Auf den Drachen gekommen
Acht Jahre zuvor...
Obwohl es erst früh am Morgen war, flimmerte die Luft schon in der sommerlichen Hitze.
Die Nujel'mer kannten es nicht anders. Mit etwas Glück brachte ein leichter Seewind Erfrischung, mehr war in dieser Jahreszeit nicht zu erhoffen.
Die Stimmung an dem kleinen Tisch, den man an Deck der Ariane aufgestellt hatte, stand im absoluten Gegensatz zu dem heißen Klima.
Zwischen den beiden Personen, die gemeinsam ihr Frühstück einnahmen, herrschte eine frostige Kälte.
"Wie lange willst du so weitermachen, Isabelle? Willst du warten, bis deine besten Jahre vorbei sind?
Du bist jetzt zwanzig Jahre alt. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon ein Jahr lang mit deinem Vater verheiratet und du..."
"...warst auf dem Weg, das Licht der Welt zu erblicken...ich weiß Mutter", erwiderte Isabelle gereizt und starrte auf ihren Teller, der gefüllt war mit exotischen Früchten, die verführerisch dufteten.
Isabelle aber war der Appetit vergangen.
Ihre dunklen Augen wanderten über den gedeckten Tisch, streiften das Gesicht ihrer Mutter und verloren sich in der weiten Ferne der See.
Warum nur hatte Isabelles Vater darauf bestanden, dass ihre Mutter sie auf dieser Reise begleitete? Hatte er immer noch nicht genug Vertrauen in ihre Fähigkeiten?
"Warum antwortest du mir nicht Isabelle?" Ihre Mutter blickte sie herausfordernd an.
"Ach, du erwartest tatsächlich eine Antwort? Ich dachte, du hättest das eher rhetorisch gemeint. Schließlich haben wir mehr als häufig genug darüber gesprochen. War es nicht gerade erst vor zwei Tagen, dass...", antwortete Isabelle ironisch und mied weiterhin den Blick ihrer Mutter.
"Du bist eine Schande für deinen Vater, Isabelle. Ich verstehe dich einfach nicht. Du hättest sie alle haben können - den gutaussehenden Sohn des Gewürzhändlers, den stattlichen Bankierssohn, den..."
Isabelles Mutter unterbrach den Satz und trank einen Schluck von ihrem Tee.
"Und dann noch der Abbruch des Magiestudiums. Weißt du eigentlich, wieviel dich das deinen Vater gekostet hat?"
"Natürlich weiß ich das...du hast es mir schließlich...lass mich überlegen...mehr als hundertmal bestimmt erzählt", erwiderte Isabelle spöttisch.
"Überlege gut, was du sagst, Isabelle. Ich werde deinem Vater nach unserer Rückkehr alles berichten. Denke nicht, dass der Entschluss, dir die Ariane zu übergeben, endgültig war."
Isabelle warf ihrer Mutter einen kühlen Blick über den Tisch zu. Das war also der Grund für ihre Anwesenheit. Offenbar stand es um Isabelles Ansehen bei ihrem Vater bei weitem nicht mehr so gut, wie sie dachte.
Isabelle musterte ihre Mutter still. Alia Duchenne konnte durchaus als beeindruckende Frau bezeichnet werden. Sie überragte Isabelle noch um einen halben Kopf, wobei Isabelle schon nicht klein war.
Alia trug ihr langes, tiefschwarzes Haar offen über ihren Schulter, ihre Augen waren fast ebenso dunkel.
Ihr wohl gerundeter Körper war in leuchtende Farben gehüllt, die einen auffälligen Kontrast zu ihrem dunklen Teint bildeten.
Um ihren Hals trug sie eine aufwändige, goldene Halskette, in deren Anhänger ein großer, perfekt geschliffener Rubin eingefasst war. Ihre Finger wurden von ebenso prächtigen Ringen, die mit verschiedenen funkelnden Edelsteinen besetzt waren, geschmückt.
