Bord sehr stark beschäftigte.
Sauberes Trinkwasser war auf langen Seefahrten immer ein Problem. Wenn sich in den Holzfässern, wo sich das Wasser befand, Algen und Würmer ansiedelten, wurde es schnell schlecht, faulig und stank. Mejdi betrachtete nachdenklich seinen Trinkbecher, in sich noch ein Rest der Wasserration des heutigen Tages befand. Kapitän MacDaragh hatte schon richtig gehandelt, das Wasser in den wenigen Fässern für die lange Fahrt nach Serpents einzuteilen. Aber noch etwas anderes beschäftigte ihn gedanklich. Mejdi bezweifelte, ob das totale Alkoholverbot des Kapitäns auch die richtige Entscheidung für die Männer war.

Die Ausgabe von Alkohol war in der Geschichte der Seefahrt etwas, das zur Tradition und somit auch zu einem Gewohnheitsrecht der Mannschaften geworden war. Insbesondere der Rum war etwas, das die oft durchfrorenen und bis aufs Mark durchnässten Seeleute als Belohnung bei schweren Seegängen erhielten, und war es nicht verwunderlich, das eine Mannschaft bei so beschwerlicher Arbeit immer eine gewisse Erwartungshaltung pflegte - das starke Zeug brannte im Magen und vermittelte so ein Gefühl innerlicher Wärme. Und da auch oft die Kombüse wegen des Schlingerns schon bei leichten Seegängen nicht bedient werden konnte und die Küche dann kalt blieb, war Rum auch das einzige, was das Hungergefühl bei den oft verdorbenen Lebensmitteln an Bord bekämpfte. Die Folgen wiegten gesundheitlich schwer – Unterernährung und Skorbut waren an der Tagesordnung.

Offiziell wurde aber nicht gesoffen. Betrunkene gab es nicht. Es gab äußerst strenge Reglements, die Trunkenheit an Bord mit harten Strafen ahndeten. Diebstahl wurde körperlich schwer bestraft, die Heuer wurde gekürzt. Die Ausgabe von Alkoholika an die Mannschaft war streng rationiert und überwacht und erfolgte in der Regel nur zu besonderen Anlässen wie zu Feiertagen oder ähnlichen Anlässen, die dann schon mal in fröhlichen Trinkgelagen enden konnten. Womit der Beweis erbracht war, dass sich die Trunkenheit auf Schiffen eben doch nicht wirksam eindämmen ließ. Insbesondere an Kunsch hatte Mejdi wieder gesehen, dass das Alkoholverbot für einige der Männer hier ein nicht ganz unerhebliches Problem war.
Mejdi stand auf, streckte kurz seine müden Glieder und ging dann zu dem geöffneten Fenster. Sein Kopf schmerzte vom angestrengten Nachdenken. Er schaute auf das glitzernde Wasser und versuchte, für einen Moment seinen Kopf frei zu machen. Es gelang ihm nur sehr schlecht. Noch immer waren zu viele verwirrende Gedanken in seinen Kopf, die er noch nicht richtig einordnen konnte. Als Arzt hatte er eine medizinische Verantwortung für alle hier an Bord und die Pflicht, eine Lösung zu finden. Tief atmete er die würzige Seeluft ein und verharrte noch eine Weile am Fenster.

Alkohol… Der Begriff war aus einem Wort seiner arabischen Muttersprache hervorgegangen, wurde als das Universalheilmittel „aqua vitae bekannt und stellte für die alchimistische Bewegung bis heute noch ein enormes Faszinosum dar. Seit der Antike spielte dieser eine große Rolle als Genuss- und Lebensmittel, war vor allen in der Form von Wein Gegenstand kultischer Verehrung für die Götter in ausschweifenden Trinkgelagen als gemeinschaftsförderndes Ereignis, und in destillierter Form den Ärzten wertvolles Lebenselixier als Arznei- und Stärkungsmittel. Hier lagen wohl auch die historischen Wurzeln seiner allgemeinen Wertschätzung. Vom medizinischen Gesichtspunkt aus betrachtet, war es aber schon immer Arznei und Gift zugleich gewesen und wurde zu allen Zeiten heftig diskutiert, und berühmte Ärzte ihrer Zeit wie Plinius, Galen oder Avicenna hatten vor unmäßigem Alkoholtrinken gewarnt. Als dann in seiner Heimat auch das Prinzip der Destillation so verbessert wurde, das man aus Wein nun sehr reinen Alkohol herstellen konnte, war das nicht nur ein Meilenstein für die Alchemie und für die Medizin, es war auch der Ursprung für das Entstehen einer neuen Volkskrankheit, die diesen reineren Alkohol nun dafür nutzte, in größeren Mengen Branntweine oder Schnaps herzustellen.

Der Arzt löste sich nun von dem Fenster, reckte sich kurz, wippte dann etwas mit den Füßen und verschränkte die Hände auf den Rücken. Dann ging er eiligen Schrittes an sein kleines Bücherregal und zog eine alte zerknitterte Handschrift hervor. Leise in seiner Muttersprache murmelnd glitten seine Finger schnell über bestimmte Passagen des Textes. Mejdi rollte die Handschrift wieder vorsichtig zusammen und legte sie wieder zurück. Ein leichtes Lächeln huschte dann über seine angespannten Gesichtszüge. Schnell ging er zu seinem Tisch, griff nach dem Trinkbecher und nahm einen kleinen Schluck Wasser zu sich. Natürlich – Destillation! Und hier insbesondere die Destillation von Meerwasser zu trinkbaren süß schmecken Wasser.

Man wusste, dass auf diese Weise schon die antiken Seefahrer auf diese Art trinkbares Wasser gewonnen hatten. Das Wissen um das Prinzip der Destillation war fast so alt wie die Menschheit selbst und konnte mit einfachsten Mitteln bewerkstelligt werden. Das Prinzip war ganz einfach: es bestand in der Regel aus einem mit Flüssigkeit gefüllten Gefäß mit Deckel, an dem sich beim Erhitzen der Flüssigkeit das Destillat niederschlug und das man mit Schwämmen oder Wollbüscheln, die im Deckel steckten, auffing und regelmäßig auspresste.
Pech und Teer zum Abdichten der Schiffe wurden ebenso auf diese Weise gewonnen wie die ätherischen Öle der Riech- und Duftstoffe. Griechen und Perser wie Aristoteles, Al-Rhazi genannte Rhases und auch Ibn Sina, sein großes Vorbild, hatten sich mit der Destillation befasst und darüber in ihren Schriften berichtet.
Die Erfindung des Alambics aber - eines langen seitlichen, nach unten führenden Rohr, durch das das Destillat fließen in ein Auffanggerät fließen konnte und das auf den Siedekolben aufgesteckt wurde - machte die Herstellung von sehr, sehr reinen Alkohol erst richtig möglich. Und eben auch die Herstellung sehr, sehr reinen Wassers…

Das drängende Wasserproblem an Bord konnte damit zunächst einmal gelöst werden. Das viel drängendere Alkoholproblem war es damit noch nicht. Mejdi seufzte leicht. Dann aber hatte er eine Idee. Er lachte kurz befreit auf und ging dann eiligen Schrittes durch den Raum, öffnete seine Tür und machte sich auf den Weg an das Oberdeck, wo der Kapitän noch immer den Kurs hielt.
 
Von Brennen und Bränden (Alkoholherstellung)

„Also, ich muss schon sagen, die Herren haben gestern wieder mächtig Brand gehabt. Ein halbes Fass Bier und ein kleines Fass Schnaps haben sie gestern verbechert!“ Aileen stand zusammen mit Kalifa, Gyde Boysen und Sebiha’Anshar im Weinkeller unter der Schankstube des Blauen Ritters und schüttelte leicht mit dem Kopf.
„Bis weit nach Mitternacht haben sie da gesessen und sind diese Salzgeschichte da durchgegangen. Ich hatte schon Angst, die lassen mich gar nicht mehr nach Hause gehen. Meinst ihr, die meinen das wirklich ernst und fangen das nun an?“
„Ach Aileen“ sagte Kalifa lachend, „du müsstest doch langsam wissen, wie das mit den Männern hier ist. Die haben fixe Ideen, die ihnen so ganz spontan kommen. Sowas wird erstmal gründlich ausdiskutiert – ob das überhaupt machbar ist, wie man das umsetzen kann, könnte… wie auch immer. Und mir ist das ehrlich gesagt lieber, sie machen es auf die Art, als sich ständig im Suff die Köppe einzuhauen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass es ihnen Spaß macht.“
„Da stimme ich dir zu, Kalifa. Besser, sie machen etwas sinnvolles, als den ganzen Tag nur schlaue Reden zu führen und den Tag mit irgendetwas furchtbar wichtigem Unwichtigen zu vertrödeln.“ Gyde schmunzelte etwas, blickte dann aber wieder etwas ernster drein.
„So ein Saufgelage bringt ja immer etwas in die Wirtskasse ein. Trotzdem bessert das die Bestände im Lager nicht auf. Wir brauchen Bier, Wein und… vor allen neuen Schnaps. Viel ist jetzt leider nicht mehr da, und seit der große Anlegesteg zusammengekracht ist, wird die nächste Zeit hier auch kein Handelsschiff anlegen können. “
„Aye… und wir brauchen noch jemanden, der es braut und der beim Vorbereiten hilft“ warf Sebiha ein. „Vater hat neulich so eine Höllenmaschine nach einem Plan nachgebaut, den er in Jhelom auf dem Markt von einem alten Händler aus Nu’jelm abgekauft hat. Ein...“sie überlegte kurz, „ja…Destilliergerät hat er das genannt. Würde man zum Schnaps brennen brauchen, meinte er noch.“ Sebiha seufzte leicht.
„Meinte dann aber auch im gleichen Atemzug, das ich das doch machen könnte, der alte Händler hat ihm dazu noch eine Art Kochbuch mit in die Hand gegeben. Aber irgendwie ist das typisch für Vater. Wenn es was Neues auszuprobieren gilt, dann ist er meist der Erste mit.“
„Naja, Jon meint es nur gut“ sagte Kalifa, „manchmal lag er mit seinen Basteleien ja auch nicht immer daneben. Das Ding wird schon nicht gleich mit in die Luft gehen. In dem Plan stand doch sicher auch, wie man es bedienen soll, oder?“
„Was meinst du, Kalifa, soll ich den Plan und das Buch mal holen?“ Sebiha schaute die Wirtin des Blauen Ritters gespannt abwartend an. Diese schien kurz zu überlegen und zuckte dann nach einer kurzen Weile die Achseln.
„Von mir aus – interessieren tut mich das schon. Am besten bringst du auch noch gleich diese Höllenmaschine nebst dem Konstrukteur derselben mit, und wir probieren sie gleich mal aus. Neben der Küche im Blauen Ritter ist noch eine kleine unbenutzte Kammer, da können wir sie abstellen.“
„Gut“ entgegnete Sebiha, „dann mach ich mich gleich mal auf den Weg und suche Vater.“


Nach gut einer Stunde trafen dann Jon und Sebiha wieder am Blauen Ritter ein. Jon hatte das Gerät auf ein Packpferd geladen, von dem er es nun wieder herunternahm und in der kleinen Kammer neben der Küche des Blauen Ritters wieder aufbaute. In der Schankstube saßen derweil Sebiha, Kalifa und Gyde an einem Tisch und studierten eifrig den Plan zur Bedienung des Gerätes und das dicke Buch, das Jon von dem alten Händler bekommen hatte.
„Also…man braucht vor allen einen Grundstoff, zum Beispiel Obst oder Korn und vermischt das mit Wasser. Das nennt man dann Maische“ sagte Gyde gerade und fuhr mit dem Finger über ein paar Zeilen in dem dicken Buch.
„Dann fügt man Hefe hinzu und gibt die Maische nun für einige Zeit in diese kupfernen Kessel zum vergären – steht hier. Dort ruht sie nun für eine Zeit, und die beigefügte Hefe wandelt dann entweder Zucker oder Stärke in Alkohol um.“
„Dabei entwickelt sich dann auch das Aroma“ las Sebiha weiter. „Je länger dieser Gärungsprozess andauert, desto schmackhafter wird später der fertige Schnaps sein.“
Kalifa studierte unterdessen sorgfältig die Bedienung auf dem Plan.
„Also hier müssen wirklich Experten zu Werke gehen, das hört sich nach einer Wissenschaft für sich an“ meinte sie dann.
„Hier steht, dass die Maische dann gebrannt werden muss. Das Brennen muss man dann mehrere Male wiederholen, bis man einen wirklich guten Schnaps erhält. Hierzu erhitzt man die Maische so lange, bis sie anfängt zu kochen und dann Dämpfe mit darin enthaltenem Alkohol aufsteigen. Diese Dämpfe werden dann in dieses Rohr geleitet“ sie zeigte dabei auf ein längeres Rohr auf der Zeichnung des Planes, „der die Dämpfe wieder abkühlt und dann eine klare Flüssigkeit, eben den Alkohol erzeugt.
Und diese Flüssigkeit wird dann noch mal für sich selbst gebrannt oder wie sie es hier nennen – destilliert.“
„Ja… und dann reift sie in Fässern abgefüllt noch für einige Jahre nach. Und je länger sie reift, desto besser schmeckt es.“ Sebiha sah von dem dicken Buch auf und seufzte leise.
„Schaut euch mal das hier an! Dieses Buch hier enthält Beschreibungen, wie man aus Pflanzen Flüssigkeiten gewinnt und auch wie man sie im Krankheitsfalle anzuwenden hat.“
Sie blätterte ein paar Seiten um.
„Hier steht wirklich jede Menge drin – man weiß gar nicht wo man anfangen soll.“
„Am besten mit dem was einfach ist, allen schmeckt und keine teuren Zutaten braucht“ meinte Gyde.
„Und das wäre?“ fragte Kalifa gespannt.
Na, was wohl“ kam es da prompt von der Köchin, „Kartoffelschnaps!“
 
Das weiße Gold (Die Salzbauern)

Die Sonne stand noch tief über den Horizont, als ein Mann mittleren Alters sich am diesem frühen Spätsommermorgen von seiner Hütte in den Windemere Wood aus zu den nahen Salzfeldern aufmachte, die man in einer der der versteckt gelegen Buchten der Küste angelegt hatte. Der Wind wehte eine feucht-würzige Brise über den flachen Landstreifen. In dem knöcheltiefen Wasser der Salzwiesen, die neben dem Feldern lagen, watete eine Schar Austernfischer mit ihren roten Stelzbeinen umher und pickte eifrig nach Muscheln.
Hier befand sich ein riesiges Feuchtgebiet, in dem zahlreiche Vogelarten Zuflucht gefunden hatten. Jeder, den es in diesen Landstrich verschlug, hatte das Gefühl, sich in einer natürlichen Landschaft zu bewegen. Aber die Salinen an der Küste waren eine von Menschen geschaffene Kulturlandschaft, in sie arbeiteten und sich und ihre Familien ernährten. Und ohne deren Arbeit sich das Meer diesen Landstrich schon bald wieder zurückerobert hätte. Der Mensch muss der Natur gehorchen, um ihr befehlen zu können. Aber beides – Umwelt und das von Menschenhand geschaffene bildete hier eine vollkommene Harmonie.

