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Die verwunschene Feder - eine Fortsetzungsgeschichte

Die Nacht brach herein und während der Mond das Wasser in silberweißes Licht tauchte, begann im dichten Dschungel das Leben zu erwachen.
Kip hatte sich auf seinem Weg nach Westcliff am Verlauf der Küste orientiert und sich auf seiner Reise immer gerade nur soweit von ihr entfernt, dass er das Wasser noch sehen konnte.
Ihm behagte der Gedanke ganz und gar nicht, sich zwischen den riesigen Bäumen und Pflanzen zu verlaufen.

Äste knackten.
Kip griff nach seinem Schwert und befahl seinem Muli, ein paar Schritte schneller zu gehen.
Ihm kamen die Worte seines Vaters in den Sinn, als dieser ihm das kurze Schwert zum Abschied überreicht hatte:
„Nimm es schon! Was willst du tun, wenn dich auf deiner Reise ein Wegelagerer überfällt oder plötzlich ein Monster aus dem Gebüsch springt, um dich zu fressen? Willst du dich mit deiner Schreibfeder zur Wehr setzen?"
„Ach Vater“, hatte er ihm lachend geantwortet. „Dann werde ich die Beine in die Hand nehmen und zusehen, dass ich verschwinde.“
Kip seufzte. Sein Vater war so naiv. Was sollte er einem Wegelagerer oder gar einem Monster entgegensetzen. Nur weil er ein Schwert in seiner Hand tragen konnte, war er noch lange kein Krieger.
Kip seufzte ein zweites Mal , als er an die Abschiedsworte seines Vaters dachte.
„Pass auf dich auf, mein Kleiner."
Er mochte es nicht, wenn sein Vater ihn so nannte. Auch wenn sein Vater es nicht so meinte, erinnerte es Kip daran, was ihm der morgendliche Blick in den Spiegel Tag für Tag klarmachte: Kip war so klein, wie sein Name kurz.
Als er das Gefühl bekam, dass das unheimliche Rascheln und Knacken aus dem Unterholz immer dichter kam, gab er seinem Reittier die Sporen und eilte in Richtung Westcliff, dessen erleuchtete Häuser sich endlich in der Ferne zeigten.

Der Eingang zum Dorf war unbewacht und außer eines Mannes, der unsicher des Weges entlang getorkelt kam, war niemand zu sehen.
Kip winkte dem Mann zu.
„Heda, kennt ihr ein gutes Wirtshaus in diesem Ort?"
„Aaaabaaa sssischa", lallte der Mann. „Raaait' nfach innn diessche Rischung..."
Kip nickte dem Mann dankend zu und folgte dem Weg weiter.
Vor dem Wirtshaus angekommen, machte Kip sein Pferd fest und trat durch die Eingangstür. Ein paar der Gäste blickten neugierig zu ihm rüber.
Kip spürte, wie sein Gesicht rot anlief.
Er kannte diese Art Blicke schon.
Sein Blick wanderte durch das Wirtshaus. Am anderen Ende des Raumes war noch ein kleiner Tisch frei.
Er hatte gerade den halben Weg zu dem Tisch zurückgelegt, als neben ihm ein Mann von seinem Stuhl aufstand, sich vor ihm breitbeinig aufbaute und lachend sein Gebiss zeigte.
„Hey, wir bedienen hier keine Kinder!", bellte er Kip an.
Kip hielt den Atem an und blickte mit offenem Mund zu dem Kerl hoch.
 
Der „Blaue Ritter“ war am diesem Abend gut besucht. Am Nachmittag hatte eines der kleineren Handelsschiffe aus Jhelom, das hinüber nach Serpents Hold wollte, hier in Westcliff einen kurzen Zwischenstopp eingelegt und neue Ware für die kleine Taverne am Hafen gebracht. „Flüssiges Gold“ wie Riordan den Schnaps immer nannte, der nun wieder zurück in die Kehlen der Männer floss, die nach dem Verladen der Ware in das kleine Kontor hier am zeitigen Abend eingekehrt waren. Aber das war für die meisten nicht der einzige Grund.
Kalifa stand mit Riordan hinter dem Tresen und half dem Halbelfen dabei, immer wieder neue Krüge für die durstigen Seeleuten zu füllen. Aileen, ihr Schankmädchen hatte an diesem Abend gut zu tun, und würde sich nachher wieder bestimmt über wundgelaufene Füße beklagen. Und darüber, dass der Po von den Kniffen der männlichen Gäste wehtat.

Kalifa schluckte ein Kichern herunter und sah hinüber zu Riordan, der schon wieder wütende Blicke zu den wilden Kerlen rüber schoss, die seiner Herzdame schöne Augen machten.
„Hallo…ruhig bleiben“, sie grinste ihn verschmitzt an. „Es bringt nichts, wenn du dich aufregst. Ich brauch dich außerdem hier und nicht in einer dieser wilden Prügeleien, die nichts bringen. Aileen kann sich schon ihrer Haut wehren, wenn sie will.“ Sie knuffte ihn leicht in die Rippen.
„Du bist auch selbst schuld! Wenn du nicht bald mal was sagst, haut sie dir am Ende wirklich noch ab.“
Die junge Wirtin ignorierte den bösen Blick nun, der sie traf. Sie amüsierte sich immer wieder darüber, dass der so ernsthafte und korrekte Halbelf sich einfach nicht traute, das Schankmädchen anzusprechen. Sie winkte Aileen heran, stellte ihr den nächsten Schwung Bierkrüge und Schnapsbecher auf das Tablett und wies in Richtung des langen Tisches, wo sich die Männer hingesetzt hatten.
Ihr Blick ging kurz zur Tür, die sich geöffnet hatte, aber sie konnte nicht erkennen, wer die Taverne betrat, da vom Stammtisch wieder heftig nach flüssigem Nachschub geordert wurde. Sie nickte Theyde Boysen zu, der ihr die fünf Finger einer Hand sowie den Daumen der anderen hochhielt, zum Zeichen, das er noch mal sechs Biere bestellte. Während sie mit geübter Hand die Krüge unter dem Zapfhahn hielt, fiel ihr plötzlich auf, dass die Geräuschkulisse sich plötzlich irgendwie verändert hatte. Es kam ihr wesentlich stiller vor..