Ihr Gesicht wirkte ernst und stets über den Dingen erhaben. Dennoch hatte sie eine faszinierende Ausstrahlung, der sich nur wenige entziehen konnten.
Zudem spürte man hinter ihrer ernsten Fassade ihr feuriges Temperament, dass Isabelle so häufig zu schaffen machte.
Isabelle war das alles sehr fremd. Sie selbst wirkte mit ihrer zurückhaltenden, bedächtigen Art auf viele Menschen eher reserviert - eine Eigenschaften, mit der sie ihrem Vater näher stand.
Alia entgegnete den beobachtenden Blick ihrer Tochter mit leichtem Kopfnicken.
"Ja, du hast ganz richtig gehört. Sei dir deiner nicht so sicher. Vielleicht wird die erste Fahrt mit der Ariane auch deine letzte sein - jedenfalls unter deinem Kommando."
Isabelle spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg. Sie überlegte, was sie ihrer Mutter antworten sollte, als ihr Blick auf einen der an Bord verbliebenen Matrosen fiel.
Nein - diese Blöße wollte sie sich nicht weiter geben. Die Mannschaft hatte schon viel zu viele dieser Diskussionen mitbekommen.
Isabelle griff sich eine Weintraube von ihrem Teller, schob sie sich zwischen ihre vollen Lippen und erhob sich von ihrem Stuhl.
"Mutter, ich werde dich jetzt verlassen. Ich muss verschiedenen Verpflichtungen an Land nachkommen. Du weißt schon...Dinge, die mit dem Hafenmeister zu regeln sind und so..."
Ohne auf eine Antwort ihrer Mutter zu warten, schob sie eine zweite Weintraube in ihren Mund und machte sich eilig daran, die Ariane zu verlassen.
Nachdem sie das Schiff einige Meter hinter sich gelassen hatte, blieb Isabelle stehen, drehte sich um und ließ ihren Blick über das stolze Schiff wandern, das in den Farben des Familienwappens der Duchenes, den Farben blau und weiß, erstrahlte.
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie würde es ihrem Vater schon beweisen. Diese Mal würde sie das tun, was man von ihr erwartete, denn das war es, wonach sie sich so lange gesehnt hatte: in weit entlegene Winkel der Welt reisen, verschiedene Menschen und Kulturen erleben oder was sonst noch für Wunder auf ihren Reisen auf sie warten sollten. In die Ferne schweifen, ungebunden sein...
Sie machte sich auf den Weg in das Zentrum der Stadt.
Die Luft wurde allmählich immer stickiger und die Hauswände reflektierten die Sonnenstrahlen mit einer Intensität, dass man sich in den Gassen nur aufhalten mochte, wenn sich der Schatten dazu erbarmte, seine schützende Hand über einen zu legen.
"Ich hätte meine Schiffsuniform an Bord lassen sollen", dachte Isabelle, während sie den obersten Knopf ihrer weißen Bluse öffnete.
Ein betörender Duft nach Gewürzen und andere exotische Gerüche umspielten ihre Nase.
Sie ließ sich davon auf eine breite Gasse leiten, folgte den anschwellenden Geräuschen, die an ihr Ohr drangen und fand sich auf dem großen Marktplatz von Nujel'm wieder.
Die Märkte waren bekannte Attraktionen in Nujel'm. Hier konnte der interessierte Besucher beispielsweise nicht nur paradiesisches Obst, feinste Stoffe und erlesenen Schmuck erwerben, sondern ihm wurde ein Unterhaltungsprogramm der ganz besonderen Art von verschiedensten Schaustellern geboten. Da gab es einen Zauberkünstler, der mit Flammen und Rauch die Leute zu verblüffen wusste, eine Tänzerin, die mit geschmeidigen Bewegungen ihren Körper in die unglaublichsten Formen verbiegen konnte, einen Geschichtenerzähler, der dicht umringt von zahllosen Kindern von längst vergessen Abenteuern und Legenden erzählte.