Der Mann folgte der Straße weiter an die Küste. Von Weg aus konnte man schon die riesigen weißen Salzberge der Saline sehen, und in der Morgensonne funkelte die Ernte des letzten Tages – kleine, mattweiße Minipyramiden, deren noch feuchtes Salz wie tausend Sternchen in den ersten Lichtstrahlen aufblitzten. Schon seit Jahrhunderten gewann man in diesen Feldern dem Meer das Salz ab. Die Bedingungen dafür waren hervorragend – der Salzgehalt des Meeres war hier hoch und die Sonneneinstrahlung war trotz der Lage im hohen Norden viel höher als an der vesperschen Küste im Süden.
Es war die Zeit, in der in den Salinen nun das Salz geerntet wurde und sie bildete zugleich immer einen Höhepunkt der arbeitsreichen Tätigkeit. Für einen Salzbauern bedeutete gutes Wetter ohne Regen nun, das er jeden Tag raus auf die Felder musste, um das Salz zu ernten, ohne einen Ertragsausfall zu haben. Einige Tage andauernder starker Regen konnten die Konzentration des Salzgehaltes in den Bassins schon so herabsetzen, dass das Salz keine gute Körnung mehr bilden konnte, dann war die Ernte für mehrere Wochen unterbrochen. In manchen Zeiten war das eine gute Zeit, sich eine Auszeit von der anstrengenden Arbeit zu nehmen, aber dieses Jahr war der Sommer heiß gewesen, mit nur wenigen Regenfällen.
Ja, für die Salzbauern war dieses Jahr ein gutes Jahr gewesen und der ewige Kreislauf des Säens und Erntens begann von neuem. Das grobe Salz aus dem großen Haufen würde nun bald eingebracht und eingelagert, und schon bald würde man die Felder unter Wasser setzen, um sie so vor bevor die ersten Stürme und Fröste des Herbstes und Winters zu schützen, die dann über diesen Landstrich an der Küste zogen. Waren die schlimmsten Stürme vorbei, und auch mit Frost nicht mehr zu rechnen, befreite man dann im Frühling die Becken von den angesammelten Schlamm und besserte die vom Wasser und Frost des Winters gesprengten Dämme aus, ebnete Felder, die man nicht mehr brauchte ein und errichtete neue an anderer Stelle.

Delron De Sel bahnte sich zielsicher seinen Weg in dem schachbrettartigen Mosaik der Saline aus grün bewachsenen Dämmen, die kleine tiefschwarze Seen mit Meerwasser gefüllt umrahmten, inmitten einem Netz aus Kanälen und Feldwegen zu dem Feld, an dem er gestern mit der Arbeit aufgehört hatte. Er nahm seine Holzschaufel aus der Schubkarre, die am Rand des Feldes stand und schaufelte das feuchtschwere, grobe Salz, das sich am Boden des Beckens gesammelt hatte, in die Karre, die sich schnell füllte. Dann balancierte er die schwer beladene Karre auf dem schmalen Lehmpfad zwischen den Becken hindurch bis zum Rand der Saline zu einem der großen weißen Salzberge. Er fuhr ein paar Mal hin und her, bevor er sich eine kurze Pause gönnte und seinen Blick über die Felder der Saline gleiten lässt.
Ja, Delron war stolz auf sein jahrtausendealtes Handwerk, das er von seinem Vater gelernt hatte, stolz auf die uralte Ingenieurskunst, die Kanäle und Bassins der Saline so anzulegen, dass das Wasser im richtigen Tempo von einem Becken ins andere lief, bis das Salzwasser immer mehr verdunstete und die Lake am Ende so konzentriert war, das man am Ende das grobe Salz ernten konnte.

In die Bucht, die ein riesiges Speicherbecken bildete und so die Salinenlandschaft speiste, die leicht unter dem Meeresspiegel lag, strömte bei Flut das Meerwasser hinein, das dann über große Kanäle, die étiers im Wechsel der Gezeiten das Gebiet mit Meerwasser versorgten. Von diesen Kanälen gingen dann kleinere Kanäle ab zu den Speicherbecken – vasières und cobiers genannt, aus denen man den Wasserbedarf für die Salinen über kleine Schleusen und Schieberegler selbst bestimmen konnte und die das Wasser für mehrere Tage bereitstellten. Die Saline selbst bestand aus mehreren Becken, die durch die Kanäle verbunden und so angelegt waren, dass sie ein leichtes Gefälle hatten. Das Wasser wurde nun allein durch die Schwerkraft durch die Becken zur Mitte der Saline hin transportiert. Algen und andere Verunreinigungen lagerten sich schnell in den äußeren Becken ab, währen der Salzgehalt immer weiter ansteigt, je flacher die Becken und je heißer das Wasser wurde. Das Erntebecken befand sich in der Mitte, und wenn das Verhältnis von Sonne und Wind, der zusätzlich für Wasserverdunstung sorgte, stimmte, stieg der Salzgehalt in diesen Becken, die man oeillets nannte, bald soweit an, das sich das Salz auskristallisierte. Dabei durfte das Wasser in den Becken aber nie ganz verdunsten. Denn wenn das passierte und die Sonne schien, bildete sich sehr schnell eine harte Salzkruste, die man nur noch abschlagen konnte, wenn man hier dann nicht aufpasste, und im ungünstigsten Fall den Boden des Beckens beschädigte.

Ein guter Salzbauer musste also den Wasserstand so perfekt auf das zu erwartende Wetter abstimmen und darauf achten, das die jeweiligen Becken und Kanäle das richtige Maß an Wasser enthielten – nicht zu viel und nicht zu wenig. Zu wenig Wasser war immer eine Gefahr für die Saline und zu viel Wasser führte zu Ernteausfall.
Delron liebte seine Arbeit, auch wenn diese sehr schwer war und der Erfolg oft vom Wetter abhing, denn ein einziger Regentag konnte die ganze Ernte eines Sommers vernichten.
Aber er wußte die Wolken zu lesen. Und hatte seinen kleinen Helfer im Boden – kleine Würmchen, die spürten, dass die Luft oben feuchter wurde und dann nach oben kamen und kleine Erdhügelchen aufwarfen. Er wusste dann, dass es dann innerhalb der nächsten zwölf Stunden wie aus Kübeln gießen würde. Aber nicht heute… auch wenn es vielleicht danach aussah. Heute würde es ganz bestimmt nicht regnen.
Wenn der Regen kam, mussten die weißen Berge aus Salz gut abgedeckt werden. Die Kanäle, durch die das Meerwasser in die Saline geleitet wurde, wurden dann geschlossen. Wenn der Regen kam, war das für einen Salzbauern, der sich seit mehr als 40 Tagen keinen einzigen Tag Pause gegönnt hatte, mehr als Festtag.

Delron war die meiste Zeit allein auf den Feldern und konzentrierte sich nun wieder auf seine Arbeit. Er stand nun wieder auf dem dünnen Deich und hielt einen langen Rechen in der Hand, mit dem er das Wasser leicht hin und her schob, so als ob er es sanft harken würde. An die fünf Meter lang war der Stiel, trotzdem musste sich Delron noch weit recken, um die andere Seite des salzigen Beckens zu erreichen.
Delron lächelte leicht, als er der Welle im Becken hinterher sah. Für ihn war es der schönste Teil seiner Arbeit, der aber auch seine Zeit einforderte. Schönes Salz entstand nun mal nicht von selbst. Vollkommen konzentriert auf die sanften Wellen, die er in ruhigen gleichmäßigen Bewegungen mit dem las, den langen Holzrechen erzeugte, umrundete er langsam das ganze Becken, bis er zu einer Stelle kam, an der der Damm, der die Becken von einander trennte, etwas breiter wurde. Schwungvoll zog er nun den Schieber ganz dicht an sich heran und schaufelt das körnige feuchte Salz aus dem Wasser auf die kleine Plattform auf zu größeren Sandkegeln (ladurées) zum Trocknen, bevor dieses am nächsten Tag dann wieder auf die Schubkarren verladen und auf dem großen Haufen am Rand der Becken geschüttet wurde. Im Laufe dieses Sommers hatte sich so ein mächtiger weißer Salzberg aufgetürmt.

In jedem Fall bestimmte der Salzbauer selbst die Qualität seiner Salzproduktion, und dies hing wie immer davon ab, wie gut er seine Saline nach dem Winter gepflegt hatte und wie sorgsam er mit seinem Arbeitsgerät umging. Und nicht zuletzt auch, was ihm während der Arbeit durch den Kopf ging. Wieder einmal hatte der junge Salzbauer es verstanden, den Widrigkeiten des Wetters zu trotzen und einen guten Ertrag für sich und seine Familie einzufahren. Auch wenn mit dieser schweren, scheinbar monotonen Arbeit oft allein auf den Feldern war, so gab es auch niemanden der einem Salzbauern in seine Arbeit hereinredete. Auch wenn man einem Herrn diente und ihm untergestellt war, so waren hier die Gedanken frei von allen Zwängen. Hier allein auf den Salzfeldern zeigte sich eine andere Form von Freiheit – die Delron viel wert war.
 

Mene

Knappe
OCC: Man merkt, das die Tage wieder kürzer und die Abende länger werden. Nun kommt auch die Lust auf's Schreiben wieder.:}

Also für alle, die diesen Thread immer mit Spannung verfolgt haben und die vielleicht schon traurig waren, das es nicht weitergeht - keine Sorge, es ist noch jede Menge Erzählstoff vorhanden, der nur darauf wartet, verarbeitet zu werden. Aber gut Ding will bekanntlich Weile haben :zunge:

Viel Spass beim Weiterlesen.
Mene
(aka Kalifa)
 
Schutzinstinkte

„Das war eine gute Idee von dir, Meruna, den Eimer in die Nähe des Floßes zu bringen. Und du hast Recht gehabt, ganz blöd scheint er wirklich nicht zu sein. Ein anderer hätte sich schon längst aufgegeben.“
„Ja. Und was für ein Glück dazu, das wir dieses komische kleine eiförmigen Gefährt hier auch noch gefunden haben. Jetzt müssen wir nur noch zusehen, dass dieses Ding irgendwie in seine Nähe kommt.“

Während Jacaran auf seinen behelfsmäßigen Floß weiter auf Regen wartete, der ihm das so dringend benötigte Wasser zum Leben bringen würde und seinen persönlichen Kampf mit dem Meer ausfocht, hatten ein gutes Stück weiter auf den Ozean Siadin und Meruna eines der Beiboote der untergegangen Ricochet aufgespürt, das durch ein Wunder nicht bei dem Untergang des Schiffes mit in die Tiefe gerissen worden war. Zusammen mit Malou, dem Delphinfreund Siadins mühten sich die beiden nun ab, das Boot gegen die Kräfte des Abdrifts wieder in die Nähe des Floßes zu ziehen.
„Himmel… ist das schwer.“ Siadin keuchte vor Anstrengung, „wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt sagen, da legt uns jemand gehörig Steine in den Weg.“
„Oder spielt uns kleine Streiche“ kam es atemlos von Meruna zurück, „was mich überhaupt nicht wundern würde. Puh… mir ist so warm, ich glaube, das Wasser verdampft schon von alleine an mir.“
„Wenn dir als Bewohner des nassen Elements schon heiß ist, was soll dann jemand anders sagen, der sich normalerweise auf dem festen Land aufhält? Der arme Kerl wird irgendwann noch völlig verrückt werden, wenn er nicht bald etwas in seine trockene Kehle bekommt. Wenn es doch nur regnen würde…“
Für einen Moment hielt Siadin inne, um etwas zu Atem zu kommen. Sie hielt sich an der vorderen Kante des kleinen Bootes fest, das nun im Wasser schaukelte und gönnte sich einen Moment Pause. Auch Meruna nutzte diesen Augenblick, um etwas zu verschnaufen.
“Man könnte ihn ja ein paar Fische in sein Floss hüpfen lassen“ meinte sie dann.
“Fische sind doch sehr schmackhaft…und saftig. Außerdem sind sie doch das, was sie doch essen.“
„Fische…“ kam es fragend von Siadin zurück, „du glaubst doch nicht, dass irgendein Fisch sich freiwillig opfern würde? Würdest du ja auch nicht machen – jedenfalls nicht freiwillig…“
„Ja Fische…“ kam es zurück, „Fische fressen und werden gefressen, das ist nun einmal so.“ Meruna rollte kurz mit den Augen.
Und wenn ich ein Fisch wäre … ach, von so einen hübschen Kerl wie ihn ließe ich mich gerne mal anbeißen“ entgegnete ihr Meruna da ein wenig träumerisch.
„So so…das sind ja ganz neue Töne“ lachte Siadin da, „ein Fischweib, das sich freiwillig aufopfern würde, einen Menschenmann zu retten. Hatten wir das nicht schon einmal? Außerdem fangen sich die Menschen Fische … mit diesen grässlichen Netzen und diesen abscheulichen Haken, die sie einfach ins Wasser schmeißen.“
Meruna zog kurz eine beleidigte Schnute, merkte dann aber, das ihre Freundin sie nur neckte.
„Pah…du bist manchmal dumm…“ sagte sie dann, „sehr dumm. Wie soll er denn ohne Netz Fische fangen? Wenn er dir vollkommen gleichgültig wäre, wärest du jetzt auch nicht hier, sondern würdest dich in König Neptomuks Palast zu Tode langweilen. Aber keine Angst, ich glaube nicht, dass er mich mag. Für Merunen wie mich haben diese Erdlinge ja keinen Blick über. Wir sind klein und meistens hässlich in ihren Augen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob diese … Menschen… überhaupt von uns wissen.“
Die kleine Merune seufzte traurig. Malou, der Delphin schien das zu spüren, denn er tauchte neben ihr aus dem Wasser auf und stupste sie sanft mit seiner Schnauze an. Er ließ zu, das Meruna ihn streichelte und umarmte, bis ihre Traurigkeit wieder vorübergegangen war und sie wieder zu lächeln anfing.
„Warum muss es auch nur so heiß hier sein? Es ist nicht eine einzige Wolke am Himmel.“
„Ja… und was auch merkwürdig ist“ kam es von der Meerjungfrau zurück, „es regt sich nicht ein laues Lüftchen. Die Meeresoberfläche müsste spiegelglatt sein - ist sie aber nicht. Im Gegenteil – wir haben schon ganz anständige Wellen hier.“
Sie stieß sich dann von der Kante des Bootes ab und ließ sich einen Moment nachdenklich auf dem Wellen treiben und betrachtete das kleine Boot aus einiger Entfernung. Als nach einer kleinen Weile dann eine besonders Welle gegen das kleine Boot klatschte und die Gischt an der Wand hochspritzte, nahm sie plötzlich einen schemenhaften Umriss wahr, der sich auf der Bootskante befand und sich leicht bewegte. Ein wissendes Lächeln umspielte plötzlich kurz ihre Lippen, dann schwamm sie zurück, nahm Meruna an die Seite und flüsterte ihr kurz was ins Ohr. Meruna kicherte etwas, machte dann den Delphin ein besonderes Zeichen, und gleich darauf schwamm das Tier einen weiten Bogen um das Boot, nahm Anlauf und sprang dann kurz vor dem Boot aus dem Wasser und über das Boot hinweg auf die andere Seite.


Ein heftiger Schwall Wasser, den das Tier durch den Sprung mitnahm, ergoss sich über das Boot, und kurz darauf hörte man, wie ein zartes Stimmchen sich plötzlich lauthals beschwerte.
„Ach, was macht ihr denn bloß? Nun bin ich ganz nass geworden…“ kam es etwas wehleidig aus dem Nichts, und nach und nach konnte man nun erkennen, wem die Stimme gehörte.
„Ich hatte gerade soviel Spaß!“
 
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Schiffsbruch (Teil 4) – Die innere Stimme

Noch immer kein Regen. Nicht eine einzige Wolke am Himmel. Nur endloses Blau in alle Richtungen, wohin er schaute. Über ihn. Unter ihm. Und neben ihm diese unendliche, fast spiegelglatte Wasseroberfläche, die sich nur leicht kräuselte. Bis auf das leise Platschen des Wassers, das gegen das Floß stieß, war es totenstill. Sogar die lärmenden Stimmen seiner kreisenden Gedanken, die von Angst und Verzweiflung, von Sterben und vom Tod bestimmt waren verstummten nun. Auch das anfänglich noch vorhandene Gefühl absoluter Hilflosigkeit war nun verschwunden. Nur das regelmäßige Schlaggeräusch, das sein Herz machte, pochte in seinen Ohren, sonst hörte er nichts mehr – spürte er nichts mehr. Und dennoch war da ein anderes, sehr viel tieferes Gefühl von unendlicher Dankbarkeit. Dankbar, das ihm das Leben eine solche Erfahrung bescherte. Zum ersten Mal in seinen Leben wusste er nun, wer er wirklich war und wo sein Platz in dieser Welt war. Und das es richtig war, jetzt und in diesem Moment an diesen so unwirklichen Ort zu sein.