Kalifa sah auf. An einem der Tische war einer der Männer aufgestanden und hatte sich breitbeinig vor etwas gestellt, das sie vom Tresen nicht gut sehen konnte.
„… Keine Kinder“, kam es dann bruchstückhaft aus dem Lärm zu ihr rüber. Sie stutzte… Kinder, was für Kinder? Zu so später Stunde? Kalifa seufzte leicht. Sollte etwa Rani wieder nicht schlafen können und war ausgebüxt?

Die junge Wirtin stellte das Glas ab, das sie gerade befüllen wollte, und kam hinter dem Tresen hervor, um nachzusehen. Sie schob einen Mann weg, der ihr die Sicht versperrte und erwartete ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen zu sehen. Klein war das, was sie dann erblickte auch, aber es war nicht Rani.

„Hallo?“ Sie stützte die Hände auf die Oberschenkel und beugte sich leicht nach vorn, um auf Augenhöhe mit der kleinen Person zu kommen, die vor ihr stand. Ein freundliches Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Wer bist du denn?“
 
In der Tat war es kein Kind, dass dort vor Kalifa stand.
Kip rieb verlegen zwischen Zeigefinger und Daumen sein Ohrläppchen und versuchte, Kalifas Blick auszuweichen.
Den riesigen Kerl, den die Wirtin aus dem Weg geschoben hatte, hatte er längst aus seinem Gedächtnis gestrichen - Schmähungen dieser Art kannte er nur zu gut.
Die meisten Personen reagierten auf seine gerade mal 1,30 Meter Körpergröße wenigstens mit großer Verwunderung. Und nicht selten waren es Leute wie eben dieser große Mann im "Blauen Ritter", der Kip zwar um einiges überragte, aber in seinem Kopf weit weniger großzügig ausgestattet war.
Aber wenn ihn Frauen so neugierig beäugten war das immer etwas anderes.

Kip rückte seinen gepflegten Mantel gerade und verneigte sich leicht.
„Einen guten Abend, werte Dame", sagte Kip mit freundlicher Stimme.
„Ich nehme an, ihr seid die Wirtin des Hauses? Ich bin nur einfacher Reisender, der eine warme Mahlzeit und ein Lager für die Nacht sucht - natürlich gegen Bezahlung."
Kip zog hastig seine voll beladene Tasche vor, die er an seiner Seite trug.
Ungünstigerweise hatte er das Gewicht seines Handgepäcks unterschätzt und so ermüdete der Riemen seiner Tasche eben in dem Moment, als er seinen Geldbeutel herausnehmen wollte.
Mit einer ruckartigen Bewegung nach vorne versuchte er noch das Schlimmste zu verhindern, aber der gesamte Tascheninhalt entleerte sich ungebremst auf den Boden.
Als erstes fand eine zusammengeschnürte Karte ihren Weg vor Kips Füße und rollte dann weiter auf den nächsten Tisch zu.
Während er mit einer Hand versuchte, die Karte im Fall zu erwischen, kullerten mehrere Bleistifte auf den Boden, anschließend rutschte ein kleines Notizbuch aus der Tasche, das hintendrein auf den Boden klatschte.
Kip murmelte leise etwas vor sich hin und beugte sich schnell hinab, um seine Habseligkeiten wieder aufzusammeln, als ihm plötzlich mit lautem Rums ein weiterer Gegenstand vor die Füße fiel.
Es war ein dicker Wälzer, der seine besten Jahre lange hinter sich hatte und beim bloßen Anblick drohte, auseinander zu fallen.
Das wäre nicht weiter interessant gewesen - alte Bücher gab es genug auf dieser Welt.
Interessant war der Titel, der auf den vergilbten Seiten zu sehen war, den das Buch beim Aufprall auf den Boden preisgab: „Die sieben Weisen".
Kip wurde zunehmend hektischer, grabschte schnell nach dem schweren Buch, klappte es wieder zu und klemmte es sich unter den Arm.
„Verzeiht die Unordnung...", stammelte er und versuchte umständlich mit dem Buch unter dem Arm die übrigen Sachen aufzusammeln.
Nachdem er alles, bis auf die Karte, die aus seinem Blickfeld gerollt war, aufgeklaubt hatte, stand er mit seinen Sachen an den Bauch gedrückt mitten im Raum.
Viele der Gäste glotzten ihn verdutzt an und Stille breitete sich aus, die Kip zunehmend als unangenehm empfand.
Seine schwarzen Haare klebten klatschnass auf seiner Stirn und Röte stieg in seinem Gesicht auf.
Unsicher wanderten seine Augen durch den Raum und versuchten, irgendwo einen sicheren Platz zu finden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Karte war Enrik vor die Füße gerollt. Er bückte sich rasch nach vorn und hob sie auf, bevor noch jemand drauf treten konnte. Sie hatte ihre besten Jahre wohl ebenfalls schon hinter sich, denn sie war mindestens genauso zerfleddert wie das alte Buch, das diese kleine Person so rasch wieder an sich genommen hatte wie einen kostbaren Schatz. Aber als Chronist und Stadtschreiber von Westcliff hatte Enrik einen geübten Blick für literarische Kostbarkeiten.
'Die sieben Weisen…', dachte er bei sich, 'welch ungewöhnliche Lektüre für jemanden, der nicht gerade den Eindruck macht, als treibe er sich ständig in der Weltgeschichte herum.'
Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und ging auf Kip und Kalifa zu. Mit einem Blick auf Kalifa sagte er dann:
"Ich bin mir sicher, dass Lady Kalifa sich freut, endlich einfache Reisende verköstigen zu dürfen, nach all der extravaganten Kundschaft von heute mit ihren gehobenen Ansprüchen. Du darfst deinen Mund gerne wieder schließen, Alfrik!“
Während er Alfrik, einem der Hafenarbeiter, dem immer noch vor Staunen die Kinnlade herunterhing, den Mund mit einer sanften Geste zuschob, zwinkerte Enrik der jungen Wirtin zu, die sofort verstand und sich auf dem Weg in die Küche machte. Mit einem Lächeln überreichte er dann dem kleinen Neuankömmling sein Eigentum.
"Hier, kleiner Mann, ich glaube das gehört Euch?“ Enrik machte eine einladende Geste zu seinem Tisch an der Wand rüber.
„Um Euren Magen kümmert man sich bereits. Setzt euch doch zu mir und leistet mir etwas Gesellschaft!"
 