Isabelle beschloss, ihr spärliches Frühstück nachzuholen und beobachtete dabei gespannt das bunte Treiben auf dem Marktplatz. Die Nujel'mer waren so völlig anders als die Leute aus Britain. Und selbst wenn ihre Mutter von hier stammte, hatte Isabelle nie richtig Zugang zu der Mentalität der Nujel'mer finden können.
Trotzdem genoss sie es immer sehr hier zu sein. Schon bei früheren Reisen, bei denen sie ihren Vater begleitet hatte, hatte sie die Insel in ihren Bann gezogen.
Nachdem sie eine Weile die Menge beobachte hatte, fiel Isabelle ein rotes Zelt auf, vor dem ein kugelrunder Mann stand und mit ausschweifender, einladender Armbewegung die Passanten in sein Zelt einlud.
Isabelle bezahlte ihr Frühstück und ließ sich mit der Menschenmenge auf das Zelt zu treiben.
"Kommt herein verehrte Damen und Herren, liebe Kinder...schaut euch das wundersamste Geschöpf an, das diese Welt je gesehen hat...so etwas werdet ihr nie wieder zu Gesicht bekommen", pries der dicke Mann seine Attraktion an. "Für nur 5 Goldstücke erhaltet ihr Einlass, um dieses wundervolle Wesen zu bestaunen!"
Isabelle ließ die geforderten Goldstücke in die Hand des Mannes fallen und betrat neugierig das Zelt.
In dessen Mitte befand sich ein großer, runder Käfig, der fest mit einem eisernen Sockel verbunden war, den man in den Boden eingelassen hatte.
Um den Käfig standen mit Ah- und Oh-Rufen die Leute gedrängt und bestaunten das seltsame Wesen, dass sich hinter den Gitterstäben verbarg.
Isabelle ging näher an den Käfig heran, schob sich an zwei anderen Besuchern vorbei, um sich selber ein Bild zu machen.
Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen, als sie sah, was sich hinter den stabilen Gittern verbarg.
Zusammengekauert und nervös um sich blickend, lag ein schneeweißer, kleiner Drache in dem Käfig. Seine bläulichen, matten Augen blickten unruhig von einem Besucher zum anderen.
Isabelle ging ganz nah an den Käfig heran, so dass der Drachen fast zum Greifen nahe war.
Sie studierte fasziniert den eleganten Körper des kleinen Geschöpfes. Die junge Bestie war so groß wie ein kleines Schoßhündchen und konnte noch nicht allzu alt sein.
Isabelle erinnerte sich wieder an die Geschichten und Legenden, die man ihr, als sie noch ein kleines Kind war, über die weißen Drachen erzählt hatte. Geschichten von uralten, mächtigen Wesen, die vor Jahrtausenden geboren worden waren, als noch dicke Eismassen einen Großteil des Landes bedeckt hatten. Als das Eis mit den Zeitaltern immer weniger geworden war, zogen sich die weißen Drachen zurück und starben aus. Aber man erzählte sich, dass einige wenige Exemplare dieser Spezies überlebt hatten und seitdem in verborgenen Höhlen lebten, die das Eis über die Jahrtausende bewahrt hatten.
Das weiße Schuppenkleid des Drachen spiegelte sanft das Licht der Lampen in dem Zelt wider.
Isabelle näherte ihre Hand den Gitterstäben und ließ ihre Finger über die Gitterstäbe gleiten, als wollte sie mit ihnen die schuppige Haut des Drachen berühren.
Die Stäbe waren eisig kalt und sie spürte ein eigenartiges Kribbeln unter ihren Fingerkuppen. Offenbar hatte der Mann vor dem Zelt den Käfig mit magischem Zauber versehen, um den Drachen am Ausbrechen zu hindern.
Isabelle beobachtete das kleine Geschöpf lange Zeit, bis ihre anfängliche Faszination für den Drachen in Mitleid umschlug.
Sie stellte sich vor, wie unerträglich das Wesen in der brütenden Hitze Nujel'ms leiden musste.