Jacaran lächelte leicht. Er lag auf seinem Floß und lauschte ihr nach. Zu lange hatte er sie nicht mehr gehört. Zu oft war sie übertönt worden. Wie oft hatte er darauf gewartet, Anerkennung und Bestätigung für das zu bekommen, was er tat und hatte sich damit selbst klein und durchschnittlich gehalten. Die Meinung der anderen, das wusste er nun, war nichts weiter als ein lausiger Kompass, dessen Nadel in der Mehrzahl der Fälle in Richtung Angepaßtsein und Langeweile zeigte. Nur allzu oft hatte er selbst in dem Gefängnis gehockt, aus Furcht davor, zurückgewiesen zu werden anstatt sein eigenes Abenteuer aus den Jahren zu machen, die er nun schon auf dieser Welt lebte.

Er war außerhalb dieser Gedankengefängnisse sehr viel freier, was seine Träume und seine Ideen betraf. Er musste sich nicht von dem Gerede der Leute abhängig machen, ja er konnte sie einfach reden lassen. Es war sein Leben, vielleicht sein einziges. Es war nicht mehr wichtig, was sie über ihn dachten. Stille. Stille. Das wahre Wissen kam immer aus dem Herzen.

Unter ihm fingen die Wale an zu singen.
 
Alkohol an Bord (Teil 2) – Der braune Fluch (Rum)

Nach dem Gespräch des Schiffsarztes, das Kapitän MacDaragh mit diesem geführt hatte, war er noch einmal in den Lagerraum gegangen, um sich selbst vom Zustand der Vorräte zu überzeugen. Das, was er auf dem ersten Blick sah, stellte ihn im höchsten Maße zufrieden. Das Lager war aufgeräumt worden. Alle durch den Sturm ramponierten Fässer waren aus dem Lager geschafft worden. Die Verplombung der unversehrt gebliebenen Fässer war sorgfältig überprüft worden, und dort wo es notwendig gewesen war, eine neue Verplombung angebracht. Die leeren Fässer hatten Kunsch und Fitsch in einer der hinteren Ecken im Lagerraum gut verstaut wieder aufgestapelt.

Verpflegung an Bord war schon immer ein wichtiges und nur schwer lösbares Problem gewesen. Die richtige Menge an geladenen Proviant war eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Erfüllung der Mission, auf die ein Schiff geschickt wurde auch gewährleistet war, und er als Kapitän der besonderen Verantwortung und Verpflichtung für das Leben und die Gesundheit seiner Männer auch nachkam. Aber noch mehr wie feste Nahrung brauchte die gesamte Besatzung eines Schiffes genügend Flüssigkeit während der Fahrt, da man bekanntlich das salzige Meerwasser nicht trinken konnte. Wasser war das, was am meisten zur Verfügung stand, und es war stets eine Herausforderung, wie lange es in den in den Holzfässern genießbar blieb, da es auf dem Schiff keine Kühlungsmöglichkeit gab. Mit Algen verseuchtes und glibberiges Wasser wurde dann bei Bedarf im nächsten Handelshafen gegen frisches ausgetauscht.
Bier und Wein waren da schon etwas besser geeignet, längere Fahrten noch einigermaßen genießbar zu überdauern, und die besseren Weine wie Port und Sherry wegen ihres hohen Gehalts an Zucker sogar noch besser. Aber beides wurde in der Regel schnell sauer und musste getrunken werden, bevor es ungenießbar wurde. Schales Wasser konnte man immerhin noch süßen und mit Wein strecken.

Die übliche Tagesration Bier für einen Seemann war eine Gallone*. Das war eigentlich eine beachtliche Menge für eine lange Reise, aber Gavin hatte auch nicht im Geringsten damit gerechnet, das diese Fahrt hier nun um einiges länger dauern würde. Größere Sorgen bereitete ihn das Bier. Wenn dieses nicht ausreichend vorhanden war, war seine Sache als Kommandeur dafür zu sorgen, dass es Ersatz gab. Nach dem Gespräch mit Mejdi, den er persönlich sehr schätzte, war er sich gar nicht mehr so sicher, ob der Entschluss, keinen Alkohol mehr an die Männer auszuschenken so gut war. Irgendwann würden die Männer wieder anfangen, zu murren und die Situation an Bord wieder eskalieren. So langsam gab es jetzt auch Probleme mit dem Abfall. Er schloss die Augen. Die Erinnerungen waren sofort da.

In jungen Jahren hatte Gavin als Offizier der königlichen Kriegsmarine im Dienst des Königs gestanden. Unter Lord British wurden viele der kleinen bis dahin bestehenden Schiffsverbände zusammengezogen zu einer Flotte ständig bemannter und einsatzbereiter Kriegsschiffe. Als die Konflikte im Lande mit den anderen Städten aber immer größer wurden, wurde auf königlichen Erlass hin der Ausbau der Royal Navy massiv vorangetrieben. Bis heute bildet diese eine feste, dauernde Flotte von 30 Schiffen. In der Hauptstadt wurde das Royal Dock angelegt, das bis dato Ausgangspunkt aller bedeutenden Marineunternehmen bildet, etwa die Durchführung von Forschungsreisen oder Eroberungszügen oder die Sicherung der Handelsrouten, Stützpunkte und der Kolonien. Unter der britannischen Krone waren wahrhaft große Namen gesegelt, wie etwa James Cook, der große Forschungsreisende.
Die Mannschaft solcher Kriegsschiffe bestand nicht unbedingt aus Seeleuten, die aus freien Stücken angeheuert hatten, eher im Gegenteil. Vielmehr hatten man die Leute gegen ihren Willen an Bord gepresst oder verurteilte Verbrecher eingesetzt. Ständig klaffte eine gewaltige Kluft zwischen Mannschaft und Offiziersstab, der zumeist aus dem Adel stammte, und meist waren soziale Konflikte vorprogrammiert, wenn der Kapitän seine Leute nicht in den Griff bekam. Disziplin war daher unumgänglich, um solch ein Schiff seetüchtig zu halten.

Gavin war damals unter Vize-Admiral William Penn gesegelt, der vom König den Auftrag erhalten hatte, die kleine Inselgruppe zwischen Jhelom und Serpent’s Hold wieder unter das königliche Banner zu bringen und für Britain zurückzuerobern. Nach einigen heftigen Seeschlachten, die mit den Besetzern aus Serpent’s Hold geführt wurden gelang das auch – die Rumproduktion wurde mit Hilfe von Sklaven wieder angekurbelt und die Inselgruppe unter Verwaltung eines königlichen Abgesandten in Serpent’s Hold gestellt.
Da Penn damals nur Rum, aber kein Bier und Wein vorfand, ließ er notgedrungen einen Großteil der Rum-Vorräte auf sein Schiff verladen und begann, diesen in die täglichen Rationen der Mannschaft mit aufzunehmen.

Es ging eben nichts über Spirituosen wie Arrak oder andere Branntweine, was die Haltbarkeit von „Flüssignahrung“ betraf. Seit man im Königreich das Zuckerrohr auf die Inseln zwischen Jhelom und Serpent’s Hold gebracht und damit den Grundstein für die gesamte Rumproduktion im Land gelegt hatte, war Rum zum essentiellen Bestandteil der Schiffsverpflegung geworden und seitdem mit der christlichen Seefahrt aufs engste miteinander verbunden, bildete aber auch immer wieder einen Grund für Piraten und Freibeuter einen Grund, Schiffe mit friedlichen Missionen zu überfallen.

Rum galt als „Likör der Seeleute“, und obwohl seine Bedeutung stetig anstieg, war der Genuß von Rum nicht in der „Regulations and Instructions relating to His Majesty’s Service at Sea“ aufgeführt – einem Erlass, der genau regelte, wieviel Bier oder Wein einem Matrosen pro Tag zustand. Den besseren Rum, der Gin genannt wurde, bekamen dabei die Offiziere, während die Mannschaft den etwas weniger schmackhaft gebrannten Rum bekam. Ein halbes Pint Rum entsprach dabei einer Gallone Bier*, der pur ausgegeben wurde. Wieder arbeitete es in Gavin’s Kopf. Die Besatzung seines Walfängers fasste 30 Mann inklusive Offiziere. Bei dieser Pro-Kopf-Zahl und einer Reise von ca. 30 Tagen für die Mannschaft kam er auf etwa 3600 Liter – in Fässern ausgedrückt also 16 Fässer, wenn ein großes Fass Bier etwa 220 Liter fasste. ***

Er zählte noch einmal die Fässer durch, die nicht durch den Sturm beschädigt waren. Er hatte noch 6 heile Fässer Bier, 3 Fässer mit schal schmeckendem Wasser, das aber immerhin noch nicht glibberig geworden war und 8 Fässer mit gutem Rum. Und sie waren noch ca. 10 Tage unterwegs, bevor sie in den Hafen von Serpent’s Hold einlaufen konnten. Er hatte sich in verdammt noch mal in den Mengen verkalkuliert! Und sowas durfte einfach nicht passieren! Nicht bei so einer Mission!
Ärgerlich strich er sich über die linke Augenbraue, um das immer wieder nervös zuckende Lid zu beruhigen und fühlte dabei die Narbe, die ihm von der Nasenwurzel schräg über die Stirn lief. Ein unschönes Andenken aus einer anderen Zeit war das. Gavin MacDaragh runzelte kurz die Stirn. Als hinter ihm die Treppe knarzte, die herunter in den Lagerraum führte, drehte er sich um. Nathan hatte ihn wohl offensichtlich gesucht und hatte einen freudigen Ausdruck auf dem Gesicht.
„Gavin! Hier steckst du also. Hätte ich mir fast denken können! Es gibt großartige Neuigkeiten!“ Auf Kapitan MacDaraghs fragenden Blick hin redete Nathan einfach weiter.
„Mejdi und ich haben die Berechnung auf den Seekarten noch einmal überprüft. Die erste Berechnung stimmt nicht, wir brauchen keine 10 Tage, sondern höchstens noch 5. Der Sturm muss uns doch näher an die Festungsinsel herangeführt haben.“ Nathan lachte fröhlich.
„Ist das nicht fantastisch? Gavin! Gavin?....Was ist? Freust dich denn gar nicht?“

MacDaragh versuchte zu lächeln. Natürlich war er erleichtert über diese frohe Kunde, die ihm sein Freund gebracht hatte. Er war mehr als erleichtert – er fühlte sich irgendwie sogar gerettet. Aber er hatte schon immer Probleme damit gehabt, seine Gefühle nach außen zu legen. Das Lächeln wurde etwas schief.
„Natürlich freue ich mich, Nathan. Ich fühle mich …. sogar erleichtert! Verzeih, mein Freund, aber ich war die letzten Stunden doch etwas angespannt. Aber die Sache mit dem Proviant ließ mir halt keine wirkliche Ruhe. Ich habe immer noch keine wirklich brauchbare Lösung, wie wir die Wasserrationen nun einteilen sollen.“

Nathan O’Cole trat nun einen Schritt auf den Kapitän zu, umfasste die Oberarme seines Freundes nun mit festem Griff und sah ihn ernst und forschend in die Augen. Zwar versuchte MacDaragh seine Gedanken vor der Mannschaft zu verbergen, aber vor Nathan konnte er das schlecht. Nathan konnte deutlich spüren, dass die ganze Sache für Gavin dennoch einen ziemlich herben Beigeschmack hatte.
„Hör zu Gavin…, ich verstehe durchaus, dass dir das ganze hier gewaltig an die Nieren geht. Du musst auch nicht mehr weiter nach einer Lösung suchen, weil ich sie bereits habe.“ O’Cole fuhr dann fort.
„Ich habe mit Mejdi gesprochen, nachdem er bei dir gewesen ist. Unser Arzt hat da eine gute Idee. Wir opfern zwei der Rumfässer und strecken die Rationen mit Wasser.“
MacDaragh wollte seinen Freund schon unterbrechen, aber der redete einfach weiter.
„Wir strecken ihn mit Wasser und lassen die Mannschaft das ganze zelebrieren.“
„Zelebrieren? Ein Ritual? Nathan, was in Gottes Namen planst du?“ O’Cole amüsierte sich diebisch über den nun völlig verdatterten Gesichtsausdruck seinen Freundes.
„Etwas was uns Spaß machen wird, und der Mannschaft den Gedanken an Meuterei nehmen wird“, sagte er grinsend, „ wir zelebrieren ‚Up Spirits‘!“


[* 1 Gallone = 3,78541178 Liter. Ein halbes Pint (=284 ml) Rum entsprach einer Gallone (= ca. 4,5 Liter) Bier.*
** Ein Pint in den USA entspricht dabei etwa 0,4732 Liter, ein Pint in GB etwa 0,5683 Liter.
*** ähm… ja Mathe immer schwach gewesen :blinzel:. Wenn jemand zu einem anderen Rechenergebnis kommt, bitte dann die Korrektur über PM, ich lass dann noch ändern.]
 
Old Grog

„Davur dat det Sommer sin soll, find ik dat mol recht frisch, ne! Son oolen kalten Wind haddn wir ja lang nimmer.“
Jan Ubke Harms, seines Zeichens Transieder von Westcliff betrat mit hochgeschlagenen Kragen und dicker Jacke die kleine Fischräucherei seines Freundes Bleick Mochel Jacobs, der sich als Nebenerwerb ein kleines Fischlokal unterhielt.
„Wat los Ubke? Knacken dee Knochen wieder, or wat jammerst du heer rumme?“ Bleick Mochel Jacobs warf einen prüfenden Blick auf seinen Freund. Er kannte das Gejammere schon das nun folgte. Es war das übliche Ritual, wie Ubke seinen täglichen Grog bei ihm bestellte.
„Nee, dee knacken nich, dee sin büschen durchfroorn.“
„Wie bisten du durchfroorn? Begreip ik nu nich. Wo den leeven langen Dag in deener Siedebude hockest – am Feuer? Also ehrlich, Ubke!“ Shari’Anshar hatte das in der kleinen Küche nebenan nun auch gehört und war dazugekommen.
„Gibbet nix to Sieden, or siehst heer nen Walfänger, der wat to Sieden had? Dann is dee Butze kalt, un‘ son oolen Mann ooch.“ Bleick Mochel Jacobs grinste nun.
„Juu…. Da merkt man dat du nimmer raus auf‘s Meer fährst. Best halt nich mehr wetterfest, alter Freund. Shari, mach den oolen Grummelkopp mal anständigen Nordwester, damit dem weder warm weer.“ Er lachte nun und machte Shari augenzwinkernd ein Zeichen, wieder in die Küche zu gehen. „Nee.. mach ma leever gleich twee!“
„Kommt sofort, Bleick, brauch nur bisschen. Mut erst Water maken un guggen, wo de Zuckerpot afjeblieben is. Nimm den oolen Frostköddel schon ma anne Hand. Den Grog bring ik gleich, Theyde hat ooch een bestellt.“
„Na du weeßt ja Shari … Rum mut, Zucker kann, Water bruuk nich!“ Ubke leckte sich bereits erwartungsvoll über die Lippen und setzte sich zu Bleick an den kleinen Tisch der unten stand.
„So isses“ sagte Bleick, „lat ma dat Water ruhig wech!