Ein schiefes Lächeln zog sich über Kips Mundwinkel. Er schüttelte den Kopf.
„Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr die Karte noch einen Augenblick für mich verwahren könntet. Wenn ich die Karte jetzt wieder an mich nehme, füchte ich, dass ich gleich noch einmal alles aufsammeln muss."
Das alte Buch immer noch unter den Arm geklemmt, seine Tasche in der einen Hand und seine übrigen Gegenstände immer noch an den Leib gepresst, folgte er Enrik langsam zu dessen Tisch.
"Ich danke euch für eure Hilfe.", sagte Kip und legte seine Sachen erleichtert ab, als sie die freien Plätze an der Wand erreichten.
Bevor er sich setzte, reichte er Enrik lächelnd die Hand.
"Ich habe mich euch noch gar nicht vorgestellt. Kip Naskal ist mein Name."
 
Die erste Neugierde der Leute im "Blauen Ritter" hatte sich schnell gelegt. Der kleine Kerl hier vor ihm hatte tatsächlich genug Aufsehen erregt. Enrik schob die alte Karte vor den Stapel Stifte auf den Tisch, um diese erneut am Runterfallen zu hindern.
"Enrik van Thaden. Die Leute nennen mich hier auch auch Darsus von Yew. Freut mich Eure Bekanntschaft zu machen." Er ergriff die ihm angebotene Hand und setzte sich dann wieder. Er blickte auf das ganze Zeug, das nun samt der brüchig gewordenen Ledertasche ausgebreitet vor ihm lag.
"Ihr habt etwas seltsames Reisegepäck. Macht sich wohl auch gerne selbstständig wie mir scheint", bemerkte er schmunzelnd.
"Ihr seid wohl ein Künstler, wenn ich mir das hier alles ansehe. Stifte… alte Karten… Bücher…
Sagt, was führt euch nach Westcliff?"
 
„Darsus von Yew? Ja besser konnte ich es doch gar nicht treffen!"
Kip lachte begeistert über sein ganzes Gesicht.
„Welch Zufall - wegen genau euch bin ich hier! Oh...entschuldigt...einen Moment", murmelte Kip, errötete leicht, schob das Durcheinander auf dem Tisch - bis auf den alten Wälzer - in seine Tasche zurück und machte Platz für das Essen, das gerade serviert wurde.
Dann richtete er seinen Blick wieder auf Enrik und musterte ihn von oben bis unten.
„Ich hatte mir euch viel älter vorgestellt...ach...was rede ich...entschuldigt meine Unhöflichkeit.
Ich bin nur so überrascht, euch auf diese Art und Weise zu begegnen.
Ihr müsst wissen, ich komme direkt aus Yew. Ich habe dort die Mönche in einer Angelegenheit gesprochen, bei der sie mir nicht weiterhelfen konnten, verwiesen aber auf euch. Ist das nicht ein Ding, dass ich nun ausgrechnet vor euch sitze?"
Kip konnte sein Glück immer noch nicht fassen.
Mit beiden Händen nahm er vorsichtig sein altes Buch und schob es zu Enrik.
„Vielleicht sollte ich eure Frage beantworten, dann versteht ihr mich besser", lachte Kip erneut und ließ das Buch vor Enrik liegen.
„Ich bin Buchautor...oder möchte es zumindest werden...ähm...genau genommen habe ich bisher nur meine Notizen...und eine Menge hübscher Ideen." Kip lächelte verlegen und klopfte vielsagend auf seine Tasche.
„Aber...", räusperte sich Kip. „...ihr versteht wahrscheinlich nicht im geringsten, was das mit dem Buch zu tun hat. Habt ihr von diesem Werk schon einmal etwas gehört?"
Er tippte mit dem Zeigefinger auf den verwitterten Einband des Buches.
Der Titel war nur noch Bruchstückhaft erhalten.
"Legenden d alt König"
 
Zuletzt bearbeitet:
Enrik hörte dem Geplapper gar nicht so richtig zu. Er war gedanklich viel eher mit dem alten Buch beschäftigt, das Kip vor ihn hingeschoben hatte. Es war mehr als sträflich behandelt worden, und ihm als ehemaligen Scriptator der Abtei von Yew zog es schmerzlich die Eingeweide ob des erbärmlichen Zustandes zusammen, das sich ihm hier darbot.