Nein – es gehörte einfach nicht hierher!
Dann traf Isabelles Blick auf den des kleinen Drachen.
Sie zuckte zusammen. Etwas eigenartiges war geschehen. Plötzlich fühlte sie sich endlos traurig. Isabelle wusste nicht warum, aber eine Welle aus Hoffnungslosigkeit und Dunkelheit überfiel ihr Gemüt und breitete sich in ihr aus.
Sie ließ von den Gitterstäben ab und wandte sich ab.
Erst eine, dann zwei Tränen liefen ihr über das Gesicht und sie fühlte das übermächtige Verlangen, den Ort so schnell wie möglich zu verlassen.
Sie setze einen Fuß vor den anderen und hatte fast den Ausgang des Zeltes erreicht, als sie ein weiteres Gefühl überkam, dass sie zum Halten zwang. Eigentlich war es nicht direkt ein Gefühl, vielmehr schien es ihr so, als ob etwas in ihren Kopf eindrang, ihre Sinne berührte. Etwas zerrte an ihr, wollte sie dazu bewegen, sich umzudrehen und plötzlich hörte sie einen lauten, fremdartigen Schrei.
Isabelle fuhr herum.
Die Leute um den Käfig waren zurückgetreten. Ein Raunen ging durch die Menge.
Isabelle blickte auf den Käfig.
Der weiße Drache saß gerade mit erhobenem Haupt hinter den Gitterstäben und blickte sie mit weit geöffneten Augen an.
Isabelle stand starr an dem Fleck, an dem sie zum Halten gekommen war. Sie brauchte eine Weile um zu verstehen, was eigentlich passiert war.
Während die ersten Schaulustigen begannen, sie misstrauisch zu beäugen, saß der Drache immer noch regungslos da. Seine Augen wirkten nicht mehr matt und kraftlos, sondern waren von einem seltsamen magischen Leuchten erfüllt und sie waren immer noch direkt auf Isabelle gerichtet.
Wieder berührte dieses seltsame, fremde Gefühl Isabelles Sinne, formte Bilder in ihrem Kopf, Bilder von schneebedeckten Landschaften, vor Kälte erstarrten Meeren und gigantischen Eisbergen. Das Bild wurde kleiner, schien sich auf einen Punkt zu fokussieren und endete vor einem riesigen weißen Drachen, der seine Schwingen ausbreitete und in der Ferne verschwand.
Isabelle wusste, was es zu bedeuten hatte.
Sie drehte sich um, ohne der murmelnden Menge weiter Gehör zu schenken und verließ eilig das Zelt.
Draußen vor dem Eingang baute sie sich vor dem Dicken Mann auf, der, seine Hände entspannt auf seinem fetten Wanst abgelegt, das bunte Treiben auf dem Markt beobachtete. Anscheinend war der Schrei des Drachen durch den Lärm auf dem Marktplatz übertönt worden.
Der Mann blickte Isabelle interessiert an.
„Werte Dame, womit kann ich euch dienen – habt ihr schon meine einzigartige Errungenschaft gesehen?“
„Ja, das habe ich. Und ich möchte ihn euch abkaufen“, kam Isabelle direkt auf den Punkt.
Der dicke Mann weitete seine Augen, öffnete seine wulstigen Lippen und begann lauthals zu lachen.
Isabelle schaute ihn irritiert an.
Der Bauch des Mannes bebte immer noch von seinem Gelächter, als er versuchte, wieder ein Wort zu fassen.
„Nein, nein, nein...das ist völlig ausgeschlossen“, erwiderte er. „Das kleine Ding dort drin wird noch einen reichen Mann aus mir machen – der Drachen ist unverkäuflich!“
Aber so leicht ließ sich Isabelle nicht abwimmeln. Sie kannte die nujel'mer Händlerseele und ahnte, dass sie lange um die Freiheit des Drachen würde feilschen müssen.