Oben im kleinen Gastraum der Fischräucherei saßen bereits Theyde Boysen, Hauptmann Catores und Rufus von Ellin von der Westcliffer Garde sowie Jaron Ben Kanaan aus der Apotheke bei einem kleinen Mittagsimbiss.
„Was sagt Bleick eben? Nordwester? Was soll das denn sein?“ Ein äußerst fragender Blick von Rufus von Ellin machte die Runde am Mittagstisch. Theyde schluckte den Bissen Fisch runter, den er gerade im Mund hatte und sagte dann wie beiläufig:
„Uh, ein Nordwester ist was ganz feines. Ein Nordwester ist ein richtig steifer Grog, mit einem Mischungsverhältnis von ein Teil Rum und ein Teil heißes Wasser.“
„Der Rum wird noch verdünnt? Ich dachte immer Seeleute sind so richtig trinkfeste Burschen, die alles pur weghauen. Was das denn für eine Unsitte?“ Rufus von Ellin verzog etwas angeekelt die Nase.
„Sind sie ja auch in der Regel, aber das mit der Verdünnung hat einen anderen Grund – und war eine besondere Erfindung eines renommierten Seefahrers namens Edward Vernon“
„Theyde hat wieder was zu erzählen, der kennt sich ja immer gut aus mit sowas. Na dann schieß mal los.“ Hauptmann Catores lehnte sich bequem zurück und Theyde begann dann auch zu erzählen.
„Old Grog … also Vize-Admiral Edward Vernon war Oberbefehlshaber der britannischen Marine und ein erfahrener und fortschrittlicher Mann, der stets um das Wohlergehen seiner Untergebenen besorgt war. Ein ständiger Kritiker der Admiralität und Befürworter für bessere Bedingungen an Bord. Old Grog war also der Meinung, dass die Praxis, Rum pur auszugeben zu erheblichen Problemen mit der Disziplin führte. Zwar stand Trunkenheit während des Dienstes unter schwerer Strafe, trotzdem kam es immer wieder zu alkoholbedingten Zwischenfällen. Jeder Befehlshaber weiß, in welch unschöne Situationen man da kommen kann.“ Hauptmann Catores nickte kurz zustimmend.
„In der Garde hier in Westcliff bekommen die Männer nur Bier und Wein, aber die Probleme sind dieselben, wenn die Sauferei übertrieben wird. Aber ganz verbieten kann man es auch nicht. “
„Richtig, Catores. Deshalb verfügte Old Grog dann auch in der Captain´s Order No. 349, dass die tägliche Ration Rum nur noch mit Wasser verdünnt ausgegeben werden durfte, nach Möglichkeit mit Limetten- oder Zitronensaft und Zucker versetzt.“
„Wozu sollte das gut sein?“ Ein fragender Blick kam daraufhin von dem Hauptmann der Garde.
„Vor einigen Jahren hat ein wahrhaft schlauer Mann herausgefunden, dass Zitronen oder Limettensaft das Risiko verhindert, an Zahnfäule zu erkranken. Er hat dann verschiedene Sachen ausprobiert und auch festgestellt, das Sauerkraut denselben Effekt hat.“ warf Jaron Ben Kanaan daraufhin ein, der das Gespräch natürlich mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt hatte.
„Aha… aber es schmeckt dann doch sauer?“
„Nicht, wenn es dann wieder mit etwas Zucker gesüßt wird.“ Jaron Ben Kanaan lächelte kurz.
„Genau Jaron.“ Theyde nickte kurz anerkennend und fuhr dann fort.
„In einen halben Pint Rum musste ein ¼ Anteil Wasser sein. Um diese Anordnung einzuhalten, musste an Deck und in Anwesenheit des Wachhabenden Leutnants gemischt werden. Die Mannschaft bekam zwei Einheiten pro Tag, die eine zwischen 10 und 12 Uhr die zweite zwischen 12 und 16 Uhr. Dabei wurde sich nach dem Stand der Kompassnadel gerichtet. Zeigte die Nadel Richtung Norden, dann gab es Rum pur. Zeigte sie nach Westen, dann gab es nur Wasser. West-Nord-West bedeutet 1/3 Rum und 2/3 Wasser, Nord-West halb-halb usw. Wenn ein Seemann zwei „Nord-Westers“ hatte, hatte er zwei Gläser, halb mit Rum halb mit Wasser.“
„Aha… nun verstehe ich.“ Rufus von Ellin ließ das Gehörte von eben in sich sacken.
„Ihr Seeleute seid schon manchmal ein komisches Völkchen. Nordwester…Old Grog… Wieso wurde der Admiral so genannt?“
„Admiral Vernon trug stets einen Mantel, der aus einer Mischung aus Seide, Wolle und Angorahaaren besteht. Dieser grob gewebte Stoff ist erstaunlich wetterfest, sogar einigermassen wasserdicht und wird Grogam genannt. Und weil er dafür sorgte, das auch die Seeleute Bekleidung aus diesem Material bekamen, nannte man ihn dann Old Grog.“
„Daher hat das Getränk wohl auch einen Namen?“
„Aye Rufus. So ist es. Old Grog hat mit seiner „Erfindung“ mit einem Schlag für die Beseitigung einer Menge Probleme gesorgt, die auf einer Seereise vorkommen können – Skorbut, Meuterei wegen Alkoholentzuges, einen effizienteren Verbrauch der Alkohol und Wasservorräte und wenn man so will – auch gegen eine gewisse Langeweile am Bord mit der Ritualisierung des Rumausschanks an Bord vorgesorgt. Alles in einem also ein wirklich bewundernswerter Mann, dieser Vernon. Trotzdem wird das auf Dauer aber nicht das Problem der Disziplinlosigkeit lösen. Die Admiralität in Britain wird irgendwann die tägliche Ration Rum noch weiter kürzen – natürlich per königlichen Erlass. Da bin ich mal gespannt was sie sich dann als Ersatz für das Ritual einfallen lassen wird. Ah …. Da kommt ja auch mein Grog, den ich bestellt habe!“

Als Theyde das heiße Glas schon an den Mund führen wollte, um einen Schluck des köstlichen Gebräus zu genießen, sah er wie unten auf dem Boden des Glases etwas wie zerstoßene Kräuterschnipsel rumschwamm. Verwirrt stellte er das Glas wieder ab.
„Shari… Herrgott noch mal, was ist das wieder hier? Guckt dir die Schweinerei mal an!“
„Wassen nu schon wieder?“ Shar stellte sich neben Theye hin und stemmte leicht verärgert die Hände in ihre Hüften. „Was plärrste immer rum?“
„Was ist das da auf dem Boden im Glas?“ Theyde zeigte stirnrunzelnd auf den schwarzen Bodensatz in dem Glas.
„Dir kann man auch nie was recht machen!“ Nu stell dich nicht an – das ist getrocknete Pfefferminze. Wirst schon nicht von tot gehen. Die Büchse ist mir runtergefallen und in den Wassertopf rein.“
Jaron schmunzelte leicht, während Shari leicht genervt die Augen verdrehte. Es war schon immer amüsant, die kleinen Kabbeleien der Dorfbewohner hier mit zu verfolgen. Bevor Shari aber etwas sagen konnte, ergriff der Apotheker das Wort.
„Ich würde das jetzt Tee nennen, Theyde, alkoholisierten Tee wohl eher.“ Der Apotheker grinste nun über das ganze Gesicht.
„Also Theyde, nimm‘s leicht und genieße die Ehre, Vorkoster einer neuen kulinarischen Erfindung geworden zu sein. Nennen wir sie doch…“ er überlegte kurz,
„nun wie wäre es mit …Alter Grommes – Grog spezial alà Shari’Anshar!?“
 
Nelson’s Blood – oder wie man ‚Up Spirits‘ zelebriert

Oben an Deck im Heck der „Silver Sirene“ stand Kapitän MacDaragh nun gespannt neben seinen Quartiermeister und besten Freund Nathan, der hoch konzentriert auf eine silberne Taschenuhr schaute. Neben ihm stand Fitsch mit einer Trillerpfeife und schaute seinerseits hoch konzentriert auf den Offizier, um ja nicht das Zeichen zu verpassen, dass man ihn gleich geben würde.
„Six Bells at the forenoon watch*“ erklang es eben trocken von Nathan und erhob im gleichen Moment den Zeigefinger, das Zeichen für Fitsch in die Pfeife zu blasen. Und Fitsch leistete ganze Arbeit. Er holte tief Luft, blähte die Wangen zu zwei Kugeln und blies in die Pfeife.

Ein schriller und überaus lauter Pfeifton, welchen man auf den ganzen Schiff hören konnte, ertönte und rief eilig die gesamte Mannschaft auf das Deck, die bemüht war, sich ordentlich in zwei Reihen vor den Offiziersstab der „Silver Sirene“ aufzustellen. Kapitän MacDaragh sah sich das an und war bemüht, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Seine sonst so chaotische Besatzung war in diesem Moment wirklich ernsthaft bemüht, vor ihm Haltung anzunehmen. Sogar Kunsch, der sich sonst immer vor den Mannschaftsappellen drückte, war an Deck gekommen, hatte sich einen Platz in den Reihen gesucht und versuchte nun, nicht allzu sehr zu schwanken. Zwei Tage hatten die Männer dieses Ritual nun geübt. Jeden Tag waren die Rollen in diesem Spiel neu verteilt worden. Gavin MacDaragh wagte es, einen kleinen Moment zu glauben, das sein sonst so disziplinloser Haufen endlich zur Vernunft kommen könnte. Und das alles nur, weil dieser Haufen nun die tägliche Ration „Flüssignahrung“ bekam.

LaFayette, sein 1. Harpunier und Schwarzafrikaner, hatte sich vor die Reihen gestellt und ließ die Männer nun stramm stehen. Er hatte eine Liste in der Hand, auf der einige Namen standen, die er nun mit großer Ernsthaftigkeit vorlas:
„Offizier of the Day“…. Tonollo …“Supply Petty Offizier“…Abham … „Master at arms“… Ne’Marron … „The Butcher“…. Mejdi Kazimi …Vortreten und Aufstellung vor dem „Spirits Room“.

LaFayette trat dann zur Seite, während die Genannten vortreten und sich vor der Tür des Laderaumes aufstellten, wo man die zwei Fässer Rum für die täglichen Rationen hingestellt hatte. Ne’Marron als benannter „Master of arms“, der von dem bereits dort wartenden Quartiermeister O’Cole in einer feierlichen Geste die Schlüssel zum Laderaum überreicht bekam, schloss nun mit diesem die Tür auf, um den Schiffsarzt, den man als „Butcher“ bestimmt hatte, in den nun offenen Laderaum zu lassen, wo dieser mit Hilfe eines Syphons die tägliche Ration Rum aus dem Fass abschöpfte. Chief und Petty Officers bekamen ihre Rum-Ration pur, der Rest wurde in den sogenannten Breaker gegeben und an Deck einem besonders gekennzeichneten Rum-Bottich gebracht, der die Aufschrift „The King- God bless him“ trug. Auf das Signal „Runcall“ wurde dann der Breaker in diesen Bottich geleert. Dann rief Abham, der die Rolle des Supply Petty Officers innehatte, die einzelnen Wachen auf, die Rum aus diesem Bottich erhielten, teilte die Ration zu und verdünnte die entsprechenden Anteile Rum mit den entsprechenden Anteilen an Wasser. Die Ration betrug 1/8 Pint 95,5 Proof Rum**, und da die Kompassnadel heute auf Westnordwest stand, wurde das Pint heute mit 3 Teilen Wasser vermischt.
Ein verbleibender Rest in dem Bottich sollte nach der Regel dann unter Aufsicht des „Offiziers oft the Day“ eigentlich vernichtet werden, aber Nathan O’Cole, den man außerdem zum “Ship’s Purser“, auch „Pusser“ genannt, ernannt hatte, hatte diese im Hinblick auf die schwierige Versorgungslage auf dem Schiff kurzfristig geändert. So wurde nun sämtlicher Rum, der in dem großen Bottich zurückblieb, wieder in die Fässer im Lagerraum zurückgebracht. Nachdem dann alle an Bord ihre Ration erhalten hatten und sich wieder zurück in die Reihe gestellt hatten, erhob dann alle auf ein Zeichen des Kapitäns ihren Becher und warteten darauf, das der Kapitän den offiziellen Toast des Tages aussprach, denn dann alle nachsprachen. Danach löste sich dann die Versammlung auf, nur um dann gegen 14 Uhr am Nachmittag dasselbe Ritual noch einmal zu zelebrieren.

Kunsch stand nach dem Ritual zusammen mit seinen Kumpel Fitsch und Samuel an der Reeling und schaute mit ihnen zusammen auf das glitzernde Wasser. Er kicherte leicht.
„Ziemlich lustige Geschichte, Nelson’s Blood so die Ehre zu erweisen, was Fitsch?“
„Juuuh“, Fitsch nickte nur knapp, „jedenfalls allemal besser, als dich auf’s Trockendock zu legen.“
„Das mit den Mischen hab ich allerdings noch nicht ganz kapiert. Aber nen lustigen Tusch hatten wir heute.‘Sweethearts and wives, may they never meet’. Lustig!“ kicherte er wieder. Fitsch seufzte leise.
„Das heißt Toast… nicht Tusch, du Döspaddel. Und das mit den Mischen brauchst du vorerst noch nicht verstehen. Das ist Sache des Supply Petty Officers, der macht das schon für dich.“
“Der von gestern war auch lustig: “A willing soul and sea room” und vorgestern hieß er: “A bloody war and quick promotion”, sagte Samuel begeistert. Meint ihr, es kommt jeden Tag ein neuer? Und was ist Nelson’s Blood?” Fitsch zuckte mit den Schultern.
“Schon möglich, Sammy.”
“Nelson’s Blood ist der Rum” sagte Kunsch da plötzlich schwärmerisch, “zumindest ist das ein anderer Name für den Rum. Weißt du, vor ein paar Jahren, da drüben in Serpents’s, da hab ich mal was gehört in der Taverne am Hafen. Da war son alter Seemann, der erzählte, wie der Admiral in der Schlacht um Serpent’s gefallen ist.” Kunsch lehnte sich nun etwas bequemer an die Brüstung, bevor er weitersprach.
“Nun war der Admiral aber ein richtiger Held – ne Seebestattung wie das so üblich ist, kam bei dem halt nicht in Frage. Naja…da haben sie ihn dann in ein Fass Rum gesteckt. Zumindest war das Fass zu dem Zeitpunkt voll gewesen. Als das Schiff dann im Heimathafen anlief, und man dort das Fass aufmachte, in der der olle Nelson steckte, war es leer – da war kein Troppen Rum mehr drinne. Und warum war es leer… weil son ganz Schlauer unten in den Boden ein kleines Loch gemacht hat und heimlich den Rum weggesoffen hat, hehe.”
“Hört sich ganz nach dir an, Kunschen!” Fitsch grinste breit über das Gesicht, und auch Samuel konnte sich ein Grinsen nun nicht verkneifen.

In der Zwischenzeit war Nathan O’Cole von der Brücke gekommen und hatte sich dazu gestellt. Die letzte Frage des schwarzen Schiffsjungen hatte er noch aufgeschnappt.
“Aye, Sammy, es kommt jeden Wochentag ein ganz bestimmter Toast. Wenn die Woche neu anfängt, geht es wieder von vorne los. Aber so wissen wir dann genau, wann welcher Tag ist. Hier….,” er gab den Jungen einen zusammen gefalteten Bogen Papier, “hier stehen sie alle drauf.”
Aufgeregt faltete Samuel das Blatt auseinander, schob die Zunge in den Mundwinkel und versuchte, das Geschriebene darauf zu entziffern.
“Mo…Montag:…Our…our…shi…ships…at…sea!……Diiiienstag…Our…our…men!……Mi…Mi…Mittwoch…Ourselves!......Do…Donnerstag…. “, er lächelte dann fröhlich, “den kenn ich …. A bloody war and quick promotion!***” Samuel hielt für einen Moment inne und blickte stolz auf den 1. Offizier, der ihn aufmunternd anschaute.
“Lies weiter Samuel. Da steht noch mehr” entgegnete O’Cole. Samuel schaute wieder auf das Papier, suchte mit den Augen die Stelle, an der er zu lessen aufgehört hatte. Dann las er weiter:
“Frei…Freitag:…A wiiiiiling souuuul and sea roooom!......Samstag:…Sweeeeeeethearts aaaaand wiiives, mayyy theyyy neeever meeeeet!......Sonn…Sonn…Sonntag: … Ab..Absent….friends… aaand thoooose…. at sea***.”
“Sehr gut Sammy! Dein Lesen macht schon große Fortschritte. Lerne das gut auswendig, dann wirst du eines Tages auch wie der Kapitän dort oben stehen und den Toast sprechen” lobte Nathan ihn.
“Das werd’ ich, Sir. Vielen Dank, Sir. Aber nun muss ich rasch in die Küche!”
Hastig faltete Samuel nun das Papier zusammen, steckte es im Laufen in seine Jackentasche und lief eilig die Treppe zur Kombüse hinunter. Nathan schaute ihn schmunzelnd hinterher.