Der Buchdeckel bestand aus Holz, das einstmals dick mit gutem Schweinsleder überzogen worden war, das nun aber fleckig und brüchig in Fetzen davon herunterhing. Der Rücken Buches hatte sich gelöst und hing halb herunter. Die feine Schnur, mit der man die einzelnen Bünde einst sorgfältig verschnürt hatte, hatten sich hier und da aufgelöst, sodass einige der Doppelbögen verrutscht waren und aus dem geschlossenen Buch ragten. Unauffällig entfernte er eine kleine Laus, die sich am Schimmel des verrottenden Papieres gütlich tat. Ein weiterer Blick auf die gewellten Seiten und Kratzspuren auf dem Einband verrieten ihm zudem neben der verwitterten Aufschrift, das dieses einst so kostbare und mit viel Liebe angelegte Schriftgut nicht sonderlich gut behandelt worden war und Feuchtigkeit gezogen hatte.

Ein Rätsel gab auch der halb lesbare Titel auf….Legenden gab es so viele und alte Könige noch viel mehr. Noch rätselhafter für ihn war aber, wie jemand wie Kip an so ein Buch gekommen war. Er schüttelte unmerklich vor Erschütterung den Kopf und war noch halb in Gedanken, als ihm die letzte Frage bewusst wurde, die Kip ihn gestellt hatte.
"Nein, ich verstehe nicht ganz, was dieses Buch hier mit mir.. mit Euch zu tun hat. Ich nehme an, Ihr erzählt es mir sicher gleich?"
 
Tatsächlich war Kip Enriks Entsetzen über den Zustand seines Buches in seiner Euphorie völlig entgangen.
Umso deutlicher war in seinem eigenen Gesicht die Enttäuschung darüber anzusehen, dass Enrik das Buch nicht einmal zu kennen schien.
„Das ist aber sehr...bedauerlich..." Der Unterton in seiner Stimme ließ vermuten, dass Kip gerne etwas anderes gesagt hätte.
Sein Blick fiel auf das Essen, dass ihm die Bedienung schulterzuckend vor die Nase gestellt hatte, nachdem sie seine Aufmerksamkeit in seinem Redeschwall nicht gewinnen konnte.
Kip stocherte missmutig zwischen den Sachen auf seinem Teller herum und rätselte, was ihm der Koch zu später Stunde auf die Schnelle noch gekocht hatte.
„Was war denn hier das Gericht des Tages...?"
Er schnippte mit dem Finger nach der Bedienung. „Bitte ein kühles Bier für Herrn van Thaden - ihr trinkt doch eines mit, oder...? Und für mich bitte auch."
Kip wartete die Anwort gar nicht erst ab und begann mit dem Essen.
Mit halbvollem Mund begann er schmatzend zu erklären.
„Ja, selbstverständlich werde ich euch erzählen, was es damit auf sich hat. Meine Mutter hat mir früher eine Geschichte vorgelesen, die mich schon als Kind fasziniert hatte.
Sie erzählte von einem Königreich, dass lange vor unserer Zeit existierte.
Der König des Landes war ein weiser und gütiger Herrscher, der sich stets bemühte alle Agumente genau abzuwägen, wenn er wichtige Entscheidungen zu treffen hatte.
Beraten wurde er von einem Rat aus sieben Magiern, den sogenannten "sieben Weisen".
Abgesehen von ihrer unendlichen Weisheit verfügten diese Männer über eine uralte Magie, die weitaus mächtiger war als die Art Magie, die magiebegabte in heutigen Tagen verwenden.
Sie hatten die Macht, Gegenstände zu verzaubern...und nein - ich spreche hier nicht von einem Feuerzauber, der ein Schwert mit Flammen umhüllt oder so.
Sie stellten unter anderem mächtige Waffen her, die dem König und seinen Rittern helfen sollten, das Reich vor seinen Feinden zu schützen.
Eine sehr bemerkenswerte Erfindung dieser Magier, die meine Mutter in der Geschichte erwähnte, war eine verwunschene Schreibfeder.
Dem Besitzer dieser Feder war es möglich, all das, was er mit der Feder aufschrieb, in Wirklichkeit vor seinen Augen erscheinen zu lassen.
Ihr könnt euch vorstellen, was für eine Macht das für den Besitzer bedeutete.
Er konnte zum Beispiel etwas über ein feindliches Heer aufschreiben und konnte es im selben Augenblick sehen.
Stellt euch das mal vor - Standort, Truppenstärke, Bewaffnung...
Aber es kam, wie es immer kommt, wenn Menschen über zu viel Macht verfügen.
Mit der Zeit begnügten sich die Magier nicht mehr damit, den König zu beraten und zu unterstützen, sondern sie griffen selber nach der Macht im Land.
Meine Mutter konnte mir nicht sagen, wie es dem König genau gelungen war, aber er schaffte es, die sieben Weisen zu überlisten und zu töten."
Kip griff nach dem Bier, das ihm zwischenzeitlich von der Bedienung serviert worden war, die sich augenrollend wieder verzogen hatte, nachdem Kip schon wieder unermüdlich, ohne sie weiter zu beachten, am reden gewesen war.
Kip spühlte das Bier runter, als wäre es lediglich ein Glas Wasser und fuhr fort.
„Ich habe immer sehr aufmerksam zugehört, wenn die Geschichtenerzähler auf den Jahrmärkten von Rittern, Hexen und Drachen erzählten. Und eines Tages war einer dabei, der tatsächlich die Geschichte meiner Mutter erzählte. Ich ging zu ihm, als er mit der Geschichte zu Ende war und fragte ihn, ob an dem Erzählten irgendetwas Wahres dran sei.
Er sagte zu mir: „Junge...halt die Augen und Ohren offen, lese, was du in die Hände kriegen kannst und versuche, zwischen den Zeilen zu lesen. Ich bin mir sicher, dass du irgendwann deine Antwort selber herausfindest."
Ich muss zugeben, dass ich damals verärgert über seine Antwort war, aber mit der Zeit begann ich zu verstehen.
Mit den Jahren habe ich neben meiner eigentlichen Arbeit viel Zeit in Bibliotheken verbracht, mit alten, glatzköpfigen Männern gesprochen und mir die wildesten Geschichten angehört.
Und siehe da - zwar wurde die Geschichte abhängig von dem jeweiligen Erzähler immer ein wenig unterschiedlich erzählt, aber im Grunde stimmte alles überein.
Irgendwann war in Minoc, dort bin ich aufgewachsen, ein fahrender Händler, der eine ganze Menge Krempel feilbot.
Ich hatte eigentlich kein ernsthaftes Interesse gehabt, dem Mann etwas abzukaufen, aber irgendetwas an seinem Karren zog mich magisch an.
Plötzlich sah ich es auf dem Wagen zwischen allerlei Krimskrams!"
Kip presste seine Fingerkuppe mit Nachdruck auf den vergammelten Deckel des verwitterten Wälzers.
Er wartete kurz auf eine Reaktion Enriks, wandte sich dann ab und suchte nach der Bedienung.
"Hey...bitte noch zwei Bier!", bestellte er in den großen Schankraum hinein und blickte dann wieder Enrik erwartungsvoll an.
Kip hoffte, dass der belesene Mann wenigstens etwas zu seiner Geschichte beitragen konnte.
 