„Ich kann euch sehr viel Gold bieten, mehr als euch der Drache in den nächsten Jahren einbringen dürfte.“ Sie kreuzte ihre Arme hinter dem Rücken und versuchte, sich noch größer zu machen, als sie war.
„Also was verlangt ihr?“
Der Blick des dicken Mannes wanderte über ihren Körper, der in der maßgeschneiderten Uniform steckte, und glotzte auf Isabelles stramme Brüste, als ginge es nicht um den Preis des Drachen, sondern um etwas vollkommen anderes.
Er brauchte ein paar Sekunden, um seine Augen wieder unter Kontrolle zu bekommen, als Isabelle die Frage wiederholte.
„Was verlangt ihr für den Drachen?“
Fasziniert von ihrer Beharrlichkeit und offenkundig von ihren übrigen Reizen angetan, setzte der Mann ein nachdenkliches Gesicht auf.
„Also lasst mich überlegen.“ Es überschlug im Kopf, was der Drache ihm einbringen könnte und antworte mit seelenruhiger Gelassenheit.
„Eine Million Goldstücke!“
Isabelle fiel fast die Kinnlade runter.
„Das ist nicht euer Ernst!“
„Doch, ist es. Und das ist noch ein sehr, sehr fairer Preis. Überlegt doch einmal, was für ein Vermögen der Drachen wert ist. Sollte er irgendwann zu groß für seinen Käfig werden, kann ich ihn immer noch gewinnbringend an einen Sammler exotischer Tiere verkaufen.
Vielleicht gibt es Gelehrte, die ihn für wissenschaftliche Zwecke sezieren möchten“, ergänzte der Mann mit boshaftem Lächeln und lachte wieder, dass sein Wanst wackelte.
„Ich gebe euch fünfhunderttausend Goldstücke“, nahm Isabelle einen weiteren Anlauf.
„Eineinhalb Millionen!“ Die Miene des Mannes wurde ernst.
„Hey...so geht das nicht. Eben sagtet ihr noch eine Million!“ Isabelle stemmte empört ihre Hände in die Hüften und fixierte den Mann mit durchdringendem Blick.
Der Mann schüttelte erhaben den Kopf.
„Ich rücke kein einziges Goldstück von meinem Angebot ab. Zahlt den Preis oder verschwindet!“
Der Mann holt zu einer weiten Armbewegung aus und zeigte zu einem Punkt in der Ferne.
Seine Stimme klang nun nicht mehr freundlich, sondern hart und abweisend.
Isabelle löste die Hände hinter ihrem Rücken, lockerte ihre Haltung und wandte sich von dem Mann ab.
Es vergingen einige Stunden und die Hitze wurde erträglicher. Die Händler und Schausteller hatten mittlerweile ihre Stände abgebaut, die Passanten hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen oder waren in eine der vielen Tavernen eingekehrt.
Friedliche Stille lag über dem Marktplatz, vereinzelt hörte man noch das Singen eines Vogels, der die Nacht begrüßte.
Ein Schatten huschte in das Zelt des dicken Mannes mit dem kleinen Drachen.
Der Käfig des kleinen Drachen war von einer dünnen, schwach strahlenden Aura umgeben, die Isabelle erst jetzt in der Dunkelheit der Nacht auffiel.
Vorsichtig blickte sie sich forschend im dem Zelt um, lauschte in die Nacht hinein, aber außer ihr und dem Drachen schien niemand dort gewesen zu sein.
Sie ließ die Kapuze ihres Umhangs auf ihre Schultern sinken und schüttelte ihr lange Haar nach hinten.
Leise murmelte Isabelle zwei magische Worte.
Ihre Augen nahmen einen gelblichen Glanz an und ihre Pupillen weiteten sich.
Nochmals suchte sie misstrauisch das Zelt ab, dass sich nun ihren katzenhaften Augen in seiner vollen Gänze zeigte und schritt dann entschlossen auf den Käfig mit dem Drachen zu.