A Drop Of Nelson's Blood
(Shanty)

And a drop of Nelson's blood wouldn't do us any harm (3x)
And we'll all hang on behind.

And we'll roll the old chariot along(3x)
And we'll all hang on behind!

And a plate of Irish stew wouldn't do us any harm (3x)
And we'll all hang on behind.

And a good run ashore wouldn't do us any harm (3x)
And we'll all hang on behind.

And a big fat bosun wouldn't do us any harm (3x)
And we'll all hang on behind.



Irgendwo an Deck hatte nun einer der Matrosen mit voller, klarer Stimme dieses Lied angestimmt, in das die anderen an Deck so nach und nach mit eingefallen waren. Nathan drehte sich dann um, stützte sich mit den Armen auf der Brüstung ab, hielt die Nase in den Wind und schloss die Augen. Es lief doch ganz gut mit dem Ritual, zumindest besser als er zunächst befürchtet hatte. Er lauschte dem Gesang der Männer und fühlte sich so gut wie selten in seinem Leben.

And a roll in the clover wouldn't do us any harm (3x)
And we'll all hang on behind.

And if you want to do it, don't you do it agin' the wall (3x)
And we'll all hang on behind.

And a pint from the landlord wouldn't do us any harm (3x)
And we'll all hang on behind.

And a drop of Nelson's blood wouldn't do us any harm
And a roll in the clover wouldn't do us any harm
And a pint from the landlord wouldn't do us any harm
And we'll all hang on behind.

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*„6 Bells at the forenoon watch“ entspricht 11:00 Uhr morgens ** 1/8 Pint (= 71 ml) 95,5 Proof (= 54,5 %Vol.) Rum
*** Monday: Our ships at sea. Tuesday: Our men. Wednesday: Ourselves. Thursday: A bloody war and quick promotion. Friday: A willing soul and sea room. Saturday: Sweethearts and wives, may they never meet. Sunday: Absent friends and those at sea.

**** Die spinnen die Briten :D
 
Verschlungene Wege (Handelsrouten)

Wenn der Reisende die Stadt Vesper über die lange Brücke nach Richtung Norden verließ und dann der Straße nach Westen zum „Mount Kendall“ folgt, wird er, kurz bevor er die Brück erreicht, die über den großen Fluss hinweg nach Minoc führt, an einem kleinen Weingut vorbeikommen. Burg Lantos erhob sich malerisch aus dem von der spätsommerlichen Sonne beschienenden Weinbergen und bot dem Betrachter ein eindrucksvolles Bild. Der Sommer hatte es gut mit den Weinbauern gemeint. Dicke pralle Beeren hingen in prächtigen Rispen von den Rebstöcken und glänzten verlockend in der Wärme des Nachmittages und warteten nur darauf, gepflückt zu werden. Noch immer schimmerten kleine Tröpfchen auf den Früchten und den Blättern von dem kurz zuvor niedergegangen Sommergewitter, das plötzlich aufgezogen war und blitzten in der Sonne auf, und jetzt wo es nicht mehr regnete, waren die Arbeiter des Gutes schon wieder eifrig dabei, die diesjährige Ernte einzufahren.

Auf einer Bank in einem der Hänge saßen zwei Frauen und unterhielten sich, währen etwas weiter abseits ein kleines Mädchen zwischen den Reben spielte.
„Tehan ist nun schon fast drei Wochen in Westcliff. Ich bin das gar nicht gewohnt, dass er so lange fort ist“ sagte die ältere der beiden gerade.
„Ach Benike, wie lange bist du schon mit meinem Bruder verheiratet? Über 30 Jahre sind das nun schon und du kennst ihn immer noch nicht?“ entgegnete die Jüngere. „Was soll ich denn da sagen? Thaon reist regelmäßig um die Welt, um neue Waren für seinen Gewürzhandel einzukaufen und bleibt dann oft monatelang fort. Einmal dachte ich schon, jetzt haben sie ihn geschnappt und ins Gefängnis geworfen, aber dann tauchte er plötzlich wie aus dem Nichts auf und war wieder da. Vielleicht gibt es ja etwas, das Tehan dort unten einfach nur festhält.“
„Ja…“ seufzte die ältere wieder. „Vermutlich mach ich mir einfach zu viele Gedanken und der Grund für sein Wegbleiben ist ein ganz einfacher. Die Kleine ist ja auch dort – vermutlich freut er sich einfach nur, das er Kalifa mal wieder um sich hat.“
Ilysa Rivel de Lantos nickte verständnisvoll.
„Ich denke das wird es sein. Zumal auch das Dorf noch im Aufbau ist, wie ich mir von Thaon habe sagen lassen. Er war erst vor kurzem dort und ist dann weiter zu seiner Zuckerrohrplantage gesegelt, die er auf der Fire Insel besitzt. Der letzte Brief, den ich von ihm erhalten habe, stammt zumindest von dort.“ Sie lächelte nun leicht.

Benike Dal’Maris betrachtete ihre Schwägerin versonnen. Ilysa Rivel di Lantos war die jüngste Schwester von ihrem Mann Tehan und erst seit einigen Jahren mit einem gut begüterten Adligen aus Vesper verheiratet. Es war ihr sichtlich schwergefallen, das elterliche Haus des alten Lord Dal’Maris zu verlassen, in dem die Geschwister gemeinsam aufgewachsen waren, aber Lord Thaon Rivel di Lantos hatte der noch sehr jungen, zierlichen und bildschönen Frau den Weggang am Ende doch noch leicht gemacht – konnte er ihr doch ein Leben anbieten, das ein gewisses Maß an Luxus und Bequemlichkeit bot, auch wenn Ilysa dafür oft einen höheren Preis zahlte, als ihr Mann für seine Handelsgeschäfte. Nach der Geburt der kleinen Myrella war Ilysa dann sehr lange krank gewesen, und Benike, die ihre Schwägerin sehr mochte und die junge Frau fast als ihr eigenes Kind ansah, hatte sich dann um sie gekümmert.
„Wie aufmerksam von Thaon, dich auf diese Weise nicht so im Ungewissen zu lassen. Wie lange ist er denn dieses Mal fort?“
„Vier Monate sind das morgen. Das ist eigentlich auch schon etwas zu lange.“ Leise seufzend und mit einem traurigen Blick strich die junge Frau sich mit einer sanften Geste eine ihre langen rotblonden Haarsträhnen zurück, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel.
„Thaon schreibt, das ihm die Zustände auf der Plantage nicht gefallen. Er hat dort nur sehr wenige Arbeiter, die dort die Felder abernten können, und dieser Aufseher – dieser Samson Smith, dieser unmögliche Mensch nimmt die Arbeiter dort zu hart ran. Thaon schreibt außerdem, das wieder zwei der besten Arbeiter, die er hatte, gestorben sind. Er ist ziemlich wütend, weil ihm dieser Kerl die ganze Planung zunichtemacht, aber auf diese entlegene Insel will ja freiwillig keiner hin.“
„Lohnt sich denn die Mühe überhaupt?“ Benike war skeptisch. Sie konnte sich nicht vorstellen, das man wegen süßen klebrigen Zeug solche Strapazen auf sich nahm – und das sogar freiwillig.
„Ich meine… wenn es jemand süß haben will, kann er doch genauso gut mit Honig süßen.“
„Sicher, aber Zucker lässt sich viel leichter und schneller herstellen. Schau ich erklär‘s dir.“ Ilysa sammelte kurz ihre Gedanken.
„Maßgebend für die Herstellung von Zucker ist diese Pflanze namens Zuckerrohr. Vor einigen Jahren brachte man sie auf königlichem Erlass hin auf die Inseln des tropischen Dschungels, weil diese die besten Bedingungen für das Wachstum der Pflanze boten. Sie sieht dem Bambus sehr ähnlich, wächst auch ähnlich schnell wie er und lässt sich auch gut weitervermehren. Zucker ist ein so rares Gut, es wird mit sehr viel Gold aufgewogen. Da die Nachfrage aber sehr groß ist, muss immer mehr produziert werden. In dieses Geschäft ist Thaon nun mit eingestiegen. Er verschifft nun Zucker und Tabak, der ebenfalls auf der Plantage angebaut wird, in die Hauptstadt nach Britain. Einen Teil des Zuckers sowie in Britain geladenen Waren bringt er dann nach Nujelm, wo er diese dann an den dortigen Herrscher verkauft und dann das Schiff mit Gewürzen mit Arbeitern belädt – meistens Männer und Frauen mit sehr schwarzer Hautfarbe. Die bringt er dann auf die Plantagen der Inseln und bekommt dafür wieder Zucker und Tabak… ein ewiger Kreislauf.“

Wie rücksichtsvoll dieser Mann zu Ilysa war, dachte Benike im Stillen. Wo andere das ungeschminkt „Slaven“ nannten, vermied der Baron es tunlichst, dieses Wort vor seiner jungen Frau zu gebrauchen. Es hätte Ilysa auch nicht gefallen, wenn sie erfuhr, wie man diese Menschen in Wirklichkeit behandelte. Schon allein auf Rücksicht auf die sehr labile Gesundheit war Thaon diesem Thema immer wieder ausgewichen, um seine junge Frau zu schonen. Er hatte ihr auch verschwiegen, dass er einen dieser königlichen Kaperbriefe besaß und den ausdrücklichen Befehl des Königs, diese Transporte durchzuführen. Der König versprach sich davon einen perfekten Handel mit großen Gewinnmargen, der seine klamme Staatskasse wieder füllen sollte sowie außerdem die volle Ausnutzung der Transportwege.
Oft überstand ein großer Teil der Sklaven die lange Reise über den Ozean nicht, aber die Transporte lohnten sich trotzdem. Überlebten diese „besondere Fracht“ dann die Fahrt, wurden sie dann mit guten Gewinnen an die Plantagenbesitzer verkauft, wo sie dann ebenfalls kein gutes Leben erwartete. Hier auf den Plantagen erwartete sie harte Arbeit bis zu 18 Stunden, oft ohne Pausen und guter Verpflegung oder Behandlung durch die Aufseher auf den Feldern. Die Unterkünfte dort waren nicht mehr als Baracken mit allerlei Ungeziefer, und so starben die meisten dann auch bald nach der Ankunft an Unterernährung und Misshandlung. Den meisten Plantagenbesitzern war das egal – es war für oftmals kostengünstiger, neue Sklaven einzukaufen als für eine gute Verpflegung zu sorgen.
Thaon war scheinbar der einzige, der hier die große Ausnahme bildete und die Leute auf seiner eigenen Plantage gut behandelte. Thaon war auch derjenige, der dafür gesorgt hatte, das einige dieser Sklaven nicht verkauft, sondern nach Westcliff gebracht worden waren, wo es ihnen erheblich besser ging als auf den Plantagen. Natürlich ahnten weder Ilysa noch die Krone etwas davon.

Es war nun auch merklich kühler geworden. Ilysa fröstelte leicht, und Benike nahm das als Zeichen, zur Burg zurück zu gehen. Sie rief die kleine Myrella herbei, die auch sofort angelaufen kam und auf den Arm genommen werden wollte. Die letzten wärmenden Strahlen der Sonne genießend, wanderten die drei dann gemächlich wieder auf die Burg zu.
 
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Freibeuter und Piraten

In der hintersten Ecke der Taverne in Trinsic, dem „Keg and Anchor“ saßen ein Mann und eine Frau gleichen Alters und sahen sich über ihre Weinkrüge hinweg bedeutungvoll an. Beide hatten dasselbe schwarze lange, leicht gelockte Haar und haselnussbraune, sehr ausdrucksvolle Augen sowie sehr ähnliche Gesichtszüge; zudem steckten sie in äußerst vornehmer und eleganter Kleidung in feiner Seide und Spitze nach der neuesten Mode, wie man sie nur von den Adligen im Land kannte.

„Hast du gehört Elaine? Diese Gardistin schwafelte tatsächlich etwas von einem Lord der See. Meinst du das ist dieser Kerl, der uns ständig ins Handwerk fuscht?“ Lancelin Desmarets de Saint-Sorlin hielt mit spitzen Fingern eine Hähnchenkeule vor dem Mund und biss vorsichtig ein kleines Stück davon ab, um seine feine Kleidung nicht gleich mit dem Bratenfett zu verderben.
„Bruderherz….“ Elaine Desmarets de Saint-Sorlin lächelte genüsslich. Sie umfasste ihren Weinhumpen wieder mit fester Hand und nahm einen tiefen Schluck, bevor sie weitersprach.
„Weißt du wie viele selbsternannte Lords der See es gibt? Und was macht der schon anders als jeder andere x-beliebige Kaperer, der hier in dieser Weltgeschichte rumsegelt – sei es nun Freibeuter, Korsar oder Bukanier. Na?“ Sie sah ihren Bruder fest in die Augen, der Mühe hatte, ein amüsiertes Grinsen zu unterdrücken.
„Liebste Schwester… du hast vollkommen recht. Pirat ist Pirat. Wahrscheinlich ist dieser Lord nur ein kleines Licht, das sich einen großen Namen gibt, damit alle anderen vor Angst schlottern.“
Lancelin Desmarets de Saint-Sorlin fand das so komisch, das er lauthals vor Lachen rausplatzte und mit der Faust vor Vergnügen auf den Tisch schlug, was eine ältere Trinsicer Dame am Nachbartisch mit Mißgefallen betrachtete.
„Ganz genau Lancelin… er ist ein verdammter Pirat, der sich in die Reihe namhafter Legenden wie Henry Avery, William Kidd und den von allen gefürchteten Edward Teach genannt „Blackbeard“ einreihen möchte.“
„Nicht zu vergessen die holde Weiblichkeit wie Anne Bonny oder Mary Read, Schwesterchen.“ Lancelin hatte sich inzwischen wieder beruhigt.
„Nein, ganz im Ernst ich möchte wissen, von welcher politischen oder wirtschaftlich einflussreichen Gruppe er beeinflusst ist oder von welcher sogenannten Seemacht – Trinsic will ja seit neuestem so eine sein – unterstützt wird. Er ist jedenfalls nichts weiter als jemand der auf hoher See plündert und Verbrechen begeht – man hört da von Morden und Diebstählen in den Häfen, in versteckten Buchten oder am Ufer der großen Flüsse. Dieser Kerl ist kein Pirat mit Ehre im Leib – dieser Kerl ist ein Seeräuber außerhalb aller Gesetze. Hast du übrigens diesen anderen Kerl gesehen, vor dem diese Gardistin den Kopp eingezogen hat?“
„Ach du meinst diesen Obermotz?“ Elaine nahm wieder einen Schluck aus ihren Humpen.
„Sicher, bin ja nicht blind. Was soll mit dem sein? Ist halt nur ihr Obermotz!“ Sie zuckte kurz mit den Schultern.
„Schwesterchen… du hat ihn ja gar nicht richtig angesehen…“ tadelte Lancelin sie, „diese fiese Bagage und dieses herrische Auftreten … würde mich doch nicht wundern, wenn wir hier unseren…“ seine Stimme nahm nun einen sehr gestelzt klingenden Ton an, „unseren „Lord der See“ vor uns gehabt hätten! Ist natürlich nur so eine Vermutung!“ Er strich sich mit einer eleganten Bewegung eine lange schwarze Haarsträhne aus der Stirn.
„Dieser Lord der See hats dir wohl angetan. Du gehst mir langsam auf die Nerven mit dem Kerl, Brüderchen. Am liebsten würdest du ihn wohl hängen sehen?!“
„Aber natürlich will ich das, Elaine. Kannst du dir einen schöneren Tod für diese Gesetzlosen vorstellen?“ Elaine nickte.
„Ja… köpfen!“ sagte sie dann knapp, leerte ihren Humpen nun aus und winkte die Schankmaid der Taverne herbei. „Dasselbe nochmal – aber fix. Hier sind trockene Kehlen zu schmieren!“

Das Gespräch der beiden machte nun eine kleine Pause. Elaine sah sich in der Taverne um, während ihr Zwillingsbruder weiter mit gezierten Gesten seine Hähnchenkeulen bearbeitete.
Die Taverne, die vorher noch gut gefüllt war, war nun fast leer, und die Schankmaid kam auch ziemlich schnell mit zwei neuen Weinkrügen wieder. Die junge Frau nahm dann ein Goldstück aus ihrem Beutel, prüfte kurz die Echtheit des glänzenden Metalles und es dann in die Schürze der Schankmaid fallen.