Der junge Schreiber war sich nicht sicher, was Kip eigentlich genau von ihm erwartet hatte, aber er ließ sich das nicht anmerken. In der Empath Abbey hatte er viele solcher ähnlichen Legenden aus alten Handschriften kopiert. Es waren so viele gewesen, das er sich nicht alle gemerkt hatte, aber eines war ihnen allen gleich gewesen: In diesem Irgendwo im Irgendwann hatten alle Helden und Heldinnen oft übernatürliche Kräfte und es passierten die wunderbarsten Dinge, als wäre es das Normalste von der Welt. In den vielen Geschichten, die er mit ähnlichem Inhalt gelesen hatte, herrschten ganz andere Gesetze als in Wirklichkeit – hier konnten die Tiere und Pflanzen plötzlich reden, Wünsche gingen in Erfüllung, Tote weckte man einfach wieder auf und Helden konnten fliegen oder versetzten sonst irgendwie Berge, man besuchte mal eben die Sonne, den Mond und die Sterne und natürlich wurde immer wieder gerne gezaubert und verwunschen. Die Hauptdarsteller waren meist königlichem Blutes, Hexen, Zauberer oder Teufel, Riesen, Zwerge oder einfache Menschen, oder ganz selten auch mal Tiere. Und weil es selbstverständlich immer gerecht zugehen musste, wurde am Ende immer der belohnt, der gut ist und der böse und schlechte bekam seine gerechte Strafe.

Innerlich seufzte er. Und verfluchte denjenigen seiner ehemaligen Klosterbrüder, der ihn in seinen Lobpreisungen vermutlich auf die Stufe mit Göttern gestellt hatte. Enrik hatte einen langen Tag in der Schreibstube des Kontors am Hafen gehabt. Natürlich wollte er noch mehr Hintergründe wissen, warum Kip ihn aufgesucht hatte und dem kleinen Kerl weiterhelfen, aber in seiner jetzigen Verfassung war es schlichtweg nicht möglich. Er war müde und wollte jetzt nicht mehr über irgendwelche Geschichten nachdenken, die ihm der kleine Gast hier vor ihm erzählte. Aber bevor er etwas sagen konnte, kam ihn jemand zuvor.
 