Das kleine Geschöpf spürte ihre Anwesenheit sofort, rappelte sich auf und setzte sich wie zuvor aufrecht hin.
„Pscht...es wird alles gut, ich hole dich hier raus“, flüsterte Isabelle mit beruhigender Stimme.
Sie wartete auf eine Reaktion des Drachen und es war ihr, als würde das fremdartige Wesen lächeln.
Vorsichtig legte Isabelle eine Hand an die Gitter des Käfigs. Wieder spürte sie dieses leichte Kribbeln unter ihren Fingerkuppen.
„Erste Lektion im Öffnen von magischen Schlössern – werdet eins mit der Magie, die die magische Barriere aufrecht erhält“, rezitierte sie in Gedanken die Worte des alten Meisters Bartholomäus, der sie so häufig mit seinen langweiligen Litaneien fast zum Einschlafen gebracht hatte.
In diesem Moment war sie froh, diese Lektion nicht verschlafen zu haben.
Es dauerte eine Weile, bis sie Zugang zu dem magischen Schloss gefunden hatte, dann ging es plötzlich überraschend schnell. Die Luft wurde von einem leisen Knistern erfüllt, als weitere magische Worte über Isabelles Lippen kamen und die magische Barriere zerbrach.
Das rötliche Schimmern um den kleinen Käfig war fort.
Überrascht zog Isabelle ihre Hand von den Gitterstäben zurück. Wie konnte das sein?
Wenn dem Mann das Geschöpf in dem Käfig so viel wert war, warum war der Käfig nur so schwach gesichert gewesen?
Vorsichtig ging Isabelle einige Schritte zurück und musterte misstrauisch das Podest.
Plötzlich nahm wieder dieses seltsame Gefühl Besitz von ihr. Etwas schien sie sanft im Geiste zu berühren, sich in ihren Kopf zu schleichen. Sie schloss die Augen und sah das Gesicht des kleinen Drachen vor Augen, wie zum Anfassen nah. Sein Gesicht kam langsam näher, so nah, bis eines seiner blau leuchtenden Augen fast ihr gesamtes Sichtfeld einnahm.
Erst jetzt nahm sie wahr, dass das blaue Schimmern in dem Auge des Drachens keine feste Form hatte, sondern sich langsam, wie ein Fluss aus blauer Lava um seine Pupille drehte.
Isabelle überlegte, was der Drache ihr mitteilen wollte.
Sie öffnete ihre Augen und blickte nun den Drachen direkt an, auf dessen Gesicht sich wieder die Spur eines Lächelns abzeichnete.
Dann bewegte sich der kleine Kopf des Drachens in Richtung Gitter und wieder zurück.
Allmählich dämmerte es Isabelle. Der Drache musste ihr geholfen haben. Seine eigene Kraft hatte nicht ausgereicht, um die magische Barriere zu zerstören, aber er hatte Isabelles Magie unterstützt.
Das kleine, weiße Wesen machte eine kurze nickende Kopfbewegung, als wollte es Isabelles Gedanken bestätigen.
Isabelle schmunzelte und legte ihre Hand um das Schloss des Käfigs. Sie schloss die Augen und ließ ihre Magie durch das kalte Eisen fließen.
Mit einem leisem Klacken öffnete sich das Schloss und viel zu Boden.
Wieder nickte ihr der Drache zu und lächelte zufrieden.
Nur wenige Minuten später verließ der dunkle Schatten wieder eilig das bunte Zelt des Schaustellers, dieses Mal mit einem kleinen Bündel unter dem Arm.
Der Käfig in dem Zelt stand immer noch offen, aber von dem Drachen fehlte nun jede Spur.
Statt des kleinen exotischen Geschöpfes lag jetzt ein Beutel aus schwarzem Samt hinter den Gitterstäben. In dem Beutel befanden sich unzählige Edelsteine, die zusammen etwa dem Wert von zweihunderttausend Goldstücken entsprachen – eine Summe, die Isabelle als Preis für den Drachen als angemessen erschien.