„Es stinkt mir allerdings auch, das dieser sogenannte Lord plötzlich aufkreuzt. Und mir wäre es lieb, du würdest dieses Thema nicht überall rausposaunen. Könnte nämlich sein, das da jemand auf falsche Gedanken kommt.“ Lancelin schaute nun verblüfft auf seine Schwester, die die hübsche Stirn in etwas ärgerliche Falten gelegt hatte.
„Aber wir sind doch auch Pira….,“ fing er an, wurde dann mit einem scharfen Ton unterbrochen.
„Nein Lancelin, das sind wir nicht!“ zischte Elaine ihn an.
„Wir sind Freibeuter mit einer königlichen Lizenz zum Plündern, das ist der feine Unterschied. Severo besitzt über den Baron eine Kopie seines Kaperbriefes des Königs, der uns berechtigt, auch in Friedenszeiten, die feindlichen Schiffe des Königs zu überfallen, auszurauben und notfalls zu versenken. Solange Severo diesen Brief hat, kann man uns nicht als Piraten anklagen und verurteilen.“
„Das heißt, wir müssen aufpassen, das wir nicht die eigenen Verbündeten angreifen, solange wir keinen Krieg haben, sonst….“ Lancelin zog mit dem Finger eine Linie am seinen Hals lang und streckte die Zunge dabei aus dem Mund.
„Schlaues Kerlchen.“ Elaine lächelte zufrieden. „Du hast es erfasst!“
„Wir können das aber nicht immer korrekt unterscheiden!“ bemerkte Lancelin etwas naseweis und schürzte unschuldig die Lippen.
„Ganz genau… können wir nicht. Und deswegen sollst du ja die Klappe halten!“
 
Fleur de Sel – Blume des Meeres (Salzgewinnung)

Da stand er nun – barfuß, sonnengebräunt – und muskulös. Ein Eigenbrötler wie im Buche und mit ihr verheiratet. Maelle de Sel stand auf dem oben auf dem Hügel, der die salzigen Felder von den übrigen Wiesen abgrenzte, auf den Schafe, Kühe und Rinder weideten und sah ihrem Mann von dort einen Augenblick bei der Arbeit zu. Von hier oben aus bot dieses fast zweitausend Hektar große feuchte Areal aus bunten Becken jetzt zur Spätsommerzeit auch ein atemberaubendes Natur- und Lichtspecktakel.

Salz war für die Menschen schon immer lebenswichtig und seit jeher ein hochgeschätztes Gut. Um an das begehrte Mineral zu gelangen, hatten die Menschen schon seit Jahrtausenden immer komplexere Methoden entwickelt, das begehrte Mineral abzubauen, und so gewann man es entweder wie hier aus dem Meerwasser, aus den großen Salzstöcken tief in den Bergwerken, durch Sieden der Sole salzhaltiger Wasserquellen oder aus dem Abbau der Ablagerungen in den Salzwüsten. Salz war wichtig als Gewürz und zur Konservierung für Nahrungsmittel. Es brachte jenen, die es besaßen großen Reichtum und Macht ein und schuf Städte, die unter dem Salzhandel aufblühten. Um auch das Landesinnere mit dem so wichtigen Stoff versorgen zu können, transportierte man es bald über eigens geschaffene Salzstraßen zu den Dörfern. Es war so kostbar, das bei Goldknappheit der Lohn der Soldaten und Beamten teilweise sogar in Salz ausbezahlt wurde.

Maelle dachte an die Zeit vor ein paar Jahren im Minoc, wo sie und Delron bis vor einigen Jahren noch gelebt hatten. Hier hatten ihre Vorfahren ein großes Bergwerk am Mount Kendall betrieben, um das Salz aus dem Berg zu fördern. Auch Delron, ihr Mann war dort gewesen und hatte im Berg das Salz mit abgebaut. Mit einfachster technischer Ausrüstung hatte man tiefe Schächte in den Berg hineingetrieben. Dann aber gab es einen katastrophalen Erdrutsch, der große Teile des Bergwerkes verschüttete. Delron hatte sich dann eine andere Arbeit suchen müssen, und so war er an die Küste gegangen und Salzbauer geworden.
Die junge Frau stieg den Hügel hinunter. An ihrem Arm hing ein Korb mit einer Flasche Wein, Brot und Käse für ein kleines Mahl. Es waren beste Bedingungen für die Ernte und Delron konnte zu einer gewissen Zeit, wenn die Sonne einen bestimmten Winkel auf die Becken warf, nicht nach Hause zum Essen kommen. Diese Zeit war die Zeit, in der sich wie von magischer Kraft gehoben und vom leicht Wind zu dünnen Platten verdichtet, auf glatten Wasseroberfläche jene weiß-gleißenden Kristalle bildeten, die das feinste, beste und teuerste aller Salze – Fleur de Sel – bildete.

Sie war unterdessen an dem Becken angekommen, an dem Delron das Salz abschöpfte. Die Salzkrusten erinnerten Maelle an dünnes Eis, das sich am Rand des Beckens abgesetzt hatte. Das hier war nichts mehr, wo Fischreiher und Möwen noch etwas zum Fressen fanden. Diese lebensfeindliche Brühe interessierte nur derjenigen, der mit diesem dem Meer geduldig abgerungenen Kristallschatz Handel treiben wollte. Delron schenkte ihr ein fröhliches Lächeln, als sie ihm näherte.
„Wir haben Glück, mein Herz“ sagte er. „Sieh nur, jetzt bläst der Wind die feinen Salzkristalle zusammen, die nahe unter der Wasseroberfläche hier schweben. Ich muss nun ganz vorsichtig sein, damit diese zarte Schicht nicht zu Boden sinkt.“ Maelle seufzte ergeben.
„Mein lieber Mann, du musst aber auch etwas essen, sonst gibt es bald keinen mehr, der diese Blumen hier pflückt.“ Sie setzte sich etwas abseits des Beckens ins Gras, stellte den Korb ab und schaute zu, was ihr Mann nun machte. Maelle wusste, dass sie ihn nun auf keinen Fall stören durfte.
Delron war bereits seit den frühen Morgenstunden in den Salzfeldern auf den Beinen. In der Frühe des Tages wurde das grobe Meersalz, Gros Sel genannt geerntet. Dieses Salz stammt vom den lehmigen Boden der Becken und hat eine leicht graue Farbe. Dieses Salz trocknete nun in einer Ausbuchtung am Rand des Beckens, bevor es am nächsten Tag auf den großen Salzberg am Rande der Felder gefahren wurde. Die Höhe dieses Berges war die Visitenkarte des Salzbauern, je höher dieser Berg war, desto erfolgreicher hatte dieser sein Wissen in Einklang mit der Natur gebracht. Maelle betrachtete die Salzkristalle. Manche von ihnen sahen sehr lustig aus, fast wie kleine Schlösser mit mehreren Etagen.

Ein Schatten, der über sie fiel, ließ sie dann wieder aufblicken. Delron war von dem Salzfeld gekommen, an dem er gerade gearbeitet hatte und hatte sich neben ihr ins Gras gesetzt. Er nahm einen Schluck aus dem Weinkrug, brach ein Stück Brot ab und schnitt sich einen Streifen Käse herunter. Schweigend und immer wieder auf die Felder schaute, verzehrte er dieses kärgliche, aber dennoch sättigende Mahl, das ihm seine Frau gebracht hatte. Auch Maelle sagte nichts. Es genügte ihr, dass sie bei ihm sein konnte. Nach einer Weile spürte sie, dass seine Hand nach ihrer suchte und sie dann fest umschloss.
„Noch ein paar Tage, dann ist es geschafft, mein Herz. Dann kann ich anfangen, die Ernte zu in Vesper zu verkaufen … oder in Minoc. Dieser Sommer ist gut… fast zu gut.“ Er drückte ihre Hand wieder und Maelle lehnte sich gegen seine Schulter.
„Manchmal denke ich, ich will nicht aufstehen und rausgehen, weil ich einfach zu müde bin. Weil du den ganzen Sommer geschuftet hast – harte Arbeit ohne einen Tag Pause dazwischen, weil du jeden Tag damit rechnest das es sich bilden kann.“ Maelle hörte weiter zu.
„Fleur des Sel … das ist etwas Besonderes! Fleur de Sel ist die Frucht der Liebe von Sonne und Wind. Und wenn der Ostwind lange und sanft genug über das Salzfeld gerieben hat und die Sonne stark genug war, bildet sich diese zarte Blume aus Salz, die bei der geringsten Bewegung entschwindend. Und heute … heute ist so ein besonderer Tag.“

Delron sagte in der Regel nicht viel, er war im Gegenteil äußerst sparsam mit seinen Worten. Aber als er diese beiden Sätze zu ihr sagte, war Maelle doch überrascht, wie poetisch er sein konnte. Ihr Mann arbeitete den ganzen Tag schwer auf diesen Feldern, aber so hart und schwer die Arbeit auch immer war, wusste Maelle um die besondere Liebe, die ihr Mann seiner Arbeit entgegenbrachte. Ein Leben ohne Salz schien für Delron wie Leben ohne Wasser zu sein. Es war für sie gut zu wissen, dass er trotz der staatlichen Abgaben an die Krone die kleine Familie gut ernähren konnte.

Gegen Ende des Nachmittages würde Delron mit der Ernte dieses so seltenen feinen und strahlend weißen Meersalzes beginnen. Selbst in den besten Sommern wurde nur sehr wenig davon geerntet, aber hier war auch nicht die Menge gefragt, sondern vielmehr Geduld, Geschick und Fingerspitzengefühl. Mit rechteckigen Sieben, die an langen Stangen befestigt sind, tauchte Delron konzentriert mit äußerster Vorsicht langsam unter die sich bildenden Salzkrusten und fing das anfänglich an Schneematsch erinnernde Fleur de Sel ein. Ein Tag noch von der Sonne getrocknet, und aus dem Schneematsch würde dann eine Delikatesse geworden sein, die sich wie Pulver anfühlte und dem Gaumen der Kenner angenehm belebte.

Jetzt, wo dieses Salz geerntet wurde, übten die Salinen einen besonders starken Reiz aus, den man kaum in der Lage war, zu beschreiben: man spürte die erfrischende Kühle der sich ankündigen Sommernacht und die Orgie aus Farben und Licht, wenn die Sonne am Horizont versank, eingehüllt vom Duft des Meeres, den der Wind über die Saline wehte. Dazu gesellte sich ein zarter Veilchenduft, der von dem strahlenden Weiß des Salzes kam, den man nur in den wenigen Stunden nach der Ernte wahrnehmen konnte.
In solchen Momenten glaubte Maelle an Wunder. Nur mit den einfachsten Mitteln und ohne aufwändige Technik, nur allein durch die Kenntnis jahrhundertealtem Wissen und den Kräften der Natur – Sonne, Wind und dem Meer – war der Mensch in der Lage, etwas so Edles wie dieses Salz zu erschaffen.
 
Lukrative Geschäfte (Rumhandel)

Vor einigen Tagen hatte die „Lily on the Beach“ die Docks der Jhelom’schen Hauptinsel verlassen und zog nun in gemächlicher Fahrt am „Cape of Heroes“ vorbei, einer langen, ins Meer hineinragenden Landzunge, die sich im Süden des Landes am äußersten Rand des Dschungels befand. Baron Thaon Rivel di Lantos stand, eine Pfeife rauchend, am Heckfenster seiner Kabine und blickte auf die schroffen Klippen der Landzunge, die an ihm vorbeizogen. Er hatte seinen Kapitän und guten Freund de La Rocha angewiesen, die kleine Brigantine, die er sein Eigen nannte, zwischen den Inseln „Bald Island“ und „Temple Island“ vorbei den Hafen der Festungsstadt Serpent’s Hold anzusteuern. Das Schiff führte eine Ladung Lebensmittel mit sich, die für die Bewohner der Festungsinsel gedacht waren.
Ein paar Tage noch, dann war auch dieser Extra-Auftrag erledigt. Thaon hätte ihn eigentlich gar nicht nötig gehabt, aber da der Kommandant der Festung und der Baron immer gute Geschäftsbeziehungen gepflegt hatten, wäre er schön dumm gewesen, sich diesen Extra-Verdienst durch die Lappen gehen zu lassen. Zumal dieser Extra-Verdienst aus einigen Fässern exquisiten Rum bestand, den er seit dem Besuch seiner Plantage inoffiziell mit sich führte. Er zog wieder genüsslich an seiner Pfeife und den Rauch tief in seine Lungen ein und wieder aus. An der „Bald Insel“ würde er das Schiff kurz anlegen lassen, und die Fässer dort in einer der verfallenen Fischerhütten zwischenlagern. Sollte der Kommandant dann selbst zusehen, wie er sie sich holte. Thaon würde ihm lediglich über einen seiner Männer ausrichten lassen, das die „Ware“ bereit stand. Wichtig allein war, dass die Handelsbücher in Ordnung waren und die königlichen Kontrolleure ihm nicht allzu schnell auf die Schliche kamen. Thaon trat vom Fenster weg und setzte sich in den bequemen Sessel an seinen Offizierstisch, auf dem die aufgeschlagenen Handelsbücher lagen.

Seit man herausgefunden hatte, wie man aus den Saft der Zuckerrohrpflanze in größerem Maße Schnaps brennen konnte, florierte das Geschäft mit dem „braunen Gold“. Rum war zu einem wichtigen und begehrten Zahlungsmittel geworden, ein lukratives Geschäft in dem viele eingestiegen waren, die das große Geld witterten – und oft nur billigen Fusel produzierten – wegen mangelnder Kenntnisse vom Zuckerrohranbau. Nicht so die Araber, die diesen Alkohol schon seit langem in ihren Territorien produzierten. Thaon war vor seiner Heirat lange auf der Insel Nujelm gewesen und hatte dort diese Kunst von seinem muslimischen Freund Kareem gelernt. Als der König von Britannia dann vor einigen Jahren per Erlass beschlossen hatte, Zuckerrohr offiziell anbauen zu lassen, hatte Thaon die Gelegenheit am Schopfe ergriffen. Auf dem sehr weit von der königlichen Hauptstadt abgelegenen „Fire Island“ hatte er am Fuße des „Solitary Mountain“ ein Stück Land gekauft und dort „Snakebite Lake“ aufgebaut, die kleine Plantage, auf der er nun selbst dieses göttliche Gesöff produzieren konnte, das ihn so reich gemacht hatte. Zuckerrohr wuchs überall in den Tropen, ließ sich ganzjährig ernten, gut destillieren und trotz der Hitze dort einfacher lagern. Rum aus den Tropen entwickelte sich für die Krone wie der Gin aus Arabien zu einem wertvollen Gut, das überall erfolgreich verkauft werden konnte. Er war so begehrt, das er in Rationen sowohl von Freibeutern wie Henry Morgan als auch von der offiziellen Marine als Teil der Heuer ausgezahlt wurde.