Vom Tresen aus hatte Kalifa schon die leicht verzweifelten Blicke des jungen Schreibers bemerkt, die Enrik aus Höflichkeit vor dem ihm ungewohnten Redeschwall Kip’s zu verbergen versuchte. Als Aileen mit der Bestellung des kleinen redseligen Gastes zurückkam, stellte Riordan fest, dass das Fass Bier, das man am Morgen angezapft hatte, keinen einzigen Tropfen mehr hergab.
„Der arme Enrik. Tut mir richtig leid“ sagte die Kellnerin, „der Neue da redet wie ein Wasserfall. Erzählt ihm komische Märchen von alten Sprücheklopfern.“ Aileen lachte kurz auf und schüttelte noch immer fassungslos den Kopf.
„‘Nen Zug hat der – schlimmer wie ein alter Seebär. Jetzt will er noch zwei Bier haben!“
Kalifa schürzte die Lippen und zog eine Augenbraue hoch.
„Tscho… dann hat jemand Pech gehabt. Es gibt kein Bier mehr, das Fass ist grad alle. Außerdem ist gleich Sperrstunde, das passt sich grad gut. Meister van Thaden gehört eh schon lange ins Bett, der hatte vorhin schon kleine Äugelein, und ein Nachtlager für diesen Kip habe ich auch schon.“ Sie kam hinter den Tresen hervor und klatschte kurz in die Hände.
„So Leute – Feierabend für heute hier!“
Als leichtes Gemurre erklang, sagte sie fröhlich:
„Liebe Leute, ich hatte ja gedacht das neu gezapfte Fass von heute Morgen reicht, aber ihr brecht hier immer alle Rekorde was das Trinken angeht. Für heute gibt’s daher nichts mehr, aber morgen früh könnte ich gerne ein paar starke Männer gebrauchen, die mir ein neues Fass aus dem Keller holen. Und ich bin sicher, da sich da jemand finden wird. Bis dahin bitte ich um Nachsicht.“
Während einige darüber lachten und sich dann schon bald erhoben, um sich auf dem Heimweg zu machen, ging die junge Wirtin zu dem kleinen Tisch hinüber, an dem Kip mit Enrik saß. Sie zwinkerte Enrik kurz zu, stellte sich dann so an den Tisch, das Kip nicht bemerkte, was sie hinter ihrem Rücken tat. Dann schob sie rasch den Bierkrug, den Aileen vor Enrik abgestellt hatte, den der Schreiber aber nicht geleert hatte, da er Wasser bevorzugte, vor Kip hin.
„Ich hoffe es war bislang alles zu Euer Zufriedenheit? Verzeiht, wenn ich die angeregte Unterhaltung nun stören muss, aber in einer halben Stunde schließen wir hier. Zudem ist das Bier alle, aber …“ sie nun einen Schritt beiseite, "das hier haben wir noch für ganz Durstige gerettet.“ Sie schob Kip nun den Krug direkt vor die Nase und zwinkerte Enrik aufmunternd zu.
„Ach ja“, wandte sich Kalifa dann wieder an Kip,
“hier hinter der Taverne ist ein kleiner Schuppen, dort könnt ihr für diese Nacht schlafen, bis sich etwas anderes findet. Und morgen ist auch noch ein Tag wo sich die Herrschaften besser kennenlernen können, nicht wahr? Der Herr Chronist sieht doch sehr müde aus, aber ich bin mir sicher ihm interessiert das brennend, was ihr euch zu erzählen hattet. Aber vermutlich ist das hier nicht der rechte Ort , um über alte Bücher zu reden. Vielleicht geht ihr morgen mal ins Kontor rüber, wo Master van Thaden in der Regel seinen Tag verbringt. Über die Bezahlung reden wir morgen – das hat Zeit.“
Die Wirtin des Blauen Ritters lächelte freundlich.
 
Kip wollte noch etwas sagen, stelle dann aber fest, dass die meisten anderen Gäste den „Blauen Ritter" schon verlassen hatten und entschied sich dazu, es ihnen gleich zu tun.
Es war eine mühselige Reise gewesen und er brauchte endlich Schlaf.
Kip verabschiedete sich höflich bei Enrik und Kalifa, spülte das Bier in drei Zügen runter und klemmte sich seine voll beladene Tasche unter den Arm.
Draußen sah er kurz nach seinem Muli, der immer noch, halb schlafend, vor dem Eingang des Wirtshauses stand und sich von der anstrengenden Reise ausruhte.
Kip schlug den Weg in Richtung des Schuppens ein, dem ihn die Wirtin als Schlafplatz angeboten hatte.

„Vielleicht hätte sie die Bezahlung gleich mit mir klären sollen..." Kip wog seinen prall gefüllten Beutel mit Goldstücken in der Hand und blickte mit glasigen Augen in die Nacht hinaus. Er hatte die Schuppentür einen Spalt aufgelassen, um die Abendluft noch etwas zu genießen.
„...dann hätte sie mir sicherlich etwas Angemesseneres gegeben."
Kip konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser kleine, unscheinbare und von den meisten Menschen verborgene Fleck auf der Landkarte so überlaufen sein konnte, dass kein Zimmer mehr im „Blauen Ritter" frei sein sollte.
Kalifa war sehr freundlich gewesen, aber irgendwie bezweifelte er, dass sie den riesigen Kerl, der Kip den Weg bei seiner Ankunft versperrte hatte, auch in den kleinen Schuppen gezwängt hätte.
„Mit mir kann man es ja machen", seufzte Kip, versteckte den Beutel im Stroh, dass man ihm als notdürftiges Nachtlager hingeworfen hatte und rückelte seine Tasche als improvisiertes Kopfkissen zurecht.
Er fiel schnell in einen tiefen Schlaf.

Morgens erwachte mit dem Schrei des ersten Hahnes und blinzelte in das warme Licht, das die aufgehende Sonne in den Schuppen warf.
Er hatte völlig vergessen, den Schuppen vor dem Einschlafen zu schließen.
Erschrocken fuhr Kip hoch und suchte hektisch im Stroh nach seinem Geldbeutel und atmete erleichtert auf, als er ihn an dem Platz fand, wo er ihn am Abend zuvor versteckt hatte.
Gähnend sammelte er seine Siebensachen ein und machte sich auf in den „Blauen Ritter", um das Loch in seinem Magen zu füllen. Er hatte am Abend kaum etwas gegessen gehabt, während er Enrik von dem Buch erzählt hatte, was sich nun in lauten Geräuschen aus seiner Bauchgegend äußerte.
„Mal sehen, ob das Frühstück besser wird, als das Gästezimmer", murmelte Kip zu sich selbst, als er das Wirtshaus erneut betrat.
Kalifa stand hinter dem Tresen und wischte gerade die letzten Spuren des vorangegangenen Abends weg.
Kip ließ mit einem unüberhörbaren Klimpern seinen Geldbeutel direkt vor Kalifa auf den Tresen plumpsen.
„Einen wunderschönen guten Morgen. Sagt, werte Dame, was muss ein hungriger Gast in eurem schönen Haus für ein ausgiebiges Frühstück auf den Tisch legen?"
Kip knetete den Geldbeutel allessagend unter seiner Hand, Kalifas Antwort geduldig abwartend.
 
Der Blick der Wirtin ging von dem erwartungsvollen Blick des kleinen Kerls zu seinen Händen mit den zerknautschten Geldbeutel, dann wieder mit leichtem Stirnrunzeln hinauf ins Gesicht zurück, um dann anschließend mit beiden hochgezogenen Augenbrauen innerlich seufzend die Decke anzuschauen. Sie ignorierte die Frage zunächst scheinbar.
„Seid Ihr kräftig genug, ein Fass aus dem Keller zu holen“, fragte sie dann. Bevor Kip etwas antworten konnte, fügte sie schnell hinzu:
„Natürlich seid Ihr das, Ihr brennt geradezu dafür! Heft mir eben mit dem Fass, damit habt ihr Euer Frühstück zur Genüge bezahlt. Darum kümmere ich mich gleich selbst. Und Euer Gold steckt gut weg, wenn ihr noch was davon haben wollt.“ Sie legte ihre Hände auf Kip’s Hände mit dem Beutel und schob diese sanft, aber bestimmt näher an ihn heran.
„Kauft Euch was Anständiges dafür, hier gibt es genügend gute Handwerker im Dorf. Wie wäre es mit einer neuen Reisetasche für Eure zukünftigen Abenteuer?“
Kalifa nickte kurz auf die alte Tasche, die Kip auf den Stuhl neben sich gelegt hatte. Sie lächelte dabei.
"Also was ist? Fasst ihr eben mit an?"
 
Kip warf seinen Mantel über seine Tasche und krempelte die Hemdsärmel hoch.
„Aber gerne doch", antwortete er lächelnd. „Das ist ein Angebot, das ich nicht ausschlagen kann."
Zu ihrer Überraschung konnte Kalifa sehen, dass sich unter Kips Hemdsärmeln nicht die Arme eines einfachen Schreiberlings befanden, sondern die eines Mannes, der harte Arbeit gewohnt war.
Kip rieb sich die Hände und blickte voller Tatendrang fragend zu Kalifa hoch.
„Nun - wo geht es zu eurem Keller?"
Kip warte die Antwort gar nicht erst ab und ergänzte.
„Ach was ich noch anmerken wollte - ich möchte selbstverständlich kein Bier zum Frühstück. Ich weiß zwar einen guten Schluck zu würdigen, aber...nicht, dass ihr gestern einen falschen Eindruck von mir gewonnen habt."
Kip folgte Kalifa schmunzelnd in Richtung Keller.
„Was schulde ich euch überhaupt für die gestrige Mahlzeit und das gute Bier?
Und keine Sorge - noch mangelt es mir nicht an Goldstücken.
Ist euer Haus eigentlich immer voll belegt?
Ich war erstaunt, dass ihr mir nur noch den Stall anbieten konntet."
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Kalifa betrachtete Kip noch einen Moment und lachte dann.
„Also schön, wenn Ihr unbedingt etwas bezahlen wollt – dann gebt mir fünfzehn Goldstücke, Ihr unverbesserliches Exemplar von einem Menschen.“
Sie zeigte auf ein Fass, das Kip sich dann auf die Schultern lud und aus dem Keller nach oben in den Schankraum brachte. Insgeheim wunderte sie es schon ein wenig, dass dieser kleine Kerl solche Muskelpakete an den Armen hatte. Aber sie hatte auch schon erlebt, das große starke Männer wie der von gestern ihre Schwäche nur hinter einem großen Maul verbargen.
„Hier legen oft Handelsschiffe auf ihren Routen zwischen Jhelom, Trinsic und Serpent’s Hold an – meist auf der Flucht vor den Piratenschiffen weiter südlich auf diesen Gewässern – so wie das da!“ Sie zeigte zum Fenster, wo man ein großes Schiff sehen konnte. Die Kapitäne gewähren den Seeleuten dann ganz gerne mal einen Landgang, denn die Männer dann auch ordentlich ausnutzen. Dann ist die Bude hier voll und leider auch alles an verfügbaren Betten. Eure Unterbringung war nur eine Notlösung – entschuldigt bitte. Aber nach dem gestrigen Zwischenfall wollte ich auch nicht, dass Ihr eine Nacht im Freien verbringt. Ich denke, nachher findet sich eine würdigere Unterkunft für Euch – vorausgesetzt Ihr wollt noch einige Tage hier in Westcliff bleiben.“