„Fire Island“ – günstig abseits aller bewohnten Landstriche und Inseln gelegen, mit vielen Buchten und Naturhäfen und dem Tor zur Hölle mitten in tropischen Gewässern war der ideale Ausgangspunkt für Kaperfahrten auf alle feindlichen Schiffe des Königsreichs. Die königliche Admiralität in Britain hatte zur Aufrechterhaltung der hohen Preise immer mehr Kaperbriefe ausgeteilt, um die feindlichen Schiffe aufzubringen und neben dem Gold- und Silbertransporten auch die Rumlieferungen unter Kontrolle zu bringen. Ein gut gemeinter Versuch, der aber kläglich daran scheiterte, dass die Rum-Brennereien wie Pilze aus den Boden schossen. Zusätzliche Güter, die man nur auf den tropischen Inseln finden konnte wurden dann in die Warenpalette mit aufgenommen: Tabak, Kakao, Kaffee und Baumwolle bereicherten schnell das Angebot in den Häfen und an den Börsen. Die Plantagenwirtschaft erreichte schnell ihren Höhepunkt und wurde in den sicheren Kolonien, die die Freibeuter der Krone vorher für den König erobert hatten, erfolgreich eingeführt.

Natürlich hatte die Sache auch eine äußerst unschöne Seite: Sklaven! Um die Produktion in der feuchten heißen Schwüle gewährleisten zu können, wurde immer mehr menschliche Arbeitskraft benötigt, die zudem noch billig sein sollte. Nachdem man die eingeborenen Völker derart dezimiert hatten, setzte ein skrupelloser Menschenhandel ein, der den Exodus tausender und abertausender Afrikaner zur Folge hatte. Große Sklavenschiffe, die sich allein auf den Transport dieser „menschlichen Ware“ spezialisiert hatten, fielen nun in die Beutezüge der Kaperer. Ein Sklavenschiff zu erobern, das bedeutete den Gegner in seiner Produktion zu schwächen und die Stellung der eigenen Plantage mit mehr Arbeitskräften zu sichern. Die Bukaniere nahmen hier eine besondere Stellung ein: als sogenannte „gute Piraten“ befreiten sie die Sklaven geenterter Schiffe und gliederten sie als vollwertige Mitglieder in die eigene Besatzung mit ein. Gerade die Afrikaner waren besonders schlagkräftige Bukaniere, die voller Hass auf ihre Entführer schauten und somit äußerst loyal zu ihrem Kapitän standen. Sie konnten bei den Beutezügen oft den eigenen Besitz mehren und sogar eine Führungsposition erreichen.
Das war auch gut so, denn eine Niederlage auf See hätte für endete zwangsweise immer wieder im Zuchthaus und letztendlich wieder in der Sklaverei. Ausgerechnet bei diesen Piraten fanden die verschleppten Schwarzen das Maß an Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit noch lange vor einer gewissen Revolution, die sich erst vor kurzem im und auf den Lande abgespielt hatte. Es ließ sich nicht verleugnen – bei allem Pioniergeist und der vorherrschenden Geldgier wohnte doch allen Freibeutern derselbe Geist inne – der Wunsch nach Selbstbestimmung.

„Land in Sicht!“ Ein undeutliches Rufen, das vom Ausguck oben aus der Takelage kam, riss den Baron nun aus seinen Gedanken. Er war tatsächlich ins Träumen geraten über sein Nachsinnen. „Bald Insel“ lag nur etwa eine Stunde Fahrt von der Landzunge weg. Als die Tür leise knarzend geöffnet wurde blickte er auf. Francisco de La Rocha genannt „Severo“ war mit festen Schritten in die Kabine getreten. Thaon blickte ihn erwartungsvoll an.
„Wir sind da!“ sagte Severo knapp. „Und wir haben Glück! Es zieht Nebel auf!“
 
Nebelzauberland

Die kleine Gestalt, die nun aus dem Nichts vor ihnen auftauchte, war von äußerst zarter Statur, mit wachsbleicher Haut und fedrigen weißen Haaren, die in allen Richtungen vom Kopf abstanden. Ein enttäuschter, weil man sie bei ihrem kleinen Streich ertappt hatte, aber dennoch klarer Blick aus großen, himmelblauen Augen traf die beiden. Lynea Nebelkind saß mit baumelnden Beinen auf der schmalen Kante des Beibootes, mit dem sich Siadin und Meruna abgemüht hatten und kaute betreten dreinschauend auf ihren Lippen herum.

„Das du viel Spaß hattest, war nicht zu übersehen. Hallo Lynea!“ sagte Siadin schmunzelnd, „ich hätte mir fast denken können, das du es bist, die hier mit uns solchen Schabernack treibt.
„Was wollt ihr denn eigentlich mit dem Boot hier? Hat das einen Grund oder zieht ihr das nur zum Spaß durch die Gegend?“ Lynea schaute neugierig auf die beiden herunter.
„Das gleiche könnte ich dich fragen!“ erwiderte Meruna leicht ungehalten. „Wie lange sitzt du denn schon in diesen Boot und genießt den schönen Nachmittag in der Sonne?“
„Ach schon eine ganze Weile. Die Winde spielen nicht mit mir und da hab ich mir das halt ein wenig bequem gemacht. Mir war langweilig“ antwortete Lynea ihr und guckte die Merune nun etwas schuldbewusst an.
„Ah ja…“ Meruna runzelte ärgerlich die Stirn. „Und jetzt wartest du darauf, dass dich die Winde wieder holen, ja?“ Dieser unschuldige Blick aus den Augen von Fräulein Nebelkind war immer im höchsten Maße verwirrend. Und genau das ärgerte Meruna immer, weil es sie nämlich immer völlig durcheinander brachte.
„Ja… ganz genau. Und das passiert spätestens dann, wenn der Wolkenmann mich vermisst. Dann schickt er jemanden, meistens die sanfte Brise. Oder er kommt selber. Aber ihr habt mir immer noch nicht gesagt, was ihr mit dem Boot hier treibt.“ Lynea plapperte nun munter drauf los.
„Wir helfen einem Menschenmann. Hast du ihn denn nicht gesehen?“ Siadin war um das Boot herum nun auf die andere Seite geschwommen, um dem Gespräch etwas besser folgen zu können.
„Natürlich hab ich das. Und was anderes auch noch. Deswegen hab ich nämlich hier im Boot auf euch gewartet. Wisst ihr, dass ein Schiff hier ganz in der Nähe rumkreuzt?“ Das Nebelkind kicherte nun wieder fröhlich, und Siadin blickte sie überrascht an.
„Ein Schiff?“
„Ja ein Schiff. Es kreuzt an der Grenze wo die warme Wasserströmung aus den Tropen auf die kalte Strömung trifft, die vom Schmelzwasser der „Dagger Isle abfließt. Und das ist gut.“ Lynea lächelte geheimnisvoll.
„Wieso soll das gut sein?“ Meruna, die das gerade nicht verstand, runzelte verwirrt die Stirn. Sie hasste es, wenn jemand in Rätseln sprach, der sich mit ihr unterhielt. Fräulein Naseweis-Nebelkind würde sich sicherlich gleich erklären. Und das tat sie dann.
„Weil die sehr kalte Luft, die von dieser eisigen Insel kommt über warmes Wasser weht und dann verdunstet“ die Stimme klang schwärmerisch und etwas verträumt.
„In geringem Abstand zur Wasseroberfläche bilden sich dann allerfeinste und zierlichste Tröpfchen aus dem Wasserdampf und bilden herrliche Nebelschwaden. Das gleiche passiert mit dem warmen und kalten Meeresströmungen. Und bei sehr, sehr kalter Luft haben wir dann gewaltige Nebelbänke. Und dort an dieser Stelle ist das besonders häufig. Seenebel nennen die Menschen das.“
Lynea planschte wieder fröhlich im Wasser und erzeugte eine kleine Nebelwolke, die sie kurzfristig einhüllte. Dabei sang sie leise ein Liedchen.

Nebelkind

Ein Nebelkind legt sich geschwind
aufs Land tief in der Nacht.
Es hat die Welt, weil´s ihm gefällt,
ganz unsichtbar gemacht.

Triffst du´s, kann´s sein, es hüllt dich ein
in Nebelschleiergrau.
So stehst du hier allein mit dir.
Das Nebelkind ist schlau.*



„Ja, ja, ganz schlau!“ Meruna grummelte. „Du und Spaß haben! Warum schickst du nicht ein paar deiner geballten Mikrotröpfchen zu diesem Menschen hin und hilfst uns damit, das Boot ungesehen in seine Nähe zu bringen?“
„Das geht nicht so einfach! Ich brauche Wind dazu.“
„Kannst du denn deine Freunde nicht einfach herbeirufen?“
„Nein, die müssen schon selber kommen.“
„Schöne Freunde hast du! Wenn ich mit meinen Fischfreunden rede, kommen sie sofort. Du hast sie bestimmt verärgert, dass die nun nicht da sind. Jawohl, das hast du!“ Meruna schaute nun triumphierend. Genau so musste es sein, sonst würde Fräulein Naseweise nicht hier sitzen und ihren Schabernack mit ihr treiben.
„Meruna! Streite nicht, das bringt uns nicht voran.“ Siadin war nun ihrerseits verärgert. „Wieso bist du ständig so giftig zu anderen, die dir nichts wollen.“ Die Meerjungfrau schüttelte leicht mit dem Kopf. .
„Außerdem haben wir ein kleines Problem“ sagte sie dann stirnrunzelnd.
„Was für ein Problem?“ Die Frage kam fast gleichzeitig von Meruna und Lynea und entlockte Siadin nun wieder ein leichtes Schmunzeln. Sie wirkte etwas ernst, als sie dann weitersprach:
„Naja… falls euch das entgangen ist - wir sind wir hier noch ziemlich weit weg von jedweder Meeresströmung und ohne die Winde ist auch das Luftvolk ziemlich machtlos. Sie braucht halt einfach etwas Wind, der sie und ihre kleinen Nebelwolken mitnimmt.“ Siadin seufzte etwas, und auch das Nebelkind blickte sie nun betrübt an.
„Oh…“ klang es nun traurig, „daran habe ich gar nicht gedacht!“
„Na prima…“ Meruna begann schon wieder ungeduldig zu werden. „Und das bedeutet?“
„Das bedeutet, dass wir nun warten müssen, bis ein Windhauch vorbeikommt“ entgegnete Siadin ihr. Meruna rollte die Augen. Gab es nicht schon genug Schwierigkeiten, diesen Menschen zu helfen. Musste jetzt auch noch das passieren?
„Das kann ja heiter werden. Wie lange sollen wir da warten – so launisch wie dieses Völkchen ist?“ fragte sie dann etwas mutlos geworden.
„Kommt ganz drauf an, wie artig Lynea war!“ Siadin grinste. „Aber dazu fällt mir doch glatte eine kleine Geschiche ein. Mögt ihr sie hören?“
Lynea schaute gespannt auf Meruna und dann wieder auf die Meerjungfrau. Sie liebte Geschichten und klatschte aufgeregt in die Hände:
„Au ja… ja bitte… bitte… bitte, bitte!“ und Siadin fing an zu erzählen.


Der kleine Windhauch und das Lob der Menschen

Eines windigen Sommertages machte sich der kleine Windhauch aus dem Staub. Er hatte für heute keine Lust mehr, ständig zu wehen, stürmen und brausen. Während seine Windfamilie pfeifend durch Wälder, Felder und Straßen strich, versteckte er sich in der Krone einer alten Linde, die am Dorfplatz stand. Dort machte er sich klein und verharrte stumm, bis die Winde zum Meer weiter gezogen waren. Ganz alleine war er nun und der kleine Windhauch erschrak nun doch über seinen Übermut. Die Windstille fühlte sich seltsam an. Beängstigend ein wenig. Dem kleinen Windhauch wurde heiß vor Schreck. Was hatte er getan?
Unruhig sah er sich um. Die Sonne hatte sich den Tag zurückerobert. Sommerglutheiß brannte sie auf das Dorf, die Pflanzen, Tiere und Menschen nieder. Warm und wärmer wurde auch dem kleinen Windhauch in seinem Baumversteck, ein Gefühl, das er nicht kannte. Er glitt aus seinem Versteck und strich durch die Straße.
“Oh, ein Windhauch!”, sagte eine Stimme. Sie klang erfreut. “Danke, dass du meine Haut streichelst und ihr Kühlung bringst.”
Oh! Der kleine Windhauch fühlte sich geschmeichelt. Er genoss es, gelobt zu werden.
“Wind? Wo ist Wind? Ich möchte ihn auch spüren!”, rief da eine zweite Stimme von der anderen Straßenseite. “Es ist so heiß heute. Hallo, Windhauch, wo bist du?” Schnell eilte der kleine Windhauch mit seinem kühlen Atem über die Straße.
Da riefen schon weitere Stimmen nach ihm, und der kleine Windhauch beeilte sich, allen Rufen bereitwillig zu folgen. Es war schön, so beliebt zu sein und überall gelobt zu werden. Er eilte von hier nach da, zog durch die Straßen, strich durch die Gärten und über den Dorfplatz, wehte, kühlte, hauchte, streichelte und sauste. Und immer lauter brausten die Stimmen, die nach ihm riefen, in seinen Ohren. Es wurden auch immer mehr. Ganz außer Puste war der kleine Windhauch nun. Es blieb aber keine Zeit zum Ruhen.
“Ein schwerer Job ist das!”, klagte er und hielt für einen Moment inne. Job! Hatte er Job gesagt? Er wollte heute doch gar nicht arbeiten. Und beliebt wollte er auch nicht mehr sein. So nicht. Viel zu stressig war das!
Und während die Menschen schon wieder laut und fordernd von allen Seiten nach ihm riefen, machte er sich schnell aus dem Staub und sauste seiner Windfamilie hinterher. Sollten sie rufen, die Menschen. Und schwitzen. Schließlich war es Sommer. **


„Das war eine schöne Geschichte“ sagte Meruna dann nach einer Weile, „aber wieso kennst du dich so gut in der Menschenwelt aus? Dörfer und Straßen…und Bäume… sowas gibt es doch hier im Meer gar nicht!“ Meruna schaute ihre große Freundin nun durchdringend an: „Du hast doch bestimmt ein Geheimnis, von dem andere nichts wissen sollen, stimmt‘s? Oder woher weißt du so genau, wie es bei den Menschen da aussieht?“

Siadin schoss die Röte auf die Wangen und sie tauchte kurz unter, um ihre Verlegenheit zu verbergen, aber auch um die Hitze zu kühlen, die sich gleich in ihr ausbreitete, wenn sich ertappt fühlte. Mist! Jetzt hätte sie sich beinahe verraten! Von Theyde durften die beiden nichts wissen, vor allen Meruna nicht, die sich ja immer sehr leicht verplapperte.
„Ach weißt du, ich denke mir das so!“ wich sie der Frage dann aus und wechselte sofort das Thema.
„Aber es wäre schon gut, wenn wir ein kleines Lüftchen hätten. Wir sind nämlich nicht auf die Strömungen angewiesen, wisst ihr. Wenn wir ein laues Lüftchen hätten könnten wir hier und jetzt einfach einen kleinen Nebel auf dem Meer entstehen lassen.“
Ach ja? Und wie soll das funktionieren?“ fragte Meruna sie skeptisch.
„Nun ja…. Das Wasser ist ja den Sommer über gut aufgeheizt worden von der Sonne. Wenn jetzt ein kalter Wind käme…
„… und Lynea wieder rumplanscht…“ Meruna schien nun zu verstehen.
„…gäbe es allerfeinsten Nebel…“ sagte Lynea da wieder fröhlicher und sang ihr kleines Liedchen weiter.