Kip hatte mittlerweile das Fass unter den Tresen gewuchtet und einen neuen Zapfhahn angebracht. Kalifa nickte zufrieden und gab dem kleinen Mann dann ein Zeichen, ihr in die Küche zu folgen. Dort roch es bereits nach frischem Brot, Rührei mit Schinken und Zwiebeln sowie nach etwas, das sich als Kaffee entpuppte. Die junge Frau schnitt eine dicke Scheibe Brot vom Laib, bestrich die Scheibe mit guter selbstgemachter Butter und belegte sie dann großzügig mit dem Rührei. Sie stellte Kip dann den Teller und einen Becher hin, goss ihm dann den frisch aufgebrühten Kaffee ein und setzte sich dann zu ihm.
„Aileen sagt, Ihr hättet Master Enrik gestern eine ziemlich wilde Geschichte von einer magischen Feder erzählt. Sie hat aber nur Gesprächsfetzen aufgeschnappt. Und Master Enrik hatte gestern auch einen harten Tag.“ Kalifa lächelte gewinnend.
„Und keine Sorge - Euer Auftritt gestern hat einiges an Eindrücken hinterlassen! Aber nun Hand auf’s Herz…ohne Euch beleidigen zu wollen, aber niemand, der aussieht wie ein abenteuerliches Greenhorn bricht einfach so von seinem Zuhause auf und erzählt dann eine Geschichte in einer Taverne, die niemanden so wirklich interessiert, weil sie scheinbar nur ein Märchen ist. Also.. was treibt Euch nun wirklich nach Westcliff?“
 
Kip verschluckte sich an dem Rührei, als Kalifa so frei heraus von dem sprach, was ganz und gar nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war.
Mit dem überraschten Gesicht eines Kindes, das von seiner Mutter mit der Hand im Bonbon-Glas hoch oben auf dem Regal erwischt wird, blickte er Kalifa an und versuchte mit vorgehaltener Hand zu vermeiden, ihr das Rührei ins Gesicht zu spucken.
Nachdem er sich halbwegs gefangen hatte, spülte er das restliche Rührei mit dem Kaffee herunter und biss sich auf die Lippen.
Nicht nur, dass der Kaffee zu heiß gewesen war, er fragte sich außerdem, wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskommen sollte.
„Wer...wer ist diese Aileen...?", antwortete er verunsichert.
Man muss dazu sagen, dass Kip, hätte er die hübsche Bedienung während seines Redeschwalls am Abend zuvor nur ansatzweise wahrgenommen, die Frage nie gestellt hätte.
Sein Tonfall war so paranoid, dass Kalifa sich ein breites Grinsen nicht verkneifen konnte, schwieg aber.
Dann dämmerte es Kip.
„Ach...ihr meint die Bedienung?"
Kalifa nickte zustimmend und lachte.
„Achso...herrje...hm...ich sollte lernen, leiser zu sprechen. Nicht auszudenken, es passiert, wenn dieses Wissen in die falschen Händen gelangt.
Und ja, ihr habt Recht. Auf euch muss ich einen merkwürdigen Eindruck hinterlassen haben. Es es nicht sehr lange her, da arbeitete ich noch in der Werkstatt meines Vaters.
Aber..."
Kip nahm mit einem verschmitzten Lächeln einen weiteren, dieses Mal vorsichtigeren, Schluck aus seinem Becher.
„...das "Märchen" ist wirklich der Grund für meine Reise nach Westcliff oder vielmehr die Person, von der ich dachte, das sie mir bestimmte Details bestätigen würde - Darsus von Yew."
Kip musterte Kalifa aufmerksam während er sprach. Wenn er selbst auch kein waschechter Abenteurer war, so konnte er doch sehr gut ein "Greenhorn" von einem wackeren Raufbold unterscheiden.
Und irgendetwas sagte ihm, dass diese Frau vor ihm weit mehr Erfahrung hatte, als man auf dem ersten Blick meinen würde.
„Es ist so...", begann Kip zögernd.
„Ich bin auf der Suche nach etwas, dass seinen Ursprung in einer alten Legende hat. Die Meisten halten sie für ein Märchen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass an dieser Geschichte etwas Wahres dran ist und das wahre Wissen darum nur verloren gegangen ist."
Kip lachte.
„Aber ihr kennt das ja als Wirtin. Es kommen irgendwelche Spinner in euer Haus, trinken einen über den Durst und erzählen Märchen, um sich wichtig zu tun."
Kip lächelte wieder verschmitzt.
„Vielleicht bin ich ja nur einer davon."
Er rutschte von seinem Stuhl herunter, zählte die fünfzehn Goldstücke ab und legte noch ein paar oben drauf.
„Und ja...ich würde gerne noch ein paar Tage hierbleiben und mich ausruhen.
Wenn Herr von Thaden mir nicht weiterhelfen kann, muss ich sowieso erst mal in mich gehen und überlegen, wie es weitergehen soll. Daher würde ich mich sehr freuen, wenn sich etwas Besseres für die nächste Nacht findet, wie ihr vorhin sagtet."
 
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