Es ist nicht weit und schenkt dir Zeit
für einen Märchentraum.
Du träumst dich fort zu fremdem Ort,
fern ab von Zeit und Raum.

“Komm, geh mit mir! Ich zeige dir
das Nebelzauberland!”
raunt es dir zu und da nimmst du
des Nebelkindes Hand.

So wandert ihr von da nach hier
durch die Nebelwelt.
Der Tag ist schön, und ihr könnt gehn,
so weit, wie´s euch gefällt.*



[* © Elke Bräunling, www.elkeskindergeschichten.de
** © Elke Bräunling,

Elke Bräunling wohnt mit Mann und Hund im sagenumwobenen, inspirierenden Odenwald bei Schriesheim. Nach dem Studium war und ist sie tätig als Lektorin, Journalistin, Liedermacherin, Ghostwriterin, Buchautorin und Bloggerin. Veröffentlichung zahlreicher Bücher, Geschichten, Märchen, Gedichte und Lieder, dazu pädagogische Fachliteratur, Beiträge und redaktionelle Mitarbeit bei Zeitungen/Zeitschriften/Funk. ]
 
Luftspiegelungen und Nebelkühle

Hoch oben im Himmel, am Rande der ersten Himmelsphäre hatten Königin Vayu, Elementarkönigin der Luft zusammen mit Solaris, Königin des Tages und erste Frau des Himmelskönigs sowie Nepholo, dem Wolkenmann das Gespräch unten auf dem Wasser zwischen Siadin, Meruna und Lynea amüsiert belauscht.

„Die Kinder kommen vielleicht auf Ideen! Einem Menschenmann helfen.“ Königin Vayu lachte immer noch und wischte sich eine kleine Lachträne aus den Augenwinkeln. Nepholo blickte sie schmunzeln an und warf dann ein:
„Naja Lynea würde ja gerne, aber sie kann ja noch nicht, selbst wenn sie es versuchen würde. Sie würde nichts weiter als leichten Dunst über einer Oberfläche erzeugen, der sich dann bald auflösen wird, sobald Solaris ihre Strahlen sendet.“
„Das stimmt Nepholo, bei dem leichten Dunst ist das für mich kein Problem, da braucht es schon die Waschküche, die du produzierst. Aber die Kinder haben recht.“ Solaris drückte eine gewisse Bewunderung aus, und das war bemerkenswert für diejenigen, die ständig mit der Königin des Tages zu tun hatten schon erstaunlich. In der Regel hatte die eitle Königin des Tages nur Augen für sich und selten für andere. “Ein anderer wäre vermutlich schon von der Hitze meiner Strahlen verrückt geworden, aber dieser hier kämpft nach wie vor um sein Leben.“ Königin Vayu schien zu überlegen, dann nickte sie zufrieden und sagte dann:
„Ich denke ich werde Belixa bitten, das sie da unten für etwas Bewegung sorgt, da ich wirklich gespannt bin wie die Sache ausgeht. Zumal die Kinder dort unten ja ihren Narren an ihn gefressen haben.“ Die Königin lächelte wieder. Dann wandte sich sich an den Wolkenmann:
„Ach Nepholo, geh du doch bitte voraus, bevor ich die Brise hinterher schicke. Ich denke, da unten könnten sie alle etwas Kühlung gebrauchen. Lynea mit ihren kleinen Dunstwölkchen wäre in der Tat keine große Hilfe.“ Vayu lächelte. „Aber unser Nebelkind muss ja auch erst einmal groß werden.“ Nepholo nickte und machte sich sogleich auf dem Weg. Die beiden Königinnen schauten ihm nachdenklich hinterher. Dann sagte Solaris:
„Ich habe auch noch eine Idee. Dazu brauche ich aber eine der Lichtspiele.“ Vayu sah sie etwas überrascht an.
„Was hast du vor?“ Die Königin des Tages lächte nur geheimnisvoll.
„Wir setzen ein Zeichen in den Himmel.“

Man ließ nach Gamorna Tafa rufen, die nach einer kleinen Weile auch erschien und sich vor den beiden Königinnen verneigte.
„Ihr habt mich gerufen, oh meine Königinnen?“
„Ja. Wir brauchen dich für eine Luftspiegelung. Du musst – natürlich mit meiner Hilfe, sonst gelingt es nicht – dort unten auf der Erde jemanden etwas vorgaukeln, das sich an der Stelle, wo du es spiegelst, nicht vorhanden ist, sondern viel weiter weg tatsächlich existiert.
„Das das wäre?“ Gamorna schaute gespannt abwartend.
„Ein Schiff. Und zwar ein ganz bestimmtes Schiff.“ Solaris lächelte leicht.
„Ich freue mich schon drauf, Königin. Auf dem Meer macht mir das sogar besonders Spass.“

Während Gamorna sich zu der Stelle aufmachte, an der die Luftspiegelung erscheinen sollte, dachte die Königin des Tages kurz über dieses Phänomen nach. An heißen Sommertagen wie dieser es einer war, konnte eine Fata Morgana den Menschen tatsächlich eine Illusion vorgaukeln, die aber, wenn sie dann näherkamen, wieder verschwand. Was war es genau, dass das menschliche Auge so zum Narren hielt?
Solaris lächelte wissend. In gewisser Weise musste es sogar heiß sein, damit sich die Luft erwärmen konnte. Besonders gut gelang das auf allen dunklen Flächen wie gepflasterte Straßen oder eben auf der Wasseroberfläche, die ganz ähnliche Eigenschaften wie eine Straße aufweist. Hier erwärmt sich die Luft besonders stark und dehnt sich dabei aus, wobei ein kontinuierlicher Übergang von kalten, dichten Luftschichten zu heißen, weniger dichten entsteht. Wenn nun Sonnenstrahlen zwischen diese Luftschichten geriet, wurden die Lichtstrahlen an der Übergangsgrenze gebrochen und änderten ein klein wenig die Richtung. Ein Schiff wurde dann oberhalb der Wasseroberflache an den heißen Luftschichten gespiegelt, und zwar so, das sich dieses Trugbild über dem eigentlichen Objekt befand, das sich sogar noch hinter dem Horizont befinden konnte. Damit das aber gelang, war die Vorausetzung, das sich warme Luftschichten über den kalten befanden.

Wie gut, das die Elementarkönigin den Wolkenmann schon runter geschickt hatte. So würde das, was Solaris als Verkörperung der Sonne vorhatte, viel besser gelingen.
 
Schiffsbruch (Teil 5) - Hüter der Weisheit

Jacaran robbte vorsichtig an den Rand seines Floßes und spähte in die Tiefe. Langsam stieg ein gewaltiger schwarzer Schatten immer höher und umkreiste seine kleine schwimmende Insel von unten. Immer höher stieg der Wal nun, bis sich sein grauer, mit Pocken und Beulen übersähter Körper zu einem Viertel aus dem Wasser ragte. Schnaubend stieß er die Luft zu einer hohen Fontäne aus.
Jacaran betrachtete das Tier voller Ehrfucht. Er wagte sich nicht sich zu rühren, geschweige denn zu atmen. Ihm war, als würde er sich neben der mächtigsten Eiche befinden, die ihn einem Wald steht, aber dieses hier war noch viel eindrucksvoller. Das Tier hätte ihn mit einem einzigen Schlag seiner Flossen wie eine Puppe durch die Luft schleudern können, aber das tat es nicht – es schaute ihn nur an. In diesem scheinbar starren, schwarzen Auge lag ein zutiefst friedvoller Blick, und Jacaran fühlte sich, als ob er durch ein Guckloch in eine riesige Höhle der Weisheit und Traurigkeit blickte. Fast schien es ihm, als wenn der Wal ihm ein Angebot machte – ein Angebot zur Versöhnung für alle Greueltaten, die man diesen Tieren angetan hatte. Jacaran sah es nur kurz, aber er sah es. Es pflanzte ein Bild in seinen Kopf und verschwand dann wieder im Wasser. Das Tier tauchte ab. Der dunkle massive Körper schob sich scheinbar endlos lautlos an ihm vorbei. Dann folgte der Schwanz, so weit wie ein großer Platz. Er bemerkte noch, dass die linke Hälfte der Fluke eine tiefe Kerbe hatte. Eine langsame Wellenbewegung, und der Gigant der Meere verschwand wieder in den dunklen Tiefen.

Jacaran hörte wieder einen Ton – tief aus den Fluten stieg ein langer klagender Schrei auf. Das Lied des Buckelwales war überall um ihn und er fühlte es tief in sich drin. Es weckte einen tiefen Urinstinkt in ihm, und er hörte nicht nur zu, sondern wurde Teil dieses Liedes. Er war nur Gast in dieser Welt, was ihm mit einem Male schlagartig bewusst wurde. Der Wal sang zu ihm und er war das Lied…langsam glitt er hinüber in die Traumzeit…

Als er wieder erwachte, war es Nachmittag geworden. Eine kühler Windhauch hatte ihn geweckt und ihm fröstelte plötzlich. Er bemerkte dann, dass sich das kleine Floß mitten in einer dichten Nebelwolke befand. Jacaran rieb sich das feuchte Gesicht. Was war das? Süßes Wasser! Gierig leckte er seine Hände ab und suchte nach Stellen auf dem kleinen Floss, wo sich die feinen Tröpfchen des Nebels niedergeschlagen hatten und schon größere Tröpfchen oder kleine Pfützen gebildet hatten.
Er hatte Glück. Auf der Plane gab es einige Vertiefungen, wo sich das Wasser bereits gesammelt hatte. Vorsichtig beugte sich Jacaran darüber und versuchte das Wasser zu trinken. Dann hörte er ein Platschen in der Nähe, wie etwas das aus dem Wasser gesprungen und wieder eingetaucht war. Er blickte auf und sah noch wie eine graue Flosse eilig davon schwamm.

Haie? Das hatte ihm jetzt noch gefehlt. Er blickte wieder angestrengt durch die trübe Wand und versuchte etwas zu erkennen. Dann sah er es. Nicht weit vom Floß steckte ein Delphin den Kopf aus dem Wasser, machte ein fast kicherndes Geräusch und tauchte dann wieder ab. Jacaran blickte dem Tier erleichtert hinterher. Dann aber glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Aus dem trüben Nichts tauchte vor ihm plötzlich ein Boot auf...
 
Küstennebel

An diesen schönen Spätherbstnachmittag saß Kalifa allein am Strand auf einen Bootssteg, der sich in der Nähe des „Schreines der Ehre“ befand. Die Sonne schien warm, und wenn man den Blick über das Wasser gleiten ließ, konnte man weiter draußen auf dem Meer den Schleier einiger Dunstwolken erahnen, die auf dem Wasser lagen. Kalifa hatte sich ganz ans Ende des Steges gesetzt und ließ die nackten Füße ins Wasser baumeln. Vor ihr tanzte ein kleines Segelboot lustig auf den Wellen. Ein paar Möwen ließen sich faul in der kleinen Bucht auf dem Wasser treiben, und an der Uferkante war eine kleine Schar Strandläufer dabei, eifrig die langen Schnäbel in den Sand zu stecken und nach Muscheln zu suchen.
Das Wasser an den Füßen war erstaunlich warm, und Kalifa genoss es sichtlich, einmal einfach nur dazusitzen und nichts zu tun. Nur die Gedanken waren wie immer in Bewegung. Ihr Vater hatte sie wieder einmal überrascht. Sie als Botschafterin für das Dorf bei dem König. Was für eine Idee! Und das wo sie eher jemand war, der lieber handelte als Süßholz zu raspeln. Kalifa seufte etwas. Es wurde wirklich Zeit, das ihr Bruder sein Zwischenspiel beendete, das er dem Council in Yew gegeben hatte und sich an seine wahren Pflichten als Erbe ihres Vaters besann.

Der Wind frischte plötzlich auf und änderte die Richtung. Er kam nun von der See hinüber und trieb die dunstigen Wolken aus der Ferne nun in Schwaden auf das Land zu. Hin und wieder wurden einzelne Fetzen aus der dunstigen Wand herausgerissen und trieben grau und feucht über die junge Frau hinweg. Kalifa fröstelte etwas. Es kam ihr so vor, als wenn diese Nebelschleier sogar durch sie hindurch zogen. Sie suchte mit den Augen den Mast des kleinen Segelbootes, aber dieser verschwamm vor ihren Augen – so, als hätte sie zu viel getrunken, aber sie saß noch immer in der Sonne.

Plötzlich aber war der Nebel da und breitete sich aus und hüllte alles in feuchtes Grau ein - das Wasser, das Boot und auch sonst alles, was sich ihm in den Weg stellte. Kroch erst langsam, dann aber schneller über den Sand und wälzte sich über die Dünen hinauf hinein in den Wald und zog in Richtung des Dorfes. Verschluckte die Häuser, die hohen Bäume – und zuletzt auch die Sonne. Die Möwen waren längst verstummt, auch die Strandläufer sind schon lange weitergeflogen. Das einzige was man noch hörte, war das leise Plätschern der Wellen und das Klopfgeräusch, das das Boot machte, wenn es wieder an den Steg schlug. Ab und zu trieb der Bug des Bootes ins Blickfeld oder der Mast bei der nächsten Windböe. Dann sah man wieder einen einzelnen Möwenflügel oder einen Schatten auf dem Wasser.


Ich bin die Furcht, die dich berührt
Ich bin die Nacht, die dich verführt
Ich bin der Nebel, schnell und leis’
Ich schicke dich auf ew’ge Reis’
Ich bin nur Dunst, der schnell verweht
Ich bin Geist, der nie vergeht



Innerhalb von Sekunden hatte sich die gesamte Umgebung verwandelt, etwas Unangenehmes und Unheimliches lag in der Luft – leise, flüsternde Stimmen, die der Wind mit sich brachte und die in den Ohren rauschten. Und plötzlich bekam Kalifa eine Ahnung von dem, was Theyde in seinen Geschichten immer wieder erzählte.


Ich bin nur Rauch, der tödlich ist
Ich bin die Kälte, die zerfrisst
Ich bin ein Freund, der dich belügt
Ich bin die Hoffnung, die dich trügt
Ich bin der Hass, so klar und rein
Ich bin des Glückes falscher Schein
Nur Nebel in der Dunkelheit
Ich bin ich für die Ewigkeit *



Plötzlich waren sie da - die Besatzungen der Geisterschiffe, die Feen und Zauberer, der Meerkönig und sein Gefolge. Kalifa konnte nun förmlich den algigen Atem riechen. Und die wassergetränkten Schritte hören, die lockenden Gesänge und geflüsterten Versprechungen. Fast war ihr, als wenn eine Meerjungfrau den Kopf aus dem Wasser streckte und von ihrer großen verlorenen Liebe sang. Oder dass tanzende Gespenster ein Neugeborenes unter dem „Kinderfelsen“ ablegten, damit es am Abend von seinen Eltern geholt wurde. Das der Geist eines zu jung von den Wellen verschlungenen Korsars über das Wasser lief und ihr verriet, wo er seinen geheimnisumwitterten Schatz vergraben hatte.

Wer weiß, vielleicht lebte der „Fliegende Holländer“ wirklich und nicht nur in den Geschichten, die man sich über ihn erzählte? Flüstern nicht auch hier die Fischschwärme aufgeregt miteinander, wie Shari ihr immer glauben machen wollte? Und ganz sicher lebten hinter dem Nebel all die Sirenen, Feen und Druiden, von denen Theyde immer sprach. Kopf und Herz voller Fantasie und Geschichten suchte sich Kalifa nun Schritt für Schritt einen Weg über die Dünen nach Hause.

* Gefunden in diesem Forum: http://www.fanfiktion.de/s/4ba0686e000076560ca007d0/1/Nebelkind
 